Hartwig Tegeler: Stefan Schaller, wenn man sich mit dem Fall Murat Kurnaz beschäftigt, seiner Geschichte: Wie bleibt man dann zurück in der Welt?
Stefan Schaller: Das ist eine gute Frage. Wie bleibt man zurück in der Welt? Also, irgendwo bleibe ich positiv zurück in der Welt, weil es einfach eine Geschichte von jemandem ist, der das überlebt hat und das überstanden hat. Und das gibt mir auf der einen Seite eine Riesenkraft, auf der anderen Seite ist es in dem Fall natürlich ein Fall, wo die Aufmerksamkeit zwar immer da war, aber nie so ganz - glaube ich - klar angekommen ist, was für ein großes Unrecht diesem Menschen eigentlich angetan wurde. Und unabhängig vom Unrecht: Folter ist einfach nicht mit unseren Grundrechten vereinbar. Und dass das nicht ein größerer Skandal geworden ist, ist für mich nach wie vor etwas, was mich schon tief trifft. Weil ich glaube, dass wir als Gesellschaft und Gemeinschaft für diese Grundrechte eintreten müssen, für die wir über Jahrhunderte lang gekämpft haben, und dass wir nicht unter Androhung von Gefahr alleine diese Grundrechte wieder abschaffen können.
Tegeler: Stefan Schaller, "Fünf Jahre Leben" ist kein Dokumentarfilm. Murat Kurnaz, der so genannte "Bremer Taliban" kommt nach Guantanamo; "Fünf Jahre Leben" meint die Zahl der Jahre, die er dort verbringt. Er überlebt. Wenn die Geschichte nicht so ausgegangen wäre, hätten Sie dann auch einen Spielfilm darüber machen können?
Schaller: Ich glaube ganz stark, dass man über solche Themen einen Spielfilm machen kann. Vor allem in dem Fall wie bei uns, wenn eine Figur so einen starken Lebenswillen und eine Lebenskraft ausstrahlt. Ich wollte für mich eine besondere Perspektive herausschälen, nämlich den Überlebenskampf. Das war für mich deswegen wichtig, einen Spielfilm zu machen.
Tegeler: Gab es denn in der Zeit der Entstehung von "Fünf Jahre Leben" einmal eine Überlegung, die Geschichte von Murat Kurnaz als Dokumentarfilm zu beschreiben?
Schaller: Bei mir persönlich gab es die nicht. Das, was sozusagen in den Vernehmungen stattfindet, was der Kern des Films ist, also der Kern des Films besteht ja aus Verhören zwischen Murat und einem Vernehmer, und wie er es eben schafft, das Prinzip dieser Verhöre zu verstehen, das wäre in dem Fall sehr schwierig gewesen in einem Dokumentarfilm, denn dann hätte ich es ja auch nachstellen müssen sozusagen.
Tegeler: Ist denn "Fünf Jahre Leben" ein semidokumentarischer Spielfilm, wie man immer so schön im Vorspann von vielen Spielfilmen liest: "based on a true story", oder wie würden Sie ihre eigene Arbeit betrachten?
Schaller: Ich habe eine Haltung, dass ich bei Spielfilmen eine fiktionale Geschichte erst mal sehe. Da spielt ein Schauspieler Murat Kurnaz. Ich kann mich jetzt als Regisseur entscheiden, wie nah möchte ich an der Realität sein, oder möchte ich eher eine Metapher für eine Situation rüberbringen. Und im Fall von Murat war das für mich ganz klar: Der Mensch hat verstanden, dass es hier um etwas Willkürliches geht, dass es hier mehr darum geht, ich soll irgendwas gestehen, damit man meine Haft legitimieren kann. Das war relativ schnell klar, dass man hier jemanden hat, der ihnen das nicht liefern kann. Und als er das verstanden hat, dass er hier letztendlich darum geht, Folter posthum zu legitimieren, oder dass man einfach nur irgendwas finden muss, um zu rechtfertigen, dass der Mensch jetzt hier sitzt, hat er in meinen Augen das System ein bisschen verstanden.
Es geht nicht darum, die Wahrheit rauszufinden mehr in seinem Fall. Und ich glaube, in ganz vielen Fällen geht es irgendwann nicht mehr darum. Da gibt es natürlich auch inhaftierte Terroristen, aber in ganz vielen Fällen ist es ganz einfach so, dass man irgendein Papier braucht, das man vorweisen kann, der sitzt jetzt zurecht. Denn sonst hätte man ja ein Problem, dann hätte man ja ein Lager konstruiert, das Unschuldige inhaftiert.
