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Schäfer-Gümbel (SPD)
"Die Sozialdemokratie braucht eine Zukunftsdebatte"

SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel hat im Dlf verteidigt, dass die SPD nach der Wahlschlappe nun in die Opposition will. Er sehe sogar eine "staatspolitische Verantwortung", die Führung dort nicht der AfD zu überlassen. Die SPD brauche zudem eine programmatische Erneuerung.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Dirk Müller |
    Thorsten Schäfer-Gümbel (Stellvertretender Parteivorsitzender, SPD) bei der Vorstellung des SPD-Steuerkonzepts zur Bundestagswahl 2017 anlässlich einer Pressekonferenz im Atrium des Willy-Brandt-Hauses am 19.06.2017 in Berlin.
    SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel meint, "dass wir nach einer so schweren Niederlage nicht so tun können, als wäre nichts passiert", und verteidigt die schnelle Erklärung von Martin Schulz, in die Opposition zu gehen. (imago / Müller-Stauffenberg)
    Der SPD-Politiker Schäfer-Gümbel sprach - ebenfalls im Deutschlandfunk - von einer schweren Niederlage. Die Entscheidung seiner Partei, künftig in die Opposition zu gehen, sei richtig. Die Sozialdemokratie müsse sich klar zu Herausforderungen wie etwa der Globalisierung und dem Klimawandel aufstellen.
    Dirk Müller: Die Bundestagswahl, weiterhin unser Thema. 20,5 Prozent – wir haben das schon mehrfach heute Morgen gesagt -, das schlechteste Ergebnis der SPD seit Gründung der Bundesrepublik. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten, Thorsten Schäfer-Gümbel, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Schäfer-Gümbel, haben Sie gewusst, dass die SPD so schlecht ist?
    Schäfer-Gümbel: Dass wir so schlecht abschneiden - nein, das haben wir nicht gewusst. Wir haben zwar Hinweise gehabt durch die ganzen Prognosen in den letzten Wochen, dass wir weiter verlieren werden und dass das trotz der Arbeit, wo wir glauben, dass sie insgesamt ganz gut war, in der Großen Koalition nicht dazu führen wird, dass wir am Ende mehr Stimmen haben.
    "Dass nur gut 20 Prozent rauskommen, war uns nicht klar"
    Dass am Ende etwas über 20 Prozent rauskommen, war uns in den letzten Tagen nicht klar. Wir haben was anderes erwartet. Deswegen war gestern natürlich das ein richtig bitterer, niederschmetternder Tag. Das ist eine schwere Niederlage für uns und die Konsequenzen haben wir dann auch gestern sehr klar und schnell gezogen.
    Müller: Da braucht die SPD eine halbe Stunde für.
    Schäfer-Gümbel: Manchmal braucht man für Entscheidungen eine halbe Stunde, ja.
    Müller: Am Wahlabend schon entscheiden, wir gehen in die Opposition. War das richtig?
    Schäfer-Gümbel: Ja!
    Müller: Warum?
    Schäfer-Gümbel: Weil man, wenn Sie aus einer Koalition mit deutlich weniger Stimmen rausgehen, als Sie reingegangen sind, nicht einfach zurückgehen kann.
    Müller: Macht die Union auch.
    Schäfer-Gümbel: Ja. Ich muss aber nicht für die Union reden. Sie fragen ja nach der Rolle der SPD. Der zweite Punkt ist – und das haben wir auch gestern sehr klar gesagt -, wir werden nicht akzeptieren, dass im Deutschen Bundestag zukünftig die Oppositionsführerschaft von einer Partei übernommen wird, die Rechtsextreme in ihren Reihen duldet und hofiert.
    Staatspolitische Verantwortung die Opposition zu führen
    Müller: Also ist das altruistisch?
    Schäfer-Gümbel: Im Übrigen ist das auch eine staatspolitische Verantwortung, klar zu sagen, dass in einem demokratischen Meinungsstreit die Sozialdemokratie dann die Oppositionsrolle und die Oppositionsführerschaft übernimmt.
