Christoph Heinemann: Dieser Freitag bildet den Auftakt zur Bibliothekswoche. Der 24. Oktober ist der "Tag der Bibliotheken". Seit 1995 übrigens damals eingerichtet von der Deutschen Literaturkonferenz unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Rund 11.500 Büchereien gibt es in Deutschland, von der Staats- und Universitätsbibliothek bis hin zum Bücherbus, und zu den Perlen gehört die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek in Weimar. Auf den Tag genau heute vor einem Jahr wurde die Bibliothek wieder eröffnet, nach der Feuersbrunst im September 2004, und mit ihrem Leiter, Dr. Michael Knoche, sind wir in Weimar verbunden. Guten Morgen!
Michael Knoche: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den September 2004 denken?
Knoche: Da sind die Bilder der schrecklichen Brandnacht natürlich immer noch lebendig. Andererseits ist es jetzt über vier Jahre her und hinter uns liegt eine große Aufholjagd, um die Schäden zu minimieren, die an diesem 02. September 2004 eingetreten sind. Die Schäden am Gebäude haben wir inzwischen sanieren können. Seit einem Jahr ist die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek wieder komplett saniert. Aber die Schäden an den Buchbeständen, die stehen natürlich noch vor unseren Aufgaben. Da haben wir zwar viel geschafft, aber da ist noch viel zu tun.
Heinemann: Und einen Teil konnten Sie aber ersetzen. Wie ist das gelungen?
Knoche: Wir haben insgesamt 50.000 Bände verloren und diese Verluste versuchen wir, durch Wiederkäufe zu kompensieren - auf dem Antiquariatsmarkt, auf Auktionen oder durch Geschenke von Einzelpersonen oder Bibliotheken. Da liegen wir jetzt bei etwa 18.000 Bänden, die wir seit der Katastrophe wiederbeschaffen konnten.
Auf der anderen Seite haben wir die zu restaurierenden Bände. Das sind 62.000 beschädigte Bände aus der Brandnacht. Auch da liegen wir ungefähr bei derselben Quote von Bänden, die inzwischen wieder zur Verfügung stehen.
Heinemann: Wie restauriert man ein durch Feuer geschädigtes Buch? Wie muss man sich das vorstellen?
Knoche: Das ist ziemlich komplex. Wir gehen da nach verschiedenen Schadensarten und Materialarten vor. Ein Buch mit einem Pappeinband, das feucht geworden ist, muss anders behandelt werden als ein Pergamenteinband, der feucht und noch vom Feuer angesengt wurde. Für alle verschiedenen Arten von Schäden haben wir Konzepte entwickelt. Wir haben zum Beispiel jetzt alle Pappeinbände abgearbeitet und gehen nun zu den Ledereinbänden über. Das ist zum Teil sogar noch mit kleineren Forschungsaufgaben verbunden.
Heinemann: Herr Knoche, 90.000 Besucher haben die Anna-Amalia bis heute besichtigt, nur 90.000. Sie müssen die Zahl der Besucher aus Gründen des Denkmalschutzes ein bisschen begrenzen. Das Wort "besichtigen" klingt nach Museum.
Knoche: Ja. Die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek hat immer schon ein doppeltes Gesicht gehabt, als Bibliotheksmuseum und als aktive Forschungsbibliothek. Seit Anna-Amalias Zeiten, kann man sagen. Auch damals ist der Kaiser von Russland oder von Frankreich als neugieriger Gast in die Bibliothek geführt worden und so tun es eben heute Tausende von Touristen, die nach Weimar kommen. Aber unsere Hauptaufgabe ist natürlich, die historischen Buchbestände, die unser Eigen sind, der Forschung zur Verfügung zu stellen. Das ist einfach ein Spagat, den wir erreichen müssen, und es geht jetzt auch einigermaßen gut, weil wir das historische Gebäude weit gehend als Bibliotheksmuseum jetzt ausgebaut haben, daneben aber das Studienzentrum betreiben, in dem die wissenschaftliche Benutzung stattfinden kann.
Heinemann: Da ist die Anna-Amalia eine Besonderheit. Reden wir über die Aufgabe der Bibliotheken. Wer möchte, kann sich heute Bücher preiswert besorgen. Für spezielle Recherchen gibt es das Internet. Also: wofür noch Bibliotheken?
