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Schackmann-Fallis: Deutsche Sparer werden "dauerhaft enteignet"

Die Herabsetzung des Leitzins auf 0,25 Prozent bedeute einen dauerhafte Zinsverlust für Sparer, sagt Karl-Peter Schackmann-Fallis. Der positive Effekt Investitionen durch die Leitzinssenkung anzukurbeln, müsse dadurch nicht zwangsläufig folgen, sagt der Vorstand des Sparkassen- und Giroverbands.

Karl-Peter Schackmann-Fallis im Gespräch mit Dirk Müller | 11.11.2013
    Dirk Müller: Schon wieder dieser Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank. Er hat eine eigene Vorstellung von einer guten Geldpolitik, von einer guten Euro-Politik im Kampf gegen die hausgemachte Währungskrise. Vor ein paar Tagen haben wir das wieder zu spüren bekommen. Als sind die Zinsen nicht schon tief genug, zeigt Mario Draghi noch einmal mit dem Daumen nach unten auf 0,25 Prozent – wieder ein historischer Tiefstand. Vielleicht gibt es demnächst bei den Banken ja noch Geld zurück, falls Sie einen Kredit brauchen, unken schon einige. Finanzpolitiker und Lebensversicherer sind verschnupft und massiv verärgert, wie auch der treue, verantwortungsbewusste, konservative Sparer. Denn die Einlagen auf dem Sparbuch sind jeden Tag weniger wert, mangels Zinsen und dank der Inflation. Karl-Peter Schackmann-Fallis, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Karl-Peter Schackmann-Fallis: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Schackmann-Fallis, wie viel Geld verliere ich jeden Tag?

    Schackmann-Fallis: Das kann ich Ihnen nicht ausrechnen. Ich kann Ihnen aber sagen, zu welchen Konsequenzen die Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank für Sie und die Sparer in Deutschland führt.

    Müller: Bitte!

    Schackmann-Fallis: Niedrigzinsen bedeuten praktisch dauerhafte Verluste der Sparer, weil sie zu einem realen Rückgang ihrer Zinseinnahmen führen. Wir haben gleichzeitig eine Preissteigerungsrate, die etwas darüber liegt, sodass sie praktisch eine Enteignung der Sparer bedeuten.

    Müller: Wenn ich jetzt zu Weihnachten wie gewohnt ein bisschen Geld bekomme, von meiner Großmutter beispielsweise, dann bringe ich das nicht mehr zur Sparkasse. Was mache ich denn sonst mit dem Geld?

    Schackmann-Fallis: Sie sollten das Geld dennoch anlegen und nicht nur für wahrscheinlich auch sinnvolle Geschenke ausgeben. Leider reagieren die Deutschen genau so, denn sie legen immer weniger auf die hohe Kante. Die Zahlen besagen, dass von 100 Euro Nettoeinkommen 10,30 Euro nicht in den Konsum fließen. Das ist zu wenig für unsere Altersversorgung, das ist aber auch zu wenig zum Erhalt unseres Vermögens.

    Müller: Das habe ich aber jetzt nicht ganz verstanden. Das heißt, wenn das Sparen sich nicht mehr lohnt und jemand auch nicht spekulieren möchte, kein großes Risiko eingehen möchte, welche Alternative hat er?

    Schackmann-Fallis: Sie haben verschiedene Alternativen. Sie können in Immobilien investieren, Sie können aber auch in Wertpapiere investieren, und auch das klassische Sparen ist nicht völlig vom Tisch, denn Sie sollten ja immer einen bestimmten Betrag an sofort verfügbarem Geld haben. Aber lassen Sie uns noch einmal zurückkommen zur EZB-Entscheidung.

    Ich glaube, dass man darüber diskutieren muss, ob diese Entscheidung sinnvoll war. Der eine Grund für Mario Draghi, die Leitzinsen noch einmal auf 0,25 Prozent zu senken, war doch, dass er eine Gefahr der Deflation gesehen hat. Das haben wir in Deutschland nicht. In Deutschland ist es so, dass wir zwar eine vorübergehende Delle haben, aber die beruht auf zurückgehenden Energiepreisen, temporär zurückgehenden Energiepreisen und Auswirkungen des Wechselkurses.

    Müller: Deflation, allgemein zurückgehende Preise, sinkende Preise?

    Schackmann-Fallis: Das wären allgemein sinkende Preise, das wäre schlecht für die Wirtschaft und für das Wachstum. Und sein anderes Motiv ist es, die Zinsen für die südlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union niedrig zu halten, wo das Wirtschaftswachstum nicht in Fahrt kommt.

    Müller: …, obwohl es dort kaum Investitionen gibt und auch jetzt keine Anzeichen zu sehen sind, dass mehr Investitionstätigkeit auf den Weg gebracht wird.

