Vor der Corona-Pandemie hat Georgios Souleidis vor allem aus Spaß Videos über das Schachspielen ins Internet gestellt. Als „The Big Greek“ erklärt er seit Sommer 2019 Spielzüge, analysiert Partien: „Das lief dann bis Mitte März 2020 so nebenbei zu dem, was ich sonst gemacht habe, ich hatte so 2000 bis 3000 Abonnenten. Und dann kam die Covid Pandemie und ab da wuchs mein Kanal exponentiell.“
Denn im Lockdown löst dieses uralte Spiel eine neue Faszination aus. Die Suchanfragen bei Google nach den Schachregeln verdreifachen sich innerhalb weniger Tage. Als dann auch noch die Netflix-Serie „Das Damengambit“ erscheint, gibt es einen Run auf Schachbretter. Der US-amerikanische Sender NPR scherzt, sie seien bald so beliebt wie Toilettenpapier zu Beginn der Pandemie. Und auf einmal schauen zehntausende Menschen Souleidis zu, wie er Spieleröffnungen erklärt, oder derzeit täglich die WM-Spiele zwischen Magnus Carlsen und Jan Nepomnjaschtschi kommentiert und analysiert.
Der Deutsche Schachbund profitiert nicht von Boom. Im Gegenteil
Nur der Deutsche Schachbund profitiert von dem Boom zunächst nicht. Im Gegenteil, erklärt Präsident Ullrich Krause: Weil der Spielbetrieb wegen Corona eingestellt werden musste, hat sein Verband 2020 sogar Mitglieder verloren. In diesem Jahr ist die Lage besser. „Was wir jetzt feststellen, wo wir die Vereinsheime wieder öffnen können und wieder einen Spielbetrieb haben, dass wir viele neue Mitglieder haben. Also wir haben den Mitgliederverlust, den wir durch den Lockdown erlitten haben, inzwischen wieder ausgeglichen, zumindest im Erwachsenenbereich.“
Insgesamt ist Deutschland einer der größten Schachmärkte der Welt, die Schachbundesliga gilt mit internationalen Stars wie dem US-Amerikaner Fabiano Caruana als eine der besten überhaupt. Deutsche Spieler sucht man in der Weltspitze aber vergebens, der Beste ist derzeit Alexander Donchenko auf Platz 97 der Weltrangliste. Youtuber Souleidis sieht dafür vor allem einen Grund: „Schach als Beruf in Deutschland gilt so ein bisschen als ja total abwegig. Es fehlt an Leuten, die bereit sind, sich Tag ein Tag aus damit zu befassen und damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“
„In Russland werden Weltmeister von Putin empfangen“
Der Stellenwert für Schach ist in Deutschland zu niedrig, findet auch Elisabeth Pähtz. Die Profispielerin hat sich im November als erste deutsche Frau den Rang des Großmeisters erspielt:
Das größte Problem ist, dass es in der Gesellschaft nicht so anerkannt ist. Ich war mehrmals in meinem Leben Weltmeisterin geworden oder Europameisterin im Erwachsenenbereich. Aber von der Regierung habe ich da nie was gehört. Wenn man in einem anderen Land wie Indien oder Russland Weltmeister wird, dann ist man Staatsheld und wird von Putin persönlich in Empfang genommen.
Und auch bei der Talentförderung sieht Pähtz Nachholbedarf: „Sobald man in China ein Talent ist, von ich sage mal sieben, acht Jahren, kommen die Eltern in eine Wohnung in Peking und das Kind wird jeden Tag sechs Stunden trainiert, da gibt es richtige Programme dafür. In Russland ist es auch so, das Programm für Unterricht und für‘s Training ist viel intensiver als in Deutschland.“
Das möchte Ullrich Krause ändern. Seit dem vergangenen Jahr gib es deshalb U8-Meisterschaften, wo Sechs- bis Achtjährige um Titel spielen: „Und dann müsste man in diesem Bereich wirklich mit der Leistungsförderung durch qualifizierte Trainer so weiter einsteigen.“ Aber auch da sieht Pähtz ein Problem: Es gebe schlicht zu wenig gute Trainer:„Also wir haben zwar gute Trainer, aber wir haben nicht genügend, um alle Talente auch kontinuierlich zu trainieren.“
Bei der Gleichberechtigung ein „Vorzeigeverband“
Immerhin: Bei der Gleichberechtigung zwischen Männer- und Frauenschach sieht Pähtz Deutschland auf einem guten Weg. Zwar sind Frauen im Schach noch immer stark unterrepräsentiert, aber es bewege sich in die richtige Richtung, auch von Seiten des Verbandes: Es gebe Trainingsprogramme für Nachwuchsspielerinnen, und man bekomme jetzt die gleichen Fördergelder und Trainingsmöglichkeiten: „Deshalb sage ich, dass es uns so gut geht. Und dass jetzt eigentlich der DSB zumindest was Gleichberechtigung angeht, ein absoluter Vorzeigeverband ist.“
Vincent Keymer auf dem Weg in die Weltspitze
Und mit Vincent Keymer schafft es bald vielleicht auch ein Deutscher wieder in der Weltspitze: Der 17-jährige gilt als derzeit größtes deutsches Schachtalent und könnte zu einer Identifikationsfigur im deutschen Schach werden: „Wir haben mit Vincent Keymer diesen Vorzeigespieler und wenn der tatsächlich international ganz nach oben kommt, hat das meistens den Effekt, dass andere Kinder ihm nacheifern, der berühmte Boris-Becker-Effekt“, sagt Ullrich Krause.
Und auch Schach-Youtuber Souleidis hofft, dass Spieler wie Keymer zu deutschen Vorbildern werden könnten. Dass der Corona-Boom nur ein Hype war, das denkt er nicht. Denn: „Viele Leute sind hineingespült worden in diese Schach Bubble und viele von ihnen bleiben auch dran.“