Knoche: Bücher werden auch immer im Original gebraucht. Jetzt spreche ich einmal von der Forschung, von der kulturhistorischen Forschung. Es sind andere Fragestellungen, die man mit dem originalen Buch beantworten kann, zum Beispiel wenn es kunsthistorisch künstlerisch interessant ist, als wenn man nur sich auf die textlichen Inhalte bezieht. Aber es ist auch ganz klar: wenn es nur um die textlichen Inhalte geht, dann wird die elektronische Präsentation zunehmend wichtig werden. Auch in den alten Bibliotheken zieht der Computer ein und braucht immer mehr Raum.
Heinemann: Auf der Frankfurter Buchmesse wurde ein Gast bestaunt, der so modern ist, dass es für ihn bislang nur einen englischen Ausdruck gibt, nämlich das e-book. Wird dieses Gehäuse die Bibliotheken verändern?
Knoche: Ja! Das e-book ist bereits heftig dabei, die Bibliotheken zu verändern. An vielen wissenschaftlichen Bibliotheken spielen e-books schon seit ein paar Jahren eine große Rolle. Was auf der Buchmesse nur neu war, war das Leseendgerät. Das hat sich eben weiter verbessert und ist jetzt so attraktiv geworden, dass auch die normalen Leser und Benutzer damit arbeiten können. Aber an den Hochschulen werden Texte schon seit einigen Jahren runtergeladen, aber dann eben auf die normalen Laptops und PCs.
Heinemann: Gibt es dann eines Tages die e-Bibliothek?
Knoche: Die wird es sicher geben. Es wird Bibliotheken geben, die praktisch nur noch einen Ort darstellen, wo man lernen kann, wo man einen Zugang zum Netz hat, aber die keine Bücher mehr enthalten. Es wird Bibliotheken geben, die beides haben, das elektronische Angebot, aber natürlich auch noch die alten Druckschriften. Ich glaube, die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek wird zu der zweiten Kategorie von Bibliotheken gehören.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Michael Knoche, dem Leiter der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek in Weimar. - Herr Knoche, Bibliotheken brauchen neue Bücher und sie brauchen neue Leser. Wie bekommt man Kinder und Jugendliche in Bibliotheken und Büchereien?
Knoche: Indem man zum Beispiel eine solche Kampagne macht, wie sie der Deutsche Bibliotheksverband heute startet, "Deutschland liest", und indem man zum Beispiel auch eine gute Arbeit an den Schulen betreibt. Zum Beispiel gibt es in Deutschland viel zu wenig normale Schulbibliotheken. Nur eine ganz kleine Minderheit von Schulen betreibt Bibliotheken. Und das wäre mein wichtigster struktureller Ansatz, um die Bibliotheken im Leben von Schülern, Jugendlichen und auch Erwachsenen besser zu etablieren - "schafft Schulbibliotheken!".
Heinemann: Was nutzen diese Bibliotheken, wenn sich die Schüler um die Plätze vor dem PC prügeln?
Knoche: Richtig. Die Bibliotheken müssen auch entsprechend ausgestattet sein. Sie brauchen aber auch beide Formen von Medien, die gedruckten und die elektronischen, und müssen dann lernen, in der Schulbibliothek auch mit diesen Medien zurecht zu kommen, zu sehen wie man Informationen recherchiert und dass man nicht jeder Information im Netz Glauben schenken kann, die man schnell über eine Suchmaschine sich herauspickt.
Heinemann: Wie wichtig ist und welche Bedeutung hat für Sie dieser 24. Oktober, also der offizielle Tag der Bibliotheken?
Knoche: Dieser Tag ist ja auch der 269. Geburtstag von Herzogin Anna-Amalia und vor einem Jahr haben wir nicht zufällig die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek genau an diesem Tag wiedereröffnet. Mit diesem Tag sind dann für mich persönlich auch große Emotionen und Erinnerungen verbunden an das vergangene Jahr, als der Bundespräsident in Weimar seine große Bibliotheksrede gehalten hat und den Bibliotheken und Bibliothekaren auch Mut gemacht hat, dieses Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen.