    Schackmann-Fallis: Das ist genau der Grund, warum diese Niedrigzinsen auch dort nicht helfen, denn auch billiges Geld muss nachgefragt werden von den Unternehmen, die es investieren wollen, und wenn diese trotz niedriger Zinsen nicht investieren, dann hat das andere Gründe, die in der allgemeinen wirtschaftlichen Lage dieser Staaten zu suchen sind.

    Müller: Versuchen wir, Herr Schackmann-Fallis, das ganze doch noch einmal auf die finanzpolitische Ebene herunterzubrechen. Bedeutet das ganz klar in der Konsequenz, dass die deutschen Sparer zahlen müssen, blechen müssen für die Eurokrise?

    Schackmann-Fallis: So dramatisch würde ich dies nicht formulieren. Aber die deutschen Sparer werden letztendlich durch negative Realzinsen dauerhaft enteignet, und das führt gerade in unserer alternden Gesellschaft zu erheblichen Lücken in der Altersvorsorge.

    Müller: Sie wollen das nicht so drastisch formulieren. Dann möchte ich noch mal anders herumfragen. Auf der anderen Seite sagen Sie ja, es gibt permanent diese Entwertung. Wir haben monatelang, jahrelang über den deutschen Steuerzahler gesprochen, Rettungsschirm und so weiter, der dort bezahlen muss. Jetzt sind es die Sparer, das haben Sie eben selbst eingeräumt. Ist das im Grunde eine Finanzierung durch die Hintertür?

    Schackmann-Fallis: Ich glaube nicht, dass es eine Finanzierung durch die Hintertür ist, denn Währungspolitik und Geldpolitik hat immer viele Facetten. Die EZB muss die Situation in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sehr unterschiedlich ist, zugegebenermaßen einbeziehen. Aber in Deutschland sind die Auswirkungen drastisch und auch das muss bei der Entscheidungsfindung der EZB eine Rolle spielen.

    Müller: Das heißt, diejenigen, die bisher solide, seriös, einigermaßen vernünftig gewirtschaftet haben, haben jetzt den Nachteil?

    Schackmann-Fallis: So würde ich das auch unterschreiben. Ich glaube deshalb, dass wir in Deutschland reagieren müssen. Wir können nicht darauf warten, bis sich das insgesamt bessert. Einmal ist es natürlich wichtig, dass Deutschland entsprechende Forderungen innerhalb der Europäischen Union aufstellt.

    Europa selbst muss wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkommen. Dafür brauchen wir einen europäischen Antritt. Aber wir können natürlich auch hier bei uns ein klares Signal für mehr Vermögensbildung geben, um diejenigen, die sparen wollen, mehr zu unterstützen. Das bedeutet, wir können die Vermögensbildung über Wertpapiere fördern, wir können aber auch die Vermögensbildung über Immobilien, insbesondere bei den selbst genutzten Immobilien unterstützen, und man könnte auch ein klassisches Instrument, beispielsweise die Riester-Förderung, noch etwas verbessern.

    Müller: Das ist ja auch finanzpolitisch oder sparpolitisch ein bisschen umstritten. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Sie sind ja auch verärgert wie viele, die im System arbeiten. Gibt es da klaren Protest, gibt es da klare Proteste beim Finanzminister, bei Wolfgang Schäuble?

    Schackmann-Fallis: Die Wertpapier-Regulierung hat schon dramatische Auswirkungen für die Wertpapier-Kultur in Deutschland gehabt. Wir stellen fest, dass durch die Einführung des Beschwerde- und Beraterregisters, aber auch durch die immensen Protokollierungspflichten, denen Sie jedes Mal unterzogen werden, wenn Sie einen Wertpapier-Kauf tätigen, die Wertpapier-Beratung in der Fläche zurückgefahren wird und teilweise nicht mehr angeboten wird. Das ist eine Folgewirkung, die niemand wollen kann.

    Müller: …, weil das Vertrauen verschwunden ist ein bisschen? Wir müssen ein bisschen auf die Zeit achten, ich frage das trotzdem. …, weil das Vertrauen verschwunden ist?

    Schackmann-Fallis: Das Vertrauen der Kunden in uns ist nicht verschwunden, aber die Belastung der Kunden steigt enorm an und auch unsere Mitgliedsinstitute leiden unter der Regulierungsflut und können diese Beratungen zum Teil gar nicht mehr darstellen.

    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Karl-Peter Schackmann-Fallis, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Vielen Dank für das Gespräch und danke, dass Sie so früh zur Verfügung standen.

    Schackmann-Fallis: Gerne – auf Wiederhören.


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