Seit der Auflösung der Sowjetunion und der "Wiedervereinigung" walzt ein Rollback durchs Land, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, auch Köpfe. Immense Erfolge dieses neokonservativen Rollbacks waren der Jugoslawien-Krieg, die Fortsetzung des Atomprogramms und die Zerschlagung des Sozialstaats bei gleichzeitig berauschender Bereicherung der Vermögenden und Wohlhabenden. Für das alles war und ist Rot-Grün verantwortlich. Die Grünen wie auch die Sozialdemokraten sind ein personaler, ideologischer und politisch-praktischer Teil des neokonservativen Rollbacks.
Jutta Ditfurth hat einst die Grünen mit gegründet und war ihre Sprecherin. Heute ist sie eine der schärfsten Kritikerinnen der Partei. Nach ihrem Austritt 1991 schrieb sie ein erstes Buch über die Grünen, ihre neue Analyse angesichts des derzeitigen Umfragehochs enthält wieder jede Menge harsche Kritik von Links. Ditfurth schreibt:
Ich bin oft dafür gescholten worden, dass ich den Grünen soviel "Böses" unterstelle. In der Nachbetrachtung muss ich zugeben: Meine Kritik war zu mild.
Das Buch folgt seinem Untertitel "Was sie reden, was sie tun". Es ist über gut 250 Seiten eine Gegenüberstellung von dem, was die Grünen öffentlich äußern und einst versprachen und dem, was die Resultate grüner Realpolitik sind. Ditfurth fasst zusammen:
Aus der "sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen" wurde die Unterscheidung in gute und böse Castortransporte. Aus "Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Krieg!" neuer imperialistischer Krieg mit Menschenrechtsalibi. Aus "offenen Grenzen" die Selektion von Einwanderern nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit, aus linkem Feminismus Gender Mainstreaming und Förderprogramme für Bürgerfrauen und schließlich aus der Erkenntnis, dass der Kapitalismus Mensch und Natur gleichermaßen zerstört, der Green New Deal, der doch nur ein grüner Deal der sozialen Ungleichheit und der naturzerstörerischen Umwelttechnokratie ist.
Ditfurth analysiert den Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung, der unter dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin geschlossenen wurde. Damals lehnte er die Castor-Proteste ab, nun steht er in Gorleben wieder in erster Reihe. Sie befasst sich mit der Politik von Joschka Fischer, die nach ihrer Darstellung zielgerichtet hin zum Jugoslawienkrieg führte.
Ditfurth kritisiert aber auch die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010, die in ihren Augen eine von den Grünen mitverantwortete Demontage des Sozialstaats darstellen. Schließlich befasst sie sich mit den Höhenflügen in den Umfragen, die insbesondere durch die vorgebliche Opposition der Grünen gegen das Projekt Stuttgart 21 einen ersten grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg immer noch möglich erscheinen lassen. Dabei hat die Partei, wie Ditfurth erinnert, dem Milliardenprojekt in ihrer Regierungszeit 2004 selbst zugestimmt. Solcherart historische Exkurse sind die Stärke des Buches. In einer offenbar an schwerer Amnesie erkrankten politischen Kultur kann dies bereits als Akt der Subversion verstanden werden. Dabei schadet die Autorin dieser Sache des unbequemen Erinnerns durch ihren Auftritt als Gewissen. Diesem kann sehr leicht mit dem Gegenvorwurf eines rigiden und wirklichkeitsfremden Moralismus begegnet werden.
Winfried Kretschmann könnte im Frühjahr 2011 Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden. Das hätte höchst profitable Folgen für sehr viele grüne Mitglieder, eine Flut von hoch bezahlten Jobs mit lukrativen Staatspensionen bis ans Lebensende, eine Menge Einfluss, soziale Anerkennung, eine Masse von Privilegien.
Jutta Ditfurth denkt den von ihr so beschriebenen "Anpassungsprozess" der Grünen durchweg in Kategorien des Verrats und der materiellen Korruption. Mit diesem Subjektivismus geht eine rein funktionale Sichtweise auf die objektiv-gesellschaftliche Bedeutung grüner Realpolitik einher.
