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Scharfe Töne aus Moskau

Früher waren sie Bruderländer, heute ist das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine alles andere als brüderlich. Die Schuld für die derzeit gespannten Beziehungen gibt Russlands Präsident Medwedew ausschließlich der Ukraine. Das Land habe Georgien im Konflikt mit Russland mit Waffen beliefert und behindere die Bewegungsfreiheit der auf der Krim stationierten russischen Schwarzmeerflotte, so nur einige Vorwürfe.

Von Mareike Aden |
    Die Sonne ist gerade im Meer versunken, am Horizont zieht ein Schiff vorbei: Diese Kulisse wählte der russische Präsident Dmitrij Medwedew für einen brisanten Auftritt. Auf dem Balkon seiner Sommerresidenz in Sotschi, ganz in Schwarz gekleidet und mit ernstem Gesichtsausdruck, erklärte er vor laufenden Kameras, dass er der politischen Führung der Ukraine einen Brief geschickt habe. Und dessen Inhalt, so Medwedew, sei alles andere als erfreulich.

    "Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine übertreffen das erträgliche Maß: Als das georgische Regime von Saakaschwili Südossetien angegriffen hat, hat die Führung in Kiew eine antirussische Position eingenommen. Mit ukrainischen Waffen wurden friedliche Bürger und russische Friedenssoldaten getötet. Und man vertreibt weiter die russische Sprache - aus den Medien, aus der Kultur, aus der Wissenschaft."

    Belege für einen antirussischen Kurs der Ukraine sieht Medwedew viele: Das Verhalten des Landes im Gasstreit, ein Verzerren der gemeinsamen sowjetischen Geschichte und vor allem den Konflikt um die russische Schwarzmeerflotte auf der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim: Sie hat dort ihren Hauptstützpunkt, den sie gemäß eines Vertrags der beiden Länder zwar bis 2017 behalten darf. Doch die Ukraine wies vor kurzem den für die Flotte zuständigen russischen Diplomaten aus. Das brachte für Russland das Fass zum Überlaufen: Medwedew entschied, den neuen russischen Botschafter in der Ukraine erst einmal nicht zu entsenden. Das sei mit einem Abbruch diplomatischer Beziehungen vergleichbar, sagt Wiktor Misien, Experte für Internationale Beziehungen an der Moskauer Universität MGIMO.

    "Seit der Münchener Rede des ehemaligen Präsidenten Putin und spätestens seit dem Krieg um Südossetien, ist der allgemeine Ansatz russischer Politik klar: Russland hat wieder an Einfluss gewonnen auf der Welt und macht anderen Ländern klar, dass es gewisse Linien gibt, die niemand übertreten darf. Und wenn das geschieht, reagiert man - so wie jetzt Medwedew - sehr grob darauf."

    Im Schacht der U-Bahnstation Kiewskaja in Moskau erinnern folkloristische Mosaike mit ukrainischen Bauern und Arbeitern an die einstige Freundschaft zwischen Russland und der Ukraine - ein Relikt aus Sowjetzeiten. In der Gegenwart fällt in Russland das Ansehen der Ukraine: Laut einer repräsentativen Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums standen 2001 noch 71 Prozent der Russen der Ukraine positiv gegenüber - heute sind es nur 44 Prozent. Auch die meisten Passanten in der U-Bahnstation Kiewskaja sehen Medwedew im Recht.

    "Unsere Haltung zur Ukraine muss so streng und radikal sein - vor allem nach all den Konflikten ums Gas, dem Nichtbezahlen der Rechnungen, dem Anzapfen der Leitungen. Das ist Hooliganismus. Eine anständige politische Führung macht so etwas nicht.

    Die Ukraine und Russland haben eine so lange gemeinsame Geschichte - und dann wurde dort Viktor Juschtschenko Präsident, der denkt, dass er alles besser weiß. Das ist nicht richtig, was er dort macht."

    Auch in der Ukraine selbst ist Juschtschenko in Krisenzeiten unbeliebt - die Chancen für seine Wiederwahl sind gering. Nun rief auch Präsident Medwedew das ukrainische Volk auf, bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2010 eine neue Führung zu wählen. Experte Miesin:

    "Russland hätte sich nicht einmischen sollen in den ukrainischen Wahlkampf, aber für die Beziehungen unserer Länder ist eine neue Führung in der Ukraine wichtig. Die muss verstehen: Ohne gute Beziehungen zu Russland hat die Ukraine keine große Zukunft - weder politisch noch wirtschaftlich."

    Spätestens der Auftritt von Medwedew hat gezeigt: Russland und die Ukraine streiten um viel mehr, als nur ums Gas.