    Müller: Das ist jetzt von Ihnen ernst gemeint? Das heißt, altruistisch zu sagen, wir müssen die Oppositionsverantwortung übernehmen, damit die …
    Schäfer-Gümbel: Herr Müller, was ich ernst meine oder nicht, die Frage verstehe ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht. Ich meine, bei aller Wertschätzung für Sie, Sie haben ja auch ein paar politische Überzeugungen. Wir haben klar für uns gesagt, dass wir nach einem solchen Ergebnis in die Opposition gehen müssen. Und ich bin ziemlich sicher: Wenn wir heute Morgen das Interview führen würden und wir gestern Abend entschieden hätten, wir gehen in die Große Koalition, hätten Sie mir die Frage genau anders herum gestellt. Auch das ist übrigens ein Teil des Problems, dass inzwischen bestimmte Haltungen und Fragesituationen wirklich beliebig werden.
    "Wir können nicht so tun, als wäre nichts passiert"
    Das haben wir für uns klar entschieden, Herr Müller, dass wir nach einer so schweren Niederlage nicht so tun können, als wäre nichts passiert, und deswegen werden wir erstens in die Opposition gehen und zweitens in den Gremien, beginnend mit heute, über die Konsequenzen aus diesem Wahlergebnis reden, insbesondere in inhaltlicher Frage, weil es uns ja offensichtlich nicht gelungen ist, mit unseren Antworten Menschen zu überzeugen, dass wir die besseren Antworten haben, aber auch organisatorisch mit Blick darauf, dass wir teilweise in Bundesländern nur noch viertstärkste Kraft sind, insbesondere in Ostdeutschland.
    Müller: Die Partei hat das nicht geschafft. Martin Schulz als Spitzenmann hat das nicht geschafft. Er war Spitzenkandidat und Parteichef. Er ist der Richtige, um die SPD in die Zukunft zu führen?
    Schäfer-Gümbel: Wir haben uns klar entschieden, dass wir jetzt die Aufgabe erst einmal annehmen, um die es wirklich geht. Das ist die Frage der organisatorischen und programmatischen Erneuerung. Wir haben in diesem Wahlkampf wirklich die Ärmel hochgekrempelt. Wir haben gerackert. Martin Schulz hat gerackert.
    Müller: Ja, aber mit einem Programm, was nicht angekommen ist, Herr Schäfer-Gümbel.
    Schäfer-Gümbel: Genau, und deswegen werden wir über die Konsequenzen auch reden. Das haben wir klar verabredet und diesen Prozess wird der Parteivorsitzende anführen.
    "Wir werden gucken: Sind es die falschen Antworten gewesen?"
    Müller: Was haben Sie denn falsch gemacht? Was stimmt nicht im Programm?
    Schäfer-Gümbel: Wenn wir das so einfach wüssten und wenn es ein Schnellschuss wäre, dann hätten wir das gestern Abend schon gesagt. Aber das können wir eben nicht, weil wir davon überzeugt sind, dass wir eigentlich ein gutes Programm hatten, aber es ist uns damit nicht gelungen. Jetzt werden wir uns sehr genau angucken: Sind es die falschen Antworten gewesen? Sind sie nicht kontrolliert genug gewesen, nicht klar genug gewesen? Ist es stärker ein kommunikatives und organisatorisches Problem? Meine Vermutung ist, dass es am Ende ein ziemlich komplizierter Mix aus allem ist, und deswegen ist die Antwort in der Tat nicht einfach.
    Müller: Wir reden gerne über Personalien. Das tun die Journalisten gerne.
    Schäfer-Gümbel: Das tun Sie besonders gerne, das stimmt.
    Müller: Das tue ich besonders gerne, mache ich jetzt auch wieder, weil Sie können uns das bestimmt beantworten. Martin Schulz bleibt Parteichef, abgehakt. Und Andrea Nahles wird Fraktionschefin?