Heinemann: Aber für Sie gibt es wahrscheinlich 365 Tage der Bibliotheken im Jahr?
Knoche: Das ist allerdings richtig, ja.
Heinemann: Michael Knoche, der Leiter der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Knoche: Bitte schön! Auf Wiederhören.
Michael Knoche: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den September 2004 denken?
Knoche: Da sind die Bilder der schrecklichen Brandnacht natürlich immer noch lebendig. Andererseits ist es jetzt über vier Jahre her und hinter uns liegt eine große Aufholjagd, um die Schäden zu minimieren, die an diesem 02. September 2004 eingetreten sind. Die Schäden am Gebäude haben wir inzwischen sanieren können. Seit einem Jahr ist die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek wieder komplett saniert. Aber die Schäden an den Buchbeständen, die stehen natürlich noch vor unseren Aufgaben. Da haben wir zwar viel geschafft, aber da ist noch viel zu tun.
Heinemann: Und einen Teil konnten Sie aber ersetzen. Wie ist das gelungen?
Knoche: Wir haben insgesamt 50.000 Bände verloren und diese Verluste versuchen wir, durch Wiederkäufe zu kompensieren - auf dem Antiquariatsmarkt, auf Auktionen oder durch Geschenke von Einzelpersonen oder Bibliotheken. Da liegen wir jetzt bei etwa 18.000 Bänden, die wir seit der Katastrophe wiederbeschaffen konnten.
Auf der anderen Seite haben wir die zu restaurierenden Bände. Das sind 62.000 beschädigte Bände aus der Brandnacht. Auch da liegen wir ungefähr bei derselben Quote von Bänden, die inzwischen wieder zur Verfügung stehen.
Heinemann: Wie restauriert man ein durch Feuer geschädigtes Buch? Wie muss man sich das vorstellen?
Knoche: Das ist ziemlich komplex. Wir gehen da nach verschiedenen Schadensarten und Materialarten vor. Ein Buch mit einem Pappeinband, das feucht geworden ist, muss anders behandelt werden als ein Pergamenteinband, der feucht und noch vom Feuer angesengt wurde. Für alle verschiedenen Arten von Schäden haben wir Konzepte entwickelt. Wir haben zum Beispiel jetzt alle Pappeinbände abgearbeitet und gehen nun zu den Ledereinbänden über. Das ist zum Teil sogar noch mit kleineren Forschungsaufgaben verbunden.
Heinemann: Herr Knoche, 90.000 Besucher haben die Anna-Amalia bis heute besichtigt, nur 90.000. Sie müssen die Zahl der Besucher aus Gründen des Denkmalschutzes ein bisschen begrenzen. Das Wort "besichtigen" klingt nach Museum.
Knoche: Ja. Die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek hat immer schon ein doppeltes Gesicht gehabt, als Bibliotheksmuseum und als aktive Forschungsbibliothek. Seit Anna-Amalias Zeiten, kann man sagen. Auch damals ist der Kaiser von Russland oder von Frankreich als neugieriger Gast in die Bibliothek geführt worden und so tun es eben heute Tausende von Touristen, die nach Weimar kommen. Aber unsere Hauptaufgabe ist natürlich, die historischen Buchbestände, die unser Eigen sind, der Forschung zur Verfügung zu stellen. Das ist einfach ein Spagat, den wir erreichen müssen, und es geht jetzt auch einigermaßen gut, weil wir das historische Gebäude weit gehend als Bibliotheksmuseum jetzt ausgebaut haben, daneben aber das Studienzentrum betreiben, in dem die wissenschaftliche Benutzung stattfinden kann.
Heinemann: Da ist die Anna-Amalia eine Besonderheit. Reden wir über die Aufgabe der Bibliotheken. Wer möchte, kann sich heute Bücher preiswert besorgen. Für spezielle Recherchen gibt es das Internet. Also: wofür noch Bibliotheken?