Wofür brauchten die herrschenden Kreise in Deutschland einen Grünen als Außenminister? Ein Krieg stand bevor. Hätte Helmut Kohl zum Krieg gegen Jugoslawien gerufen, wären die Straßen deutscher Städte von FriedensdemonstrantInnen verstopft worden.
Regierung und Opposition wechseln sich ab, ihr Gegensatz ist nur gespielt, so eine Kernthese von Ditfurth. Wenn sich allmählich außerparlamentarischer Protest gegen die herrschende Politik bildet, wird er ins parlamentarische Spiel integriert unter dem Reibungsverlust von stetig wachsender Nichtwählerschaft. Das Problem in Ditfurths politischem Universum ist dabei, dass es für sie letztlich neben der Realpolitik der Grünen Realos keine andere Realpolitik gibt. Diese könnte ja gegebenenfalls versuchen, auf Grundlage der fundamentalen Kritik ganz neue Wege zu beschreiten. Denn historisch sind schließlich die sogenannten "Fundis" mit ihrer Opposition gescheitert. Der Austritt von Ditfurth und ihren Mitstreitern aus der Partei im Jahr 1991 legt Zeugnis davon ab. Es wäre selbstkritisch zu fragen gewesen, welche Fehler gemacht wurden?
Es bleibt die Frage offen, inwieweit das Verhältnis von Partei und Bewegung und von der antikapitalistischen Linken zur bürgerlichen Mitte aus Sicht der "Fundis" falsch bestimmt worden ist? Welche Lehren aus der Geschichte für eine alternative, radikalökologische und antikapitalistische Partei zu ziehen wären, die ihr vorschwebt, beschreibt Ditfurth nicht. Zumindest kann ihr eigener Versuch, die "Ökologische Linke" als Partei der reinen Lehre aufzubauen, als gescheitert betrachtet werden, hat sie doch inner- und außerparlamentarisch eine kaum messbare Wirkung. Dass es Ditfurth bei aller kluger Analyse und zuweilen polemischer Kritik an den Grünen an diesem Punkt an Selbstkritik mangelt, macht aber das Buch als scharfzüngige Analyse einer Partei nicht weniger lesenswert.
Jutta Ditfurth: "Krieg. Atom. Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen". Der 288 Seiten starke Band kommt aus dem Rotbuch Verlag und kostet 14 Euro und 95 Cent, ISBN 978-3-867-89125-7.
Jutta Ditfurth hat einst die Grünen mit gegründet und war ihre Sprecherin. Heute ist sie eine der schärfsten Kritikerinnen der Partei. Nach ihrem Austritt 1991 schrieb sie ein erstes Buch über die Grünen, ihre neue Analyse angesichts des derzeitigen Umfragehochs enthält wieder jede Menge harsche Kritik von Links. Ditfurth schreibt:
Ich bin oft dafür gescholten worden, dass ich den Grünen soviel "Böses" unterstelle. In der Nachbetrachtung muss ich zugeben: Meine Kritik war zu mild.
Das Buch folgt seinem Untertitel "Was sie reden, was sie tun". Es ist über gut 250 Seiten eine Gegenüberstellung von dem, was die Grünen öffentlich äußern und einst versprachen und dem, was die Resultate grüner Realpolitik sind. Ditfurth fasst zusammen:
Aus der "sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen" wurde die Unterscheidung in gute und böse Castortransporte. Aus "Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Krieg!" neuer imperialistischer Krieg mit Menschenrechtsalibi. Aus "offenen Grenzen" die Selektion von Einwanderern nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit, aus linkem Feminismus Gender Mainstreaming und Förderprogramme für Bürgerfrauen und schließlich aus der Erkenntnis, dass der Kapitalismus Mensch und Natur gleichermaßen zerstört, der Green New Deal, der doch nur ein grüner Deal der sozialen Ungleichheit und der naturzerstörerischen Umwelttechnokratie ist.
Ditfurth analysiert den Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung, der unter dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin geschlossenen wurde. Damals lehnte er die Castor-Proteste ab, nun steht er in Gorleben wieder in erster Reihe. Sie befasst sich mit der Politik von Joschka Fischer, die nach ihrer Darstellung zielgerichtet hin zum Jugoslawienkrieg führte.