    Schäfer-Gümbel: Die Frage, wie wir uns neu aufstellen, werden wir in den Gremien zuerst besprechen. Da bitte ich wirklich um Verständnis, Herr Müller. Das wissen Sie auch. Wir haben gestern klar gesagt, wir werden die nächsten Jahre Opposition machen.
    "Die Sozialdemokratie braucht eine Zukunftsdebatte"
    Müller: Es ist jetzt schon überall zu lesen, deswegen wollte ich Sie fragen.
    Schäfer-Gümbel: Ja. Aber die Frage, was alle lesen, im Gegensatz zu anderen Leuten beteilige ich mich nicht daran, in Hintergrundkreisen oder sonstigen Geschichten Informationen zu streuen oder zu organisieren. Ich bin da ziemlich strukturkonservativ. Wir haben Gremien, in die wir gewählt wurden, für die wir ein Mandat haben, in denen wir solche Sachen besprechen. Das haben wir gestern verabredet, dass wir das besprechen, und deswegen werde ich weder etwas bestätigen, noch dementieren, und schon gar nicht heute Morgen im Deutschlandfunk, bei aller Wertschätzung für den Deutschlandfunk, den ich wirklich mag.
    Müller: Herr Schäfer-Gümbel, wir schätzen auch Ihre Kooperationsbereitschaft. Wir haben häufiger schon in den vergangenen Monaten nach den Wahlen miteinander geredet, wir beide auch. Sie waren da immer offen und auch immer nachdenklich, und das sind Sie auch heute Morgen wieder, wie wir alle hören können. Ich muss Sie das trotzdem noch einmal fragen. Sie sagen, Programm und so weiter. Dann, wir müssen analysieren, wobei ja viele jetzt sagen, wir hatten ja schon ein paar Monate Zeit zu analysieren und uns dementsprechend zu erweitern, aus Sicht der SPD. Seit Jahren funktioniert das nicht mehr, seit Jahren geht das richtig schief, und diejenigen, die in der Spitze dafür verantwortlich sind, werden meistens danach dann auch noch Spitzenkandidaten oder bleiben ganz oben, wie Frank-Walter Steinmeier beispielsweise, der das zweitschlechteste Ergebnis der SPD jemals zu verantworten hatte. Der wurde dann gleich Fraktionschef, auch an dem Abend. Da haben sich auch nachher viele gefragt, konnten die sich nicht ein bisschen mehr Zeit nehmen. Woran liegt es wirklich in der SPD? Ist die Partei insgesamt nicht mehr attraktiv genug?
    Schäfer-Gümbel: Ich habe vor ein paar Wochen ein Interview im Hessischen Rundfunk gegeben, das dann teilweise anders interpretiert wurde bei "Focus Online", in dem ich gesagt habe auf sehr grundsätzliche Fragen, wo wir hinmüssen als Sozialdemokratie, dass wir eine Zukunftsdebatte brauchen.
    "Bei den großen Fragen, glaube ich, sind alle relativ blank"
    Ich habe vor zwei Jahren gesagt, dass die SPD einsteigen muss in einen Prozess für ein neues Grundsatzprogramm. Das ist dann von manchen Kollegen aufgenommen worden nach dem Motto, jetzt gründen sie wieder einen Arbeitskreis. Darum geht es nicht. Wir wissen, dass wir große Aufgaben haben. Die Globalisierung verändert die Welt. Die Digitalisierung verändert die Welt, auch die Frage, wie sich die Arbeitsgesellschaft verändert. Der Klimawandel fordert uns, die zunehmende Ungleichheit. Und diese großen Fragen, da, glaube ich, sind alle relativ blank, wie stellen wir uns auf, um dieser, sich veränderten Welt in Zukunft die richtigen Antworten zu geben. Da ist gerade die SPD besonders gefordert und diese Debatte brauchen wir.
    Müller: Thorsten Schäfer-Gümbel, wir müssen noch häufiger über die Zukunftsfrage der SPD reden, gerne auch mit Ihnen. Ich danke ganz herzlich, dass Sie Zeit gefunden haben. Die Nachrichten kommen im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.