Liren vs. Gukesh
Worum es bei der Schach-WM in Singapur geht

Titelverteidiger Ding Liren hat die erste Partie der Schach-WM in Singapur gegen den indischen Herausforderer Dommaraju Gukesh gewonnen. Dabei befindet sich der Chinese nach eigenen Angaben in einer psychisch desolaten Verfassung.

Von Arne Lichtenberg |
    Bei der Schach-WM in Singapur sitzen sich der junge Inder Dommaraju Gukesh (li.) und der chinesische Weltmeister Ding Liren gegenüber.
    Bei der Schach-WM in Singapur sitzen sich der junge Inder Dommaraju Gukesh (li.) und der chinesische Weltmeister Ding Liren gegenüber. (dpa / picture alliance / Then Chih Wey)
    Titelverteidiger Ding Liren hatte im Vorfeld der Schach-WM von Depressionen und Schlafstörungen berichtet, dennoch konnte er die erste Partie siegreich gestalten. Nach etwas mehr als vier Stunden entschied er das erste Aufeinandertreffen am Schachbrett für sich.
    Zunächst allerdings hatten sich einige Probleme bei Ding abgezeichnet. Schon nach wenigen Zügen nahm sich der 32-Jährige mit den schwarzen Figuren 35 Minuten Bedenkzeit, er zog sein Jackett aus, wirkte nervös und etwas ratlos.
    Tatsächlich steckte Ding vor dem WM-Auftakt in einem handfesten Tief. Nachdem er Anfang 2023 den WM-Titel gewonnen hatte, ist bei dem Chinesen nicht mehr viel zusammengelaufen. Der letzte Sieg des Weltmeisters lag fast zehn Monate zurück, auch wegen seiner persönlichen Probleme sagte er vor der ersten Partie gegen Gukesh: "Ich mache mir Sorgen, dass ich sehr hoch verlieren könnte." Er hoffe, dass er seinem Gegner wenigstens einen Kampf liefern könne. Bei anderen Turnieren hatte Ding das Ziel ausgegeben, nicht Letzter zu werden – was ihm in einigen Fällen nur mit Mühe gelungen war.
    Alles spricht deswegen für den jungen Inder Dommaraju Gukesh. Der 18-Jährige gilt als Favorit.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie ist die Ausgangslage zwischen beiden Spielern?

    Dommaraju Gukesh und Ding Liren haben erst drei klassische Partien gegeneinander gespielt, aber Ding hat keine einzige davon verloren. Und der Chinese ist besonders stark, wenn keiner mehr an ihn glaubt. Bei der WM 2023 gewann der Chinese nach einer furiosen Aufholjagd gegen den Russen Nepomniatchi noch den Titel.

    Was hat Ding Liren aktuell für Probleme?

    Ding Liren ist derzeit psychisch in keiner guten Verfassung. Der Chinese geht offen mit seinen Depressionen um, hat in Interviews mehrfach von Schlafproblemen und Medikamenten berichtet. Schicksalsschläge wie die Trennung von seiner Freundin belasten ihn am Schachbrett.

    Was ist Dommaraju Gukesh für ein Typ?

    Bei der WM richten sich fast alle Augen auf den erst 18-jährigen Herausforderer Dommaraju Gukesh aus Indien. Er könnte der jüngste Weltmeister aller Zeiten werden. Sein Triumph beim Kandidatenturnier im April überraschte viele, auch Superstar Magnus Carlsen. Aber Gukesh hat seine Form seitdem bestätigt, sein Land mit einer überragenden Performance bei der Schach-Olympiade zuletzt zu Gold geführt. 
    Der junge indische Frau schreibt etwas auf das Konterfei des indischen Schach-Profis Dommaraju Gukesh, dessen Foto an einer Wand klebt.
    Der junge Inder Dommaraju Gukesh hat einen Schach-Boom in seiner Heimat entfacht und insgeheim hofft deswegen auch der Weltverband FIDE auf einen WM-Sieg des 18-Jährigen. (dpa / picture alliance / Seshadri Sukumar)
    Gukesh kommt aus einer Akademikerfamilie. Sein Vater, ein HNO-Arzt, hat für seine Karriere seinen Job aufgegeben. Er hat früh alles auf die Karte Schach-Profi gesetzt, ein Risiko, das in Indien öfter eingegangen wird als in Deutschland. Seit Gukesh elf Jahre alt ist, hat er die Schule fast gar nicht mehr besucht.

    Warum steckt Indien so viel Geld ins Schach?

    Schach wird in Indien von Verband und Staat inzwischen stark gefördert. Das liegt vor allem am ersten indischen Weltmeister Vishy Anand, der eine Akademie gegründet und Sponsoren gefunden hat. Er sorgt dafür, dass die indischen Talente die in den Augen vieler besten Trainer der Welt haben. Zur Vorbereitung auf große Turniere stehen sechsstellige Beträge zur Verfügung.
    Talente werden bei Staatsunternehmen angestellt und bekommen so ein Grundgehalt, ohne dort wirklich zu arbeiten. Dadurch ist Indien inzwischen die Topnation im Schach. Auch das Frauen-Team holte bei der Schach-Olympiade Gold, Gukeshs Landsmann Erigaisi ist in der Weltrangliste sogar noch weiter oben und könnte dem Norweger Magnus Carlsen ernsthaft gefährlich werden, dieser ist noch immer die Nummer 1 der Welt.

    Wie läuft die Schach-WM ab?

    Die WM wird bis zum 15. Dezember in Singapur ausgetragen. In maximal 14 klassischen Partien treten Ding und Gukesh gegeneinander an. Ein Sieg gibt einen Punkt, ein Remis 0,5 Punkte. Wer zuerst 7,5 Punkte hat, ist Weltmeister. Steht es 7:7, geht es in den Tiebreak in immer kürzer werdenden Zeitformen.

    Was ist mit Magnus Carlsen?

    Die Nummer eins der Welt, der Norweger Magnus Carlsen, verzichtete erneut auf die WM. Er sagte: "Ich bin nicht motiviert, noch ein WM-Match zu bestreiten. Aus historischen Gründen wäre es interessant, aber es gäbe für mich nicht viel zu gewinnen." Schon 2023 hatte Carlsen nicht teilgenommen, als sich Ding gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi im Tiebreak durchsetzte.
    In Singapur ist Carlsen dennoch dabei. Gegen den Amerikaner Caruana tritt er beim "Freestyle Chess Summit" an. Freestyle, eine neue Variante, bei der die Formation der Schachfiguren vor der Partie ausgelost wird, macht Carlsen mehr Spaß. Mit dem deutschen Unternehmer Jan Henric Buettner hat er ein Unternehmen gegründet. Beide meinen es offenbar ernst: 2025 gibt es eine Turnierserie, erstmals soll ein eigener WM-Titel vergeben werden.
    Allerdings fehlt im klassischen Schach ohne Carlsen weiter ein Aushängeschild. Der Weltverband FIDE dürfte heimlich hoffen, dass der junge Dommaraju Gukesh aus dem schachbegeisterten Indien seiner Favoritenrolle gerecht wird.