Tegeler: Stefan Schaller, wieweit kann man gehen in der Darstellung von Folter? Wenn ich Ihren fiktiven Murat Kurnaz sehe, schneiden Sie manchmal um in die Bremer Zeit. Und es ist für mich als Kinogänger quasi so was wie: Sie erlösen mich für einen Moment heraus aus Guantanamo. Ist das nicht auch eine Gefahr, dass man die Intensität dadurch verwässert?
Schaller: Na ja, wenn man woanders hin schneidet, und Sie beschreiben das jetzt als Erleichterung, dann ist ja schon mal eine Grundintensität da. Dann glaube ich, dass man dem Thema gegenüber einen gewissen Respekt hat und vor allem auch dem Zuschauer gegenüber. Also, da sitzt jemand, der für eine Kinokarte Geld bezahlt, und dem setze ich jetzt was vor und muss ja aufpassen, wie gehe ich jetzt mit so einer ernsten Thematik um. Und ich habe für mich persönlich - zwar liebe ich Spielfilme, aber ich tendiere weniger zu der authentisch, authentischen, bis minutiös ins Detail dargestellten Folter im Bild an sich. Weil ich finde, das hat was Voyeuristisches.
Tegeler: Eine der längsten Sequenzen in Ihrem Film, wo man sagen könnte, dass Folter dargestellt wird, ist die Isolationsfolter. Und da ist dieser Eindruck am stärksten, dass man vollkommen entwürdigt ist, all seiner Rechte beraubt ist. Es ist, wie in einem Brennglas wird das gezeigt. Aber wenn wir uns jetzt wirklich fragen würden - und das ist ja in gewisser Weise auch die These von Ihnen - was wird da eigentlich gezeigt, dann könnte ich Ihnen das gar nicht sagen.
Schaller: Es ist schwierig für einen Regisseur, den Abstand über einen Film zu haben, um das jetzt analytisch in der Nachbetrachtung zu sagen, wie kann das auf Andere wirken in dieser Isolationshaft. Da entscheidet der Mensch, nichts mehr zu essen, da wird nicht geschlagen, da wird nichts gemacht, der ist in einem weißen Raum und entscheidet sich, nichts zu essen. Da mag was in der Konstruktion des Drehbuchs und in dieser Dialogform in dieser Enge dieses Verhörraums liegen, was uns Menschen glaube ich in der ganzen Archaik berührt. Eben eine Ungerechtigkeit und ein Mensch, der sagt, alles, was ich noch habe, ist meine Unschuld, und die gebe ich nicht her. Und ich glaube, das kommt in dieser Sequenz am stärksten zusammen. Und deswegen berührt sie einen so. Man kann danach, glaube ich, gar nicht eins zu eins sagen, was jetzt da so besonders war. Ich glaube, es ist nur die Reduktion auf einen Raum, wo man sieht, dieser Mensch ist da drinnen eigentlich wie ein Tier. Man tut weniger ihm an; er entscheidet sich für was. Aber trotzdem macht es, glaube ich, was mit einem als Zuschauer, weil man sich eben vor die Frage gestellt fühlt, könnte ich, und die habe ich mir immer gestellt, und die kann ich bis heute nicht beantworten, könnte ich das aushalten.
Tegeler: Während wir jetzt reden übrigens, wir reden zwar über einen Spielfilm, ganz aktuell im Augenblick, haben die dort in Guantanamo verbliebenen Gefangenen einen Hungerstreik, den sie führen. Was da jetzt gerade passiert, wird ähnlich aussehen, was wir in Ihrem Film "5 Jahre Leben" sehen. Stefan Schaller, Sie haben etwas hinzu erfunden in Ihrem Film, was Murat Kurnaz selber so nicht erlebt hat, nämlich, er hat auf einmal ein Tier bei sich. Das ist ja wirklich ein klassisches Kinobild, dass man tief an Emotionen rührt, indem man ein Tier dazu nimmt. Was hat Sie dazu gebracht, das hinzuzufügen?
Schaller: Also zunächst muss ich sagen, das ist nicht erfunden. Murat hatte diverse Tiere, die ihn besucht haben in der ganzen Zeit in Guantanamo. Man muss sich vorstellen, da ist man in der Karibik, da kommen Spinnen, Schlangen, alles Mögliche in die Zelle. Nun sind die anderen Gefangenen teilweise sehr ängstlich damit umgegangen. Oder ich meine, ich würde auch erschrecken, wenn irgendwie eine Echse auf einmal an mich rankommt oder ich nicht weiß, ist die giftig.