Ditfurth kritisiert aber auch die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010, die in ihren Augen eine von den Grünen mitverantwortete Demontage des Sozialstaats darstellen. Schließlich befasst sie sich mit den Höhenflügen in den Umfragen, die insbesondere durch die vorgebliche Opposition der Grünen gegen das Projekt Stuttgart 21 einen ersten grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg immer noch möglich erscheinen lassen. Dabei hat die Partei, wie Ditfurth erinnert, dem Milliardenprojekt in ihrer Regierungszeit 2004 selbst zugestimmt. Solcherart historische Exkurse sind die Stärke des Buches. In einer offenbar an schwerer Amnesie erkrankten politischen Kultur kann dies bereits als Akt der Subversion verstanden werden. Dabei schadet die Autorin dieser Sache des unbequemen Erinnerns durch ihren Auftritt als Gewissen. Diesem kann sehr leicht mit dem Gegenvorwurf eines rigiden und wirklichkeitsfremden Moralismus begegnet werden.
Winfried Kretschmann könnte im Frühjahr 2011 Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden. Das hätte höchst profitable Folgen für sehr viele grüne Mitglieder, eine Flut von hoch bezahlten Jobs mit lukrativen Staatspensionen bis ans Lebensende, eine Menge Einfluss, soziale Anerkennung, eine Masse von Privilegien.
Jutta Ditfurth denkt den von ihr so beschriebenen "Anpassungsprozess" der Grünen durchweg in Kategorien des Verrats und der materiellen Korruption. Mit diesem Subjektivismus geht eine rein funktionale Sichtweise auf die objektiv-gesellschaftliche Bedeutung grüner Realpolitik einher.
Wofür brauchten die herrschenden Kreise in Deutschland einen Grünen als Außenminister? Ein Krieg stand bevor. Hätte Helmut Kohl zum Krieg gegen Jugoslawien gerufen, wären die Straßen deutscher Städte von FriedensdemonstrantInnen verstopft worden.
Regierung und Opposition wechseln sich ab, ihr Gegensatz ist nur gespielt, so eine Kernthese von Ditfurth. Wenn sich allmählich außerparlamentarischer Protest gegen die herrschende Politik bildet, wird er ins parlamentarische Spiel integriert unter dem Reibungsverlust von stetig wachsender Nichtwählerschaft. Das Problem in Ditfurths politischem Universum ist dabei, dass es für sie letztlich neben der Realpolitik der Grünen Realos keine andere Realpolitik gibt. Diese könnte ja gegebenenfalls versuchen, auf Grundlage der fundamentalen Kritik ganz neue Wege zu beschreiten. Denn historisch sind schließlich die sogenannten "Fundis" mit ihrer Opposition gescheitert. Der Austritt von Ditfurth und ihren Mitstreitern aus der Partei im Jahr 1991 legt Zeugnis davon ab. Es wäre selbstkritisch zu fragen gewesen, welche Fehler gemacht wurden?
Es bleibt die Frage offen, inwieweit das Verhältnis von Partei und Bewegung und von der antikapitalistischen Linken zur bürgerlichen Mitte aus Sicht der "Fundis" falsch bestimmt worden ist? Welche Lehren aus der Geschichte für eine alternative, radikalökologische und antikapitalistische Partei zu ziehen wären, die ihr vorschwebt, beschreibt Ditfurth nicht. Zumindest kann ihr eigener Versuch, die "Ökologische Linke" als Partei der reinen Lehre aufzubauen, als gescheitert betrachtet werden, hat sie doch inner- und außerparlamentarisch eine kaum messbare Wirkung. Dass es Ditfurth bei aller kluger Analyse und zuweilen polemischer Kritik an den Grünen an diesem Punkt an Selbstkritik mangelt, macht aber das Buch als scharfzüngige Analyse einer Partei nicht weniger lesenswert.
Jutta Ditfurth: "Krieg. Atom. Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen". Der 288 Seiten starke Band kommt aus dem Rotbuch Verlag und kostet 14 Euro und 95 Cent, ISBN 978-3-867-89125-7.