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Schattenseiten der Kirchner-Regierungen

In Argentinien ist "Él y Ella", Er und Sie, von Luis Majul ein Bestseller. Majul widmet sich im Buch dem Präsidenten-Ehepaar Cristina und Néstor Kirchner, dabei durchleuchtet er die Schattenseiten der Kirchner-Regierungen: Konfrontation, Korruption, persönliche Bereicherung.

Von Victoria Eglau | 29.08.2011
    Néstor Kirchner wurde 2003 zum argentinischen Präsidenten gewählt – gut ein Jahr nach dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch seines Landes. Dass es seit der Krise wieder aufwärts geht mit Argentinien, betrachtet ein Teil der Gesellschaft vor allem als sein Verdienst. Vier Jahre später, 2007, trat nicht Kirchner, sondern seine Frau Cristina bei den Wahlen an. Von da an regierten "die Kirchners", so nahmen es die Argentinier wahr. Cristina Fernandez de Kirchner als Präsidentin, und Néstor als politischer Strippenzieher und Chef der Peronistischen Partei. Bis zum vergangenen Oktober, als der 60-jährige Kirchner an einem Herzinfarkt starb.

    "Néstor Kirchner war immer Cristinas politischer Chef, seit sie sich als Studenten kennenlernten. Sie, die Politikerin, liebte ihren politischen Chef, ihren Gefährten und Ehemann, dem sie stets das letzte Wort überließ. Das hat sich bis zu seinem Tod nie geändert. Als Cristina Kirchner Präsidentin wurde, war im Hintergrund stets die starke Figur Néstors, mit ihrem großen Gewicht und Einfluss."

    Él y Ella – Er und Sie – ist ein kritisches Buch. Es handelt vor allem von den Schattenseiten der Kirchner-Regierungen: Konfrontation, Korruption, persönliche Bereicherung, Autor Luis Majul enthüllt Zusammenhänge und nennt Akteure. "Die Leute lesen mein Buch wie einen Abenteuerroman", sagt er. Bisher hat keiner Majul wegen Verleumdung angezeigt. Aber die von einem Kirchner-Getreuen geführte Steuerbehörde habe ihn drangsaliert, beklagt der Autor. Positive Worte findet Luis Majul nur für den Beginn der Ära des Kirchnerismus‘. Neben der damaligen Wirtschaftspolitik erwähnt er die Aufhebung der Amnestie-Gesetze, welche die Aufarbeitung der in den 70er- und 80er-Jahren verübten Diktatur-Verbrechen verhindert hatten.

    "Doch nach zwei Jahren, als Néstor Kirchner seine Mehrheit bei Parlamentswahlen konsolidiert hatte, wurde aus dem politischen Projekt 'Den Argentiniern soll es wieder besser gehen', ein Projekt des unbedingten Machterhalts. Kirchner begann, die Opposition und kritische Journalisten zu attackieren. Die lukrative Regierungswerbung wurde den freundlichen Medien zugeschustert und den feindlichen entzogen."

    Im Oktober 2010 waren die Kirchners auf den Tiefpunkt ihrer Beliebtheit abgesackt. Doch mit Kirchners Tod wendete sich das Blatt: Die Popularität der verwitweten Präsidentin stieg sprunghaft an. Luis Majul schreibt:

    "Er starb plötzlich, und Sie erlebte sofort eine spektakuläre politische Wiederauferstehung. Er nahm all das Schlechte mit sich: die Agenda negativer Themen, die Idee der absoluten Macht, die Korruptions-Skandale und Spannungen. Sie wiederum wurde nicht mehr als strenge Oberlehrerin wahrgenommen, die ständig alle anderen tadelt."

    In Cristina Kirchners Reden, analysiert Majul, taucht stets Er auf. Die Präsidentin glorifiziert den Verstorbenen auf geradezu mystische Weise, trauert öffentlich und spricht dann ohne Überleitung von positiven Wirtschaftsdaten und Errungenschaften ihrer Regierung. Heute ist Cristina Kirchner die Kandidatin mit den besten Chancen für einen Sieg bei der Präsidentenwahl im kommenden Oktober. Korruption und persönliche Bereicherung spielen im Wahlkampf kaum eine Rolle.

    "Néstor und Cristina Kirchner, die reichsten und mächtigsten Präsidenten der Geschichte Argentiniens, häuften ihr enormes Vermögen auf unrechtmäßige Weise an."

    Mit diesem Satz beginnt das erste Kapitel von "Er und Sie". Der Autor stützt sich vor allem auf Informationen eines Ex-Ermittlungsstaatsanwalts und eines Sachverständigen für Wirtschaftsdelikte. Laut Majul erhöhte sich das Vermögen der Kirchners, während sie Argentinien regierten, um mehr als 1800 Prozent. Die Präsidentin besitzt heute etwa zehn Millionen Euro. Aber alle Verfahren, in denen Richter der spektakulären Reichtumsvermehrung auf den Grund gehen sollten, verliefen im Sande. In den vergangenen acht Jahren prangerten Medien Korruption auf vielen Verwaltungsebenen an, doch die Ermittlungen führten zu keiner einzigen Verurteilung. Korrupt seien zwar alle argentinischen Regierungen gewesen, meint Luis Majul, doch:

    "Die Kirchnersche Korruption ist raffinierter und ehrgeiziger. Nicht nur werden den Freunden Geschäfte im öffentlichen Bauwesen, im Bankwesen sowie im Gas- und Ölsektor zugeschanzt. Auch haben hohe Funktionäre der Kirchner-Regierung in vielen Unternehmen mehr oder zumindest genauso viel Einfluss wie die Aktionäre."

    An manchen Stellen könnte Majuls Analyse der Präsidentschaft Cristina Kirchners ohne ihren Mann tiefer gehen. Denn vieles, was er beschreibt, konnten seine Leser selbst beobachten. Dennoch: In "Er und Sie" gelingt es dem Autor, en detail Vorgänge und Praktiken des Kirchnerismus‘ zu durchleuchten, denen die Justiz in Argentinien bislang nicht auf den Grund geht. Kein Wunder, dass das Buch in diesen Wochen des Wahlkampfs so oft über den Ladentisch geht.

    Luis Majul: Él y Ella (Er und Sie)
    Planeta, 512 Seiten, ca. 15,00 Euro
    ISBN: 978-9-504-92681-8