Lasius neglectus – so tauften Zoologen die Tierart, die sie vermutlich längere Zeit übersehen haben:
"Die wurde erst in den 70er-Jahren in Europa beschrieben. Daher auch der Name: neglectus – die vernachlässigte Ameise."
Simon Tragust dagegen beschäftigt sich ganz intensiv mit ihr, in einem Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Tierökologie der Universität Bayreuth. Die Art gehört hier eigentlich gar nicht hin. Sie stammt aus Asien und wurde eingeschleppt, wahrscheinlich mit Pflanzenmaterial oder Pflanzenerde. Auch in Deutschland fasst sie Fuß und verdrängt einheimische Ameisen, bevorzugt im städtischen Raum. Zum Beispiel in Jena, Rostock und Fürth:
"Die ist relativ klein, schaut der einheimischen Schwarzen Wegameise, die jeder von Zuhause im Garten kennt, sehr, sehr ähnlich. Einziges Charakteristikum: Wenn sie irgendwo vorkommt, kommt sie in richtigen rauen Mengen vor. Das geht schon in die Richtung Hunderte Millionen. Das Gebiet kann sehr weitläufig sein. Alle Tiere in diesem Gebiet gehören eigentlich zu einer einzigen Kolonie."
Superkolonien haben Konkurrenzvorteile
Die Zoologen sprechen auch von Superkolonien, in denen die Tiere organisiert sind. Und das ist es, was Simon Tragust bei seinen Untersuchungen an der Vernachlässigten Ameise so interessiert.
Bisher geht man davon aus, dass solche Superkolonien große Konkurrenzvorteile haben. Die riesige Zahl von Tieren und alle kooperieren miteinander – da haben andere Ameisenarten keine Chance. Sie werden regelrecht überrannt. Doch Simon Tragust glaubt jetzt, eine Achillesferse der Riesenstaaten entdeckt zu haben. Manche werden von Pilzparasiten befallen, wie man inzwischen weiß. Und da ...
"... haben wir die Hypothese aufgestellt, dass so eine Superkolonie eigentlich anfälliger dafür sein müsste, dass sich Krankheiten in ihr ausbreiten. Da es innerhalb einer Superkolonie keine Grenzen für die Krankheit gibt. Und tatsächlich habe ich in einer Superkolonie die Infektion nachverfolgt über zehn Jahre. Und habe gesehen, dass wir mit einem sehr geringen Infektionslevel gestartet sind. Und jetzt sind dort praktisch 100 Prozent der Ameisen infiziert."
Über 800 Pilzkörper zählte der Bayreuther Biologe auf einzelnen Ameisen. Die Parasiten sitzen auch auf Antennen und Augen. Das beeinträchtigt die Tiere natürlich. Doch tödlich ist der Erreger für die Ameisen wohl nicht. Die Befunde weisen aber einen neuen Weg, um gegen eingeschleppte Arten vorzugehen. Wenn man es denn wollte:
"In Zukunft, wenn man versucht, Schädlingsbekämpfung gegen solche invasiven Ameisen zu betreiben, sollte man versuchen, diese soziale Organisation in einer Superkolonie auszunutzen. Da sich darin sehr einfach natürliche Pathogene verbreiten."
Parasitische Pilze als mögliche Lösung
Es gibt tatsächlich auch tödliche parasitische Pilze. Zum Beispiel bei der weitverbreiteten Roten Waldameise. Sie wird von einem Krankheitserreger mit dem Namen Pandora formicae befallen. Frei übersetzt heißt das so viel wie Ameisenseuche. Dieser Pilz dringt in das Nervensystem seiner Wirte ein und bringt die Ameisen dazu, sich an Grashalmen festzubeißen und zu sterben. In dem toten Körper gedeiht der Pilz dann.
Die Biologin Joanna Malagocka hat dieses Phänomen näher untersucht, an der Universität Kopenhagen in Dänemark, wo sie promoviert:
"Es müsste einen Pilz wie meinen geben, der nicht die Rote Waldameise befällt, die ja nützlich ist. Sondern eingeschleppte Ameisenarten wie die, mit denen Simon Tragust arbeitet. Das wäre ein Glücksfall! Allerdings weiß die Waldameise, mit dem Erreger umzugehen. Tote Tiere werden ständig entfernt. Und so weit ich das einschätzen kann, befällt der Pilz auch nur Ameisen außerhalb der Nester. Drinnen dagegen ist die Kolonie sehr gut gegen den Erreger geschützt."
Was lässt sich also im Moment sagen? Simon Tragusts Grundlagenforschung zeigt, dass Ameisen-Superkolonien durchaus verwundbar sind. Doch einen Pilz, der Lasius neglectus wirklich etwas anhaben kann, müssten Forscher erst noch finden und testen.
Wo die Vernachlässigte Ameise bisher auftaucht, rückt schon mal der Kammerjäger an. Es gibt Fälle, da fielen die Tiere zu Zehntausenden in Häusern ein und legten sogar elektrische Anlagen lahm.