Und Murat hat auch in seinem Buch geschrieben, dass das für ihn eine willkommene Ablenkung war. Ich habe für mich jetzt dieses Tier jetzt, was ihn in der Zelle besucht hat, versucht, in das Verhörspiel mit einzubauen. Und das war was, was ich sozusagen dramaturgisch genutzt habe. Weil man den Gefangenen öfters gedroht hat mit Situationen, wenn du das und das nicht tust, oder wenn du jetzt hungerst, kommst du auf die Krankenstation. Die wussten, dass es andere Leute in Kandahar oder Bagram gab, die aufgrund von Erfrierungen Amputationen erlitten hatten - auf Krankenstationen -, und diese Angst musste ich irgendwie nutzen. Und insofern habe ich die Liebe zu dem Tier dramaturgisch zu verbinden, um was deutlich zu machen. Um diese Psychologie, wie man da mit Insassen spielt, eben auf den Punkt zu bringen.
Tegeler: Stefan Schaller, Sie haben Ihren Spielfilm "5 Jahre Leben" selber als eine Art Heldenreise bezeichnet, das ist ja ein erzählerisches Grundkonzept, was wir in Literatur und in Film haben.
Schaller: Das ist ein Topos oder ein Merkmal von fiktionaler Erzählung. Im Fall von Murat ging es mir eben genau darum. In der Presse ging es vermehrt immer um Schuld oder Nichtschuld oder Verdächtigungen. Ja, die waren schon längst erwiesen, dass es da keinen Beweis gab. Und selbst wenn sind es Indizien für eine Gesinnung gewesen. Man kann nicht jemanden verhaften, der nichts gemacht hat. Das geht nicht. Und dass da jemand sagt, ich habe nichts gemacht, ich wollte nichts tun, egal, was ihr mir antut, ich werde nichts gestehen, und daraus gestärkt in einer Form rausgeht, das ist für mich auf jeden Fall was Heldenhaftes.
Da wollte ein Mensch Regeln in seinem Leben und eine Orientierung. Und hat die wohl im Glauben gesucht und ist in einem Lager gelandet, wo die Regeln so willkürlich und hanebüchen sind, dass man sie überhaupt nicht erfüllen kann. Und dass man eigentlich daran verrückt wird. Und diese Härte und Konsequenz im Leben, dass Entscheidungen manchmal so bitter bestraft werden, man sie aber trotzdem überstehen kann, das fand ich halt eine wahnsinnig schöne klassische Konstellation.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stefan Schaller: Das ist eine gute Frage. Wie bleibt man zurück in der Welt? Also, irgendwo bleibe ich positiv zurück in der Welt, weil es einfach eine Geschichte von jemandem ist, der das überlebt hat und das überstanden hat. Und das gibt mir auf der einen Seite eine Riesenkraft, auf der anderen Seite ist es in dem Fall natürlich ein Fall, wo die Aufmerksamkeit zwar immer da war, aber nie so ganz - glaube ich - klar angekommen ist, was für ein großes Unrecht diesem Menschen eigentlich angetan wurde. Und unabhängig vom Unrecht: Folter ist einfach nicht mit unseren Grundrechten vereinbar. Und dass das nicht ein größerer Skandal geworden ist, ist für mich nach wie vor etwas, was mich schon tief trifft. Weil ich glaube, dass wir als Gesellschaft und Gemeinschaft für diese Grundrechte eintreten müssen, für die wir über Jahrhunderte lang gekämpft haben, und dass wir nicht unter Androhung von Gefahr alleine diese Grundrechte wieder abschaffen können.
Tegeler: Stefan Schaller, "Fünf Jahre Leben" ist kein Dokumentarfilm. Murat Kurnaz, der so genannte "Bremer Taliban" kommt nach Guantanamo; "Fünf Jahre Leben" meint die Zahl der Jahre, die er dort verbringt. Er überlebt. Wenn die Geschichte nicht so ausgegangen wäre, hätten Sie dann auch einen Spielfilm darüber machen können?
Schaller: Ich glaube ganz stark, dass man über solche Themen einen Spielfilm machen kann. Vor allem in dem Fall wie bei uns, wenn eine Figur so einen starken Lebenswillen und eine Lebenskraft ausstrahlt. Ich wollte für mich eine besondere Perspektive herausschälen, nämlich den Überlebenskampf. Das war für mich deswegen wichtig, einen Spielfilm zu machen.
Tegeler: Gab es denn in der Zeit der Entstehung von "Fünf Jahre Leben" einmal eine Überlegung, die Geschichte von Murat Kurnaz als Dokumentarfilm zu beschreiben?
Schaller: Bei mir persönlich gab es die nicht. Das, was sozusagen in den Vernehmungen stattfindet, was der Kern des Films ist, also der Kern des Films besteht ja aus Verhören zwischen Murat und einem Vernehmer, und wie er es eben schafft, das Prinzip dieser Verhöre zu verstehen, das wäre in dem Fall sehr schwierig gewesen in einem Dokumentarfilm, denn dann hätte ich es ja auch nachstellen müssen sozusagen.
Tegeler: Ist denn "Fünf Jahre Leben" ein semidokumentarischer Spielfilm, wie man immer so schön im Vorspann von vielen Spielfilmen liest: "based on a true story", oder wie würden Sie ihre eigene Arbeit betrachten?
Schaller: Ich habe eine Haltung, dass ich bei Spielfilmen eine fiktionale Geschichte erst mal sehe. Da spielt ein Schauspieler Murat Kurnaz. Ich kann mich jetzt als Regisseur entscheiden, wie nah möchte ich an der Realität sein, oder möchte ich eher eine Metapher für eine Situation rüberbringen. Und im Fall von Murat war das für mich ganz klar: Der Mensch hat verstanden, dass es hier um etwas Willkürliches geht, dass es hier mehr darum geht, ich soll irgendwas gestehen, damit man meine Haft legitimieren kann. Das war relativ schnell klar, dass man hier jemanden hat, der ihnen das nicht liefern kann. Und als er das verstanden hat, dass er hier letztendlich darum geht, Folter posthum zu legitimieren, oder dass man einfach nur irgendwas finden muss, um zu rechtfertigen, dass der Mensch jetzt hier sitzt, hat er in meinen Augen das System ein bisschen verstanden.
Es geht nicht darum, die Wahrheit rauszufinden mehr in seinem Fall. Und ich glaube, in ganz vielen Fällen geht es irgendwann nicht mehr darum. Da gibt es natürlich auch inhaftierte Terroristen, aber in ganz vielen Fällen ist es ganz einfach so, dass man irgendein Papier braucht, das man vorweisen kann, der sitzt jetzt zurecht. Denn sonst hätte man ja ein Problem, dann hätte man ja ein Lager konstruiert, das Unschuldige inhaftiert.
Tegeler: Stefan Schaller, wieweit kann man gehen in der Darstellung von Folter? Wenn ich Ihren fiktiven Murat Kurnaz sehe, schneiden Sie manchmal um in die Bremer Zeit. Und es ist für mich als Kinogänger quasi so was wie: Sie erlösen mich für einen Moment heraus aus Guantanamo. Ist das nicht auch eine Gefahr, dass man die Intensität dadurch verwässert?
Schaller: Na ja, wenn man woanders hin schneidet, und Sie beschreiben das jetzt als Erleichterung, dann ist ja schon mal eine Grundintensität da. Dann glaube ich, dass man dem Thema gegenüber einen gewissen Respekt hat und vor allem auch dem Zuschauer gegenüber. Also, da sitzt jemand, der für eine Kinokarte Geld bezahlt, und dem setze ich jetzt was vor und muss ja aufpassen, wie gehe ich jetzt mit so einer ernsten Thematik um. Und ich habe für mich persönlich - zwar liebe ich Spielfilme, aber ich tendiere weniger zu der authentisch, authentischen, bis minutiös ins Detail dargestellten Folter im Bild an sich. Weil ich finde, das hat was Voyeuristisches.
Tegeler: Eine der längsten Sequenzen in Ihrem Film, wo man sagen könnte, dass Folter dargestellt wird, ist die Isolationsfolter. Und da ist dieser Eindruck am stärksten, dass man vollkommen entwürdigt ist, all seiner Rechte beraubt ist. Es ist, wie in einem Brennglas wird das gezeigt. Aber wenn wir uns jetzt wirklich fragen würden - und das ist ja in gewisser Weise auch die These von Ihnen - was wird da eigentlich gezeigt, dann könnte ich Ihnen das gar nicht sagen.
Schaller: Es ist schwierig für einen Regisseur, den Abstand über einen Film zu haben, um das jetzt analytisch in der Nachbetrachtung zu sagen, wie kann das auf Andere wirken in dieser Isolationshaft. Da entscheidet der Mensch, nichts mehr zu essen, da wird nicht geschlagen, da wird nichts gemacht, der ist in einem weißen Raum und entscheidet sich, nichts zu essen. Da mag was in der Konstruktion des Drehbuchs und in dieser Dialogform in dieser Enge dieses Verhörraums liegen, was uns Menschen glaube ich in der ganzen Archaik berührt. Eben eine Ungerechtigkeit und ein Mensch, der sagt, alles, was ich noch habe, ist meine Unschuld, und die gebe ich nicht her. Und ich glaube, das kommt in dieser Sequenz am stärksten zusammen. Und deswegen berührt sie einen so. Man kann danach, glaube ich, gar nicht eins zu eins sagen, was jetzt da so besonders war. Ich glaube, es ist nur die Reduktion auf einen Raum, wo man sieht, dieser Mensch ist da drinnen eigentlich wie ein Tier. Man tut weniger ihm an; er entscheidet sich für was. Aber trotzdem macht es, glaube ich, was mit einem als Zuschauer, weil man sich eben vor die Frage gestellt fühlt, könnte ich, und die habe ich mir immer gestellt, und die kann ich bis heute nicht beantworten, könnte ich das aushalten.
Tegeler: Während wir jetzt reden übrigens, wir reden zwar über einen Spielfilm, ganz aktuell im Augenblick, haben die dort in Guantanamo verbliebenen Gefangenen einen Hungerstreik, den sie führen. Was da jetzt gerade passiert, wird ähnlich aussehen, was wir in Ihrem Film "5 Jahre Leben" sehen. Stefan Schaller, Sie haben etwas hinzu erfunden in Ihrem Film, was Murat Kurnaz selber so nicht erlebt hat, nämlich, er hat auf einmal ein Tier bei sich. Das ist ja wirklich ein klassisches Kinobild, dass man tief an Emotionen rührt, indem man ein Tier dazu nimmt. Was hat Sie dazu gebracht, das hinzuzufügen?
Schaller: Also zunächst muss ich sagen, das ist nicht erfunden. Murat hatte diverse Tiere, die ihn besucht haben in der ganzen Zeit in Guantanamo. Man muss sich vorstellen, da ist man in der Karibik, da kommen Spinnen, Schlangen, alles Mögliche in die Zelle. Nun sind die anderen Gefangenen teilweise sehr ängstlich damit umgegangen. Oder ich meine, ich würde auch erschrecken, wenn irgendwie eine Echse auf einmal an mich rankommt oder ich nicht weiß, ist die giftig.
Und Murat hat auch in seinem Buch geschrieben, dass das für ihn eine willkommene Ablenkung war. Ich habe für mich jetzt dieses Tier jetzt, was ihn in der Zelle besucht hat, versucht, in das Verhörspiel mit einzubauen. Und das war was, was ich sozusagen dramaturgisch genutzt habe. Weil man den Gefangenen öfters gedroht hat mit Situationen, wenn du das und das nicht tust, oder wenn du jetzt hungerst, kommst du auf die Krankenstation. Die wussten, dass es andere Leute in Kandahar oder Bagram gab, die aufgrund von Erfrierungen Amputationen erlitten hatten - auf Krankenstationen -, und diese Angst musste ich irgendwie nutzen. Und insofern habe ich die Liebe zu dem Tier dramaturgisch zu verbinden, um was deutlich zu machen. Um diese Psychologie, wie man da mit Insassen spielt, eben auf den Punkt zu bringen.
Tegeler: Stefan Schaller, Sie haben Ihren Spielfilm "5 Jahre Leben" selber als eine Art Heldenreise bezeichnet, das ist ja ein erzählerisches Grundkonzept, was wir in Literatur und in Film haben.
Schaller: Das ist ein Topos oder ein Merkmal von fiktionaler Erzählung. Im Fall von Murat ging es mir eben genau darum. In der Presse ging es vermehrt immer um Schuld oder Nichtschuld oder Verdächtigungen. Ja, die waren schon längst erwiesen, dass es da keinen Beweis gab. Und selbst wenn sind es Indizien für eine Gesinnung gewesen. Man kann nicht jemanden verhaften, der nichts gemacht hat. Das geht nicht. Und dass da jemand sagt, ich habe nichts gemacht, ich wollte nichts tun, egal, was ihr mir antut, ich werde nichts gestehen, und daraus gestärkt in einer Form rausgeht, das ist für mich auf jeden Fall was Heldenhaftes.
Da wollte ein Mensch Regeln in seinem Leben und eine Orientierung. Und hat die wohl im Glauben gesucht und ist in einem Lager gelandet, wo die Regeln so willkürlich und hanebüchen sind, dass man sie überhaupt nicht erfüllen kann. Und dass man eigentlich daran verrückt wird. Und diese Härte und Konsequenz im Leben, dass Entscheidungen manchmal so bitter bestraft werden, man sie aber trotzdem überstehen kann, das fand ich halt eine wahnsinnig schöne klassische Konstellation.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.