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Schaubühnen-Star gründet Berliner Off-Theater

Theater in Berlin, das ist eine rieisige Konkurrenz. Umso mehr verwundert es, dass in dieser Situation eine neue freie Bühne an den Start geht. Das Off-Theater "Ballhaus Ost" ist jetzt mit einem Premieren-Marathon eröffnet worden. Risikofreudige Mitbegründerin ist der Schaubühnen-Star Anne Tismer.

    Zahlreiche Vorschußlorbeeren und Sympathiepunkte gab es für das junge, idealistische Unternehmen bereits im Vorfeld. Mitten in der Theaterhauptstadt wird – ohne Netz und doppelten Boden – ein neues Theater gegründet. Nicht im Hinterhof, wie man es aus der Berliner Off-Szene bereits kennt, wohl aber im Hinterhaus. Ein heruntergekommenes Jahrhundertwende-Ambiente mit spannender Geschichte: ursprünglich von der freireligiösen Gemeinde als Versammlungsort genutzt, dann von den Nazis zum Fest – und Kinosaal deklariert, in der DDR ein Gastronomiebetrieb und schließlich nach der Wende Billardsalon. Nun adeln Anne Tismer, Uwe Moritz Eichler und Philipp Reuter die vergilbte Pracht zum genreübergreifenden Theater, einschließlich Lounge und Bar.

    "Das Besondere ist für mich ist, dass wir zusammenarbeiten wollen mit Leuten aus der bildenden Kunst, was für mich auch ein komplett neues Gebiet ist, mit Tanztheater und mit Sprechtheater. Das ist schon früher mal […] probiert worden, auch schon in verschiedenen Konstