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Schafe statt Grenzer

Dort, wo einst Grenzer patrouillierten, grasen heute Schafe und Ziegen: Denn die Pflanzen- und Tierwelt in der Grenzregion zwischen Hessen und Thüringen kann nur dauerhaft existieren, wo Schäfer mit ihren Herden durchziehen.

Von Lutz Reidt |
    Ingolf Röhlert und seine Helfer sind in ihrem Element. Unermüdlich treiben sie rund 300 Schafe über eine Wiese nordwestlich von Eisenach, nahe der thüringisch-hessischen Grenze. Zwischen den Schafen tollen auch einige Ziegen umher. Die fressen das, was die Schafe bei ihrem Weidegang verschmähen, nämlich Disteln und Heckensträucher wie Brombeere oder Weißdorn:

    "Die fressen die Hecken ab, damit die Hecken nicht so hoch wachsen auf der Weide. Am besten gehen sie dran, wenn es regnet. Dann gehen sie an die Hecken dran. Ziegen sind eben Naschtiere. Die naschen, was ein Schaf nicht macht."

    In vielen Bereichen entlang des fast 1400 Kilometer langen Grünen Bandes dienen Schafe und Ziegen dem Naturschutz. Dort, wo sie weiden, kommen nur wenige Bäume und Sträucher hoch - und das ist gewollt; so auch im Naturschutzgebiet Kielforst nordwestlich von Eisenach, in Sichtweite der Wartburg.

    Die wiederholten Weidegänge bewahren einen Kalkmagerrasen, der mit bunten Blüten das Bild im Grünen Band dominiert: das Blau von Glockenblume und Wegwarte, das Gelb von Johanniskraut und Odermännich sowie das Weiß von Wilder Möhre und Augentrost. All diese Blütenpflanzen des Magerrasens sind Hungerkünstler. Sie konnten sich im Grenzstreifen nur deshalb etablieren, weil die Böden während all der Jahrzehnte auch wirklich mager blieben und kein Landwirt Dünger ausgebracht hat. Die Geografin Karin Kowoll vom BUND in Thüringen:

    "Und wenn man die Artenvielfalt in der gedüngten Wiese mit dem Magerrasen vergleicht, muss man einfach feststellen: Auf dem Magerrasen gibt es eben viel mehr verschiedene Pflanzen. Auf der Fettwiese wachsen wenige Pflanzen und die wachsen wunderbar. Es sieht alles ganz doll grün und frisch aus: Pflanzen wie jetzt beispielsweise Löwenzahn, Klee und ganz viele Gräser, die einfach so schnell nach oben schießen, dass dann kein Licht für die anderen Pflanzen übrig ist."

    Eine üppige Stickstoffgabe wäre sofort das Aus für die Blütenpracht im Grünen Band; und ein ungebremstes Wachstum von Sträuchern und Bäumen ebenso. Deswegen sorgen Schafe und Ziegen entlang des Grünen Bandes dafür, dass nicht überall die Biotopkette vom Wald überwuchert wird. Ohne Eingriffe wäre das nämlich langfristig zu erwarten, sagt Kai Frobel vom Bund Naturschutz:

    "Dafür gibt es sogar bundesweit ein Pflege- und Entwicklungskonzept, und für jeden Teilbereich des Grünen Bandes gibt es da ganz konkrete Zielvorstellungen: Entweder sein lassen, Mut zur Lücke haben, also Mut zum Zuschauen und viel Geduld; bei manchen Waldtypen, da muss man dann halt in 100 Jahren mal wieder hinschauen, und dann ist da sicher ein ganz toller Urwald entstanden; und andere Bereiche, wo man dann aus Gründen des Artenschutzes und um bestimmte Artenkombinationen zu halten, tatsächlich mit einem Schäfer oder einer ganz extensiven Rinderbeweidung reingeht."

    Und wenn das nächste Mal wieder Ingolf Röhlert mit seiner Herde ins Naturschutzgebiet Kielforst kommt, dann hilft er das zu bewahren, was Karin Kowoll hier am meisten schätzt: den ausgeprägten Küchenduft, der aus der bunt blühenden Pflanzendecke empor wabert.

    "Wir haben hier einen würzigen Duft. Und der ist ganz klar auf unsere bekannten Küchenkräuter zurückzuführen, und das ist der Oregano und das ist der Thymian. Das sind Kräuter, die man in ihrer Kulturform auch in der Küche verwendet. Die sind auch bei bestimmten Insekten sehr beliebt, so findet sich gerade hier oben im Naturschutzgebiet Kielforst auch der Thymianameisenbläuling. Das ist ein ganz, ganz seltener Tagfalter, der ganz stark gebunden ist; zum einen an die bestimmte Ameisenart, die auf diesen Magerrasen vorkommt, als auch an die dazu gehörigen Pflanzen. So geht er zum Beispiel auf den Feldthymian."