Aus 20,7 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl könne man keinen Regierungsauftrag ableiten, sagte Schäfer-Gümbel. Zudem überließe die SPD bei einem Eintritt in eine Regierung einer "im Kern rechtsextremistischen Partei" - der AfD - die Oppositionsführung im Bundestag. Auch das sei Teil des Problems.
Schäfer-Gümbel verwies auf Umfragen, wonach eine klare Mehrheit der Bürger sagen, nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen bevorzugten sie nun Neuwahlen. Nach seiner Einschätzung wird es auch dazu kommen.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis, die haben viele ja als Theaterspektakel mit Balkon kritisiert, als Inszenierung, deren Happy End doch sowieso schon im Drehbuch stehe. Diese Kritik, das wissen wir jetzt seit gut 30 Stunden, die war unberechtigt. Das wissen wir, seitdem die Jamaika-Sondierungen geplatzt sind. Und jetzt kommen die Sozialdemokraten wieder in den Fokus. Gemeinsam mit der Union hätten sie im Bundestag ja sogar mehr Mandate als Jamaika. Aber als wäre nichts gewesen, so hat die SPD ihre Absage an eine Wiederauflage der Großen Koalition gestern wiederholt, und darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Thorsten Schäfer-Gümbel, Chef der Sozialdemokraten in Hessen und im Bund stellvertretender Parteivorsitzender. Schönen guten Morgen!
Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen! – Ich grüße Sie.
Mahnung des Bundespräsidenten ist richtig
Schulz: Die SPD hält ja an ihrer Absage fest an eine Große Koalition. Sie halten Neuwahlen für den richtigen Weg. Soll jetzt einfach so lange gewählt werden, bis das Ergebnis den Parteien in Berlin passt?
Schäfer-Gümbel: Nein, natürlich nicht. Insofern ist die Mahnung des Bundespräsidenten auch richtig. Alle Beteiligten waren, glaube ich, vielleicht mit Ausnahme der FDP, hinreichend überrascht, dass diese Sondierungen am Ende dann doch gescheitert sind, weil ja vor der Bundestagswahl alle Beteiligten wechselweise Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün oder die schwarze Ampel gewünscht haben und sie am Ende dann nichts hingekriegt haben. Und ich finde, dass übrigens die Bundeskanzlerin wirklich gefordert ist, jetzt mal zu sagen, woran es eigentlich gescheitert ist. Wir reden seit 30 Stunden über eine schwierige verfahrene politische Situation, ohne wirklich zu wissen, was da eigentlich passiert ist, und ich finde schon, dass die Bundeskanzlerin jetzt in der Verantwortung ist, zunächst mal zu erklären, warum ist das gescheitert.
Schulz: Diese Vergangenheitsbewältigung, Herr Schäfer-Gümbel, die läuft ja jetzt. Wir beide allerdings werden das jetzt in den nächsten Minuten nicht klären können. Deswegen würde ich gerne nachfragen, weil Sie ja gerade sagen, die Mahnungen sind wichtig vom Bundespräsidenten Steinmeier. Warum hält die SPD sich denn da nicht dran?
Schäfer-Gümbel: Wir halten uns ja daran. Es wird ja Gespräche geben. Aber es ändert ja grundsätzlich erst einmal nichts daran, dass wir vor acht Wochen ein Bundestagswahlergebnis eingefahren haben, das für uns extrem bitter war, das eine Niederlage war. Wir haben ein Fünftel unserer Wählerinnen und Wähler im Vergleich zu 2013 verloren.
Wir haben fast 40 Prozent im Vergleich zur Bundestagswahl 2003 verloren. Das heißt, wir haben ein echtes Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen, und wir haben schlicht keinen Regierungsauftrag erhalten. Daraus haben wir Verantwortung übernommen und gesagt, okay, wir müssen ganz offensichtlich hinschauen, was passiert ist in den letzten Jahren, warum wir diese Niederlage eingefahren haben, und man kann jetzt, 30 Stunden nachdem die Jamaikaner sich entschieden haben, jetzt doch nicht zusammenzuarbeiten, daraus auf einmal einen neuen Regierungsauftrag ableiten.
"Bei Neuwahlen wären wir sehr schnell handlungsfähig"
Schulz: Aber jetzt sagen Sie uns das noch mal ganz genau. Diese Einschätzung und auch diese Einordnung, wir brauchen jetzt mal Zeit für uns, wir können uns jetzt nicht hier mit dem Regieren beschäftigen, sorry, die Zeit haben wir jetzt nicht. Was ist denn das anderes als parteitaktisches Kalkül?
Schäfer-Gümbel: Frau Schulz, das habe ich nicht gesagt und das ist jetzt auch eine Unterstellung. Ich habe nicht gesagt, dass wir uns jetzt rausnehmen und Zeit nehmen, bis zum Sankt Nimmerleinstag über alles Mögliche zu diskutieren. Wenn es zu Neuwahlen kommt – und nach Artikel 63 des Grundgesetzes gibt es auf dem Weg ja auch andere Möglichkeiten, die wir überhaupt nicht zu entscheiden haben -, aber wenn es zu Neuwahlen kommt, werden Sie sehen, dass wir sehr schnell handlungsfähig sind, weil wir natürlich ein Gefühl dafür haben, wo wir Fehler gemacht haben, und darüber diskutieren wir seit Wochen.
Aber es ist schlicht und einfach so, dass Sie mit 20,7 Prozent keinen Regierungsauftrag ableiten können. Man kann da nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, abgesehen davon, dass, wenn wir es tun würden, zukünftig Oppositionsführer eine im Kern rechtsextremistische Partei im Deutschen Bundestag wäre, und auch das ist ein Teil des Problems, mit dem wir uns beschäftigen. Das kann man gerne ignorieren, aber wir werden es auch in unserer staatspolitischen Verantwortung nicht tun.
Schulz: Das haben Sie als Argument jetzt ja wirklich auch sehr oft gesagt.
Schäfer-Gümbel: Das ist ja auch ein richtiges Argument – und ein wichtiges.
"Verheerender Führungsstil von Frau Merkel"
Schulz: Das ist ja eine reine Interpretation, diese Feststellung. Dass Sie keinen Regierungsauftrag haben, das ist ja eine reine Interpretation. Die Wähler, die wählen ja keine Koalition, und jetzt im Moment ist es ja so, dass die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag so sind – ich habe es eben ja schon angedeutet oder vorgerechnet -, dass die Mandate, auf die die Große Koalition zusammen käme, ja sogar mehr sind, als Jamaika hätte.
Schäfer-Gümbel: Das stimmt. Aber es geht ja hier nicht um Arithmetik alleine. Noch einmal: Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün, Jamaika hat vor der Bundestagswahl wechselweise sich erklärt, dass sie es sich herbeiwünschen. Viele Kommentatorinnen und Kommentatoren waren der Auffassung, dass die Sozialdemokratie in die Opposition muss. Jetzt sind die Wunschpartner gescheitert. Jetzt auf einmal kommen alle, die uns erklärt haben, dass die Entscheidung auch richtig war, und erklären, jetzt müssten wir uns aber umentscheiden. Und dabei hat sich in den letzten acht Wochen nur eins geändert, dass in einem verheerenden Führungsstil von Frau Merkel sie am Ende nichts hingekriegt hat nach der Bundestagswahl.
Das ist im Kern ein Problem, keine Frage, aber unsere Verfassung hat dafür ja auch Mechanismen. Wir haben eine funktionierende Regierung mit der geschäftsführenden Bundesregierung. Wir haben Verfahren. Darüber wird der Bundespräsident wie gestern angekündigt reden. Dann werden wir am Ende dieses Prozesses sehen, wo wir stehen, und das wird natürlich auch alles miteinander intensiv weiter beraten. Ich glaube, dass wir alle wissen, dass wir in keiner einfachen Situation sind. Aber wenn ich die Umfragen der letzten Tage zur Kenntnis nehme, sagt auch dort weiterhin eine klare Mehrheit, nachdem die Wunschkonstellation Jamaika nicht zustande gekommen ist, möchten die Bürgerinnen und Bürger jetzt die Lage neu bewerten, und ich weiß überhaupt nicht, warum wir uns dem gegen erwehren.
Wichtige Hinweise auf dem Landesparteitag
Schulz: Aber die Umfragen sagen ja auch, die Sonntagsfragen und die Umfragen sehen ungefähr genauso aus wie das Wahlergebnis. Was daran wäre denn eine Neubewertung der Lage?
Schäfer-Gümbel: Na ja. Das werden wir dann sehen, wenn erstens ein Wahlergebnis da ist. Als Hesse habe ich gelernt, auf Umfragen nicht so sonderlich viel zu geben, zumindest wenn sie das Wahlergebnis versuchen abzuzeichnen. Zweitens werden alle Parteien sich sicherlich auch ein Stück weit programmatisch neu aufstellen.
Zumindest für uns kann ich das sagen. Wir können ja schlecht jetzt acht Wochen darüber reden, dass wir erkennbarer werden wollen, dass wir mutiger werden wollen, und dann ein Wahlprogramm vorlegen, das im Kern dasselbe ist. Das heißt, wir werden sehr schnell jetzt Entscheidungen treffen müssen, und ich werde beispielsweise auf unserem Landesparteitag am Samstag dazu wichtige Hinweise geben.
Schulz: Die Sie jetzt aber hier an dieser Stelle noch nicht geben wollen.
Schäfer-Gümbel: Nee!
Schulz: Jetzt haben Sie uns natürlich neugierig gemacht. Das ist ja klar.
Schäfer-Gümbel: Ja, das war auch Absicht.
Neuwahlen - das Ergebnis, das am Ende herauskommen wird
Schulz: Okay, halten wir so fest. – Noch mal der Blick auf die nach wie vor ernste Lage in Berlin. Sie setzen auf Neuwahlen. Sie setzen auch darauf, dass Bundespräsident Steinmeier den Weg freimachen wird für diese Neuwahlen. Das ist ja überhaupt nicht ausgemacht. Was macht Sie denn da so sicher?
Schäfer-Gümbel: Mich macht unter anderem sicher, dass sich schon gestern alle anderen Parteien auch auf den Weg gemacht haben zur Vorbereitung. Die Kanzlerin hat ja klar gesagt, sie will keine Minderheitenregierung, dass sie dann auch Neuwahlen möchte. Bündnis 90/Die Grünen sieht das so. Von daher wird das, glaube ich, das Ergebnis sein, das am Ende rauskommt.
Schulz: Wenn wir, wenn das Land vor Neuwahlen steht, dann war das Ihre Andeutung eben, zusammen genommen mit dem Hinweis gestern von Martin Schulz auf das Vorschlagsrecht des Parteivorsitzenden, was den Kanzlerkandidaten betrifft, dann gehen Sie jedenfalls nicht mit Martin Schulz in die Bundestagswahl als Spitzenkandidat?
Schäfer-Gümbel: Über Personalaufstellungen haben wir noch gar nicht geredet. Wir haben uns gestern sehr intensiv mit der Gesamtlage beschäftigt und der Frage, wie wir in die Gespräche auch mit dem Bundespräsidenten gehen beziehungsweise Martin Schulz das tun wird, was unsere Grundauffassung wenige Stunden nach dem Scheitern der Wunschkonstellation von Angela Merkel geworden ist. Und die Frage, was personell und strategisch die Aufstellung ist, werden wir in den nächsten Tagen besprechen.
Geordnete Verfahren für zentrale Fragen
Schulz: Herr Schäfer-Gümbel, ich weiß, Sie haben nicht mehr viel Zeit. Aber die Nachfrage muss ich noch los werden. Sie sagten mir gerade, Sie können schnell reagieren, das ist alles vorbereitet. Wie passt dazu jetzt, dass Sie mir sagen, Sie haben über Personalien noch gar nicht geredet?
Schäfer-Gümbel: Weil ich zentrale Fragen ganz sicherlich nicht heute Morgen über den Deutschlandfunk bespreche, sondern dafür gibt es geordnete Verfahren. Das haben wir übrigens gelernt auch aus dem letzten Jahr, dass wir nicht mehr Sturzgeburten vorbereiten. Aber dass wir schnell handlungsfähig sind, haben wir auch immer wieder bewiesen. Aber heute Morgen ist nicht der Ort, das bei Ihnen zu verkünden.
Schulz: Okay, alles klar. Trotzdem danke bis hierhin an den SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke!
Schäfer-Gümbel: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.