Knoche: Bücher werden auch immer im Original gebraucht. Jetzt spreche ich einmal von der Forschung, von der kulturhistorischen Forschung. Es sind andere Fragestellungen, die man mit dem originalen Buch beantworten kann, zum Beispiel wenn es kunsthistorisch künstlerisch interessant ist, als wenn man nur sich auf die textlichen Inhalte bezieht. Aber es ist auch ganz klar: wenn es nur um die textlichen Inhalte geht, dann wird die elektronische Präsentation zunehmend wichtig werden. Auch in den alten Bibliotheken zieht der Computer ein und braucht immer mehr Raum.
Heinemann: Auf der Frankfurter Buchmesse wurde ein Gast bestaunt, der so modern ist, dass es für ihn bislang nur einen englischen Ausdruck gibt, nämlich das e-book. Wird dieses Gehäuse die Bibliotheken verändern?
Knoche: Ja! Das e-book ist bereits heftig dabei, die Bibliotheken zu verändern. An vielen wissenschaftlichen Bibliotheken spielen e-books schon seit ein paar Jahren eine große Rolle. Was auf der Buchmesse nur neu war, war das Leseendgerät. Das hat sich eben weiter verbessert und ist jetzt so attraktiv geworden, dass auch die normalen Leser und Benutzer damit arbeiten können. Aber an den Hochschulen werden Texte schon seit einigen Jahren runtergeladen, aber dann eben auf die normalen Laptops und PCs.
Heinemann: Gibt es dann eines Tages die e-Bibliothek?
Knoche: Die wird es sicher geben. Es wird Bibliotheken geben, die praktisch nur noch einen Ort darstellen, wo man lernen kann, wo man einen Zugang zum Netz hat, aber die keine Bücher mehr enthalten. Es wird Bibliotheken geben, die beides haben, das elektronische Angebot, aber natürlich auch noch die alten Druckschriften. Ich glaube, die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek wird zu der zweiten Kategorie von Bibliotheken gehören.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Michael Knoche, dem Leiter der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek in Weimar. - Herr Knoche, Bibliotheken brauchen neue Bücher und sie brauchen neue Leser. Wie bekommt man Kinder und Jugendliche in Bibliotheken und Büchereien?
Knoche: Indem man zum Beispiel eine solche Kampagne macht, wie sie der Deutsche Bibliotheksverband heute startet, "Deutschland liest", und indem man zum Beispiel auch eine gute Arbeit an den Schulen betreibt. Zum Beispiel gibt es in Deutschland viel zu wenig normale Schulbibliotheken. Nur eine ganz kleine Minderheit von Schulen betreibt Bibliotheken. Und das wäre mein wichtigster struktureller Ansatz, um die Bibliotheken im Leben von Schülern, Jugendlichen und auch Erwachsenen besser zu etablieren - "schafft Schulbibliotheken!".
Heinemann: Was nutzen diese Bibliotheken, wenn sich die Schüler um die Plätze vor dem PC prügeln?
Knoche: Richtig. Die Bibliotheken müssen auch entsprechend ausgestattet sein. Sie brauchen aber auch beide Formen von Medien, die gedruckten und die elektronischen, und müssen dann lernen, in der Schulbibliothek auch mit diesen Medien zurecht zu kommen, zu sehen wie man Informationen recherchiert und dass man nicht jeder Information im Netz Glauben schenken kann, die man schnell über eine Suchmaschine sich herauspickt.
Heinemann: Wie wichtig ist und welche Bedeutung hat für Sie dieser 24. Oktober, also der offizielle Tag der Bibliotheken?
Knoche: Dieser Tag ist ja auch der 269. Geburtstag von Herzogin Anna-Amalia und vor einem Jahr haben wir nicht zufällig die Herzogin Anna-Amalia Bibliothek genau an diesem Tag wiedereröffnet. Mit diesem Tag sind dann für mich persönlich auch große Emotionen und Erinnerungen verbunden an das vergangene Jahr, als der Bundespräsident in Weimar seine große Bibliotheksrede gehalten hat und den Bibliotheken und Bibliothekaren auch Mut gemacht hat, dieses Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen.
Heinemann: Aber für Sie gibt es wahrscheinlich 365 Tage der Bibliotheken im Jahr?
Knoche: Das ist allerdings richtig, ja.
Heinemann: Michael Knoche, der Leiter der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Knoche: Bitte schön! Auf Wiederhören.