Den sperrigen Namen "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" kann sich bis heute kaum jemand merken, doch der umständliche Titel war ein Indiz für die hoch komplizierte Gemengelage: Unterschiedlichste Interessengruppen saßen in der so genannten Kohlekommussion beisammen – denn es geht um Jobs, Industrieinteressen, milliardenhohe Entschädigungen und um den Klimaschutz.
"Vor einem knapppen Jahr saß ich hier mit meinen Kollegen", erinnert sich die Volkswirtin Barbara Praetorius, ehemalige Vorsitzende der Kommission, "um Ihnen nach einer sehr langen Nacht, 21 Stunden harter Verhandlungen, in der letzten Sitzung, einen Kompromiss für den Kohleausstieg in Deutschland zu verkünden. Das war ein sorgfältig austarierter Kompromiss, der einen substanziellen Beitrag und Einstieg in den Klimaschutz umfasste, verbunden mit dem notwendigen Ausgleich."
Fünf wesentliche Kritikpunkte ehemaliger Mitglieder der Kohlekommission
Doch genau den sehen acht ehemalige Mitglieder der Kommission nun aufgekündigt, seitdem sich Bund und Länder vergangene Woche im Kanzleramt mit den Energiekonzernen auf die Umsetzung der Kommissions-Beschlüsse geeinigt haben:
"Wie kann es sein, dass die Bundesregierung erstens den Klimaschutz und zweitens auch einen mühsam ausgehandelten gesellschaftlichen Kompromiss, der tatsächlich für Frieden sorgen sollte in dieser Gesellschaft, den ostdeutschen Ministerpräsidenten zum Fraß vorwirft und wir dadurch die ganze Kohledebatte noch mal wieder von vorne beginnen müssen", fragt Kai Niebert, der als Präsident der Deutschen Naturschutz-Rings ebenfalls in der Kohlekommission saß.
Gemeinsam mit sieben Wissenschaftlern und Umweltaktivistinnen hat Niebert eine Stellungnahme verfasst. Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter hätten sich hingegen nicht beteiligen wollen, meldet "Der Spiegel". Die jetzt erst bekannt gewordene Stellungnahme enthält fünf wesentliche Kritikpunkte: Erstens der Kohle-Ausstiegs-Pfad, also die Frage, wann wie viele Kraftwerke vom Netz genommen werden. Der jetzt vereinbarte Pfad sei klimapolitisch unzureichend und schwäche außerdem den europäischen Emissionshandel, meint der Energieexperte und Mitunterzeichner Christian Matthes.
"Der Zwischenschritt in 2025, der jetzt so eklatant verletzt wird und die Abkehr vom stetigen Abbaupfad sind auch deswegen so wichtig, weil man sich klar machen muss, dass genau an diesem Punkt die Verhandlungen in der Kommission bis etwa eine Stunde vor Abschluss vor dem Scheitern standen."
Auch die Inbetriebnahme des neuen Steinkohle-Kraftwerks Datteln IV in Westfalen widerspricht den Empfehlungen der Kohlekommission. Christian Matthes warnt vor den internationalen Konsequenzen: Der deutsche Atom- und Kohleausstieg werde weltweit beobachtet:
"Man kann die Mehr-Emissionen von DattelnIV vielleicht kompensieren, indem man deutlich größere andere Steinkohlekraftwerke außer Betrieb nimmt. Diesen Schaden, in Bezug auf die Ausstrahlungswirkung des deutschen Kohleausstiegs, den kann man damit nicht vermeiden."
Wirtschaftsminister Altmaier verteidigt umstrittenen Fahrplan
Außerdem müsse ein neu in Betrieb genommenes Kraftwerk erst einmal lange am Netz bleiben, bis es sich rentiere. Die Bundesregierung hat sich jedoch verpflichtet spätestens bis 2038 aus der Kohleförderung und Verstromung auszusteigen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hält jetzt sogar einen früheren Ausstieg schon 2035 für möglich. Der Christdemokrat warnte aber heute bei einer Veranstaltung in Berlin vor einem aus seiner Sicht zu schnellen Ausstieg:
"Wenn wir jetzt im Westen sehr viele Braunkohle-Kapazitäten stilllegen, was wir tun, dann darf man nicht übersehen, dass man in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt neun Gigawatt Kernkraftwerk-Kapazitäten stilllegen. Und deshalb haben wir dann beispielsweise für das Jahr 2023 und 2024 einen eher vorsichtigen Pfad genommen, weil wir möchten, dass der Strom auch bei der nächsten Jahrestagung des Handelsblatts aus der Steckdose kommt.
"Die ehemaligen Kommissionsmitglieder sehen das in ihrer Stellungnahme jedoch völlig anders. Sie kritisieren zudem, dass der Hambacher Wald weiter gefährdet sei, dass im Gebiet der Tagebaus Garzweiler II weitere Dörfer abgebaggert werden sollen, und dass weiterhin ein Ausbaupfad für die Erneuerbaren Energien fehlt.