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Schändung der Kölner Synagoge vor 60 Jahren
Beginn einer Welle antisemitischer Vorfälle

1958 waren laut Meinungsumfragen 22 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, es sei besser, wenn keine Juden in Deutschland lebten. Nach der Schändung der Kölner Synagoge durch Rechtsradikale am Heiligen Abend des Jahres 1959 entluden sich solche Ressentiments in einer Welle antisemitischer Schmierereien.

Von Wolfgang Stenke |
    Die Front der Synagoge in der Kölner Roonstrasse
    Auch nach den unfassbaren Verbrechen des Holocaust flammt der Antisemitismus in Deutschland in den 60er-Jahren wieder offen auf (Bildagentur-online)
    "Die Zeit im Funk. (…) Mit Entsetzen vernahm nicht nur die deutsche Bevölkerung, auch das Ausland die Nachricht von der Schändung der eben erst wieder aufgebauten Kölner Synagoge und des Kölner Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus."
    Zeugen des Geschehens an der Synagoge auf der Kölner Roonstraße in der Heiligen Nacht des Jahres 1959 waren der Gymnasiast Klaus Rath und seine Mutter.
    "Wir waren in der Christmette im Dom. Wir sind dann auf dem Heimweg an der Synagoge an dem jüdischen Gemeindezentrum vorbeigekommen und haben dort eine Schmiererei in weißer Farbe auf der Außenwand entdeckt."
    "Deutsche fordern: Juden raus".
    "Der erste Gedanke war, das abzuwaschen, damit kein Skandal daraus wurde, und dann sind wir direkt in unsere Wohnung gegangen (…) und haben die Polizei benachrichtigt."
    Die Täter waren Mitglieder der Deutschen Reichspartei
    Die Polizei entdeckte noch weitere Schmierereien: Hakenkreuze am Eingang der Synagoge. Am ersten Weihnachtstag nahm die Kölner Polizei die Täter fest: Arnold Strunk, Bäckergeselle, und Paul Schönen, Angestellter, – beide 25 Jahre alt.
    "Eine erste Haussuchung bei dem Bäckergesellen Strunk führte auf die Spur der wahrscheinlichen Hintermänner. Sein Zimmer war tapeziert mit Plakaten der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei."
    Strunk und Schönen, beide überzeugte Antisemiten, waren Mitglieder der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei, die später in der NPD aufging. In der ersten Vernehmung erklärte Strunk:
    "Ich wollte dagegen protestieren, dass artfremde Einflüsse in der Bundesrepublik Oberhand gewinnen. Die Juden sollen nicht alle führenden Stellen in der Politik und Wirtschaft besetzen."
    Trügerische Hoffnung auf ein friedliches Miteinander
    Der Anschlag der jungen Rechtsradikalen galt einem Gotteshaus, das am 9. November 1938 von Nationalsozialisten verwüstet worden war. Der Wiederaufbau der Synagoge war ein Symbol: Anderthalb Jahrzehnte nach dem millionenfachen Massenmord gab es in Köln wieder eine Heimstatt für Juden. Und so sprach Rabbiner Zvi Asaria im September 1959 zur Weihe des Hauses, der auch Bundeskanzler Adenauer beiwohnte:
    "Himmlischer Vater, Herr der Welt, gib, dass die im Innersten erschütterte Menschheit den Weg zum wahren Frieden finde."
    Die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander erwies sich angesichts der antisemitischen Parolen auf der Synagogenwand als trügerisch. Politiker, Medien und viele Bürger reagierten empört. Bundeskanzler Adenauer im Januar 1960:
    "An meine deutschen jüdischen Mitbürger wende ich mich heute und sage ihnen, sie können völlig unbesorgt sein. Dieser Staat steht mit seiner ganzen Macht hinter ihnen. (…) Meinen deutschen Mitbürgern insgesamt sage ich: Wenn ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, vollzieht die Strafe auf der Stelle und gebt ihm eine Tracht Prügel."
    Gesetzgeber verschärfte Volksverhetzungsparagraphen 130 StGB
    Um die Täter von Köln kümmerte sich die Justiz: Strunk wurde zu vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt, Schönen erhielt zehn Monate.
    Die Schmierereien an der Kölner Synagoge waren der Beginn einer Welle ähnlicher Taten: Bis Mitte Februar 1960 wurden 833 antisemitische Vorfälle im Bundesgebiet registriert. Der Gesetzgeber verschärfte daraufhin den Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuches. Konsequenzen gab es auch in der politischen Bildung. Der Berliner Historiker Wolfgang Benz:
    "Die außerschulische politische Bildung hat dann sehr große Anstrengungen unternommen, um durch Vorträge, durch Broschüren, durch Aufklärung über Nationalsozialismus (…), über die Entrechtung, Verfolgung, Diskriminierung von Juden, aufzuklären."
    Gleichbleibender Bodensatz antijüdischer Einstellungen
    Dennoch registrieren Meinungsforscher, damals wie heute, einen gleichbleibenden Bodensatz an antijüdischen Einstellungen. Im Vergleich zu 1959 ist aber die öffentliche Sensibilität gewachsen.
    "Die offiziellen Stellen sind äußerst bemüht, Flagge zu zeigen: ‚Wir bekämpfen das‘, etwa durch Beauftragte gegen Antisemitismus. Und das sollte man honorieren als Zeichen dafür, dass Antisemitismus in Deutschland geächtet ist und kriminalisiert wie in keinem anderen Land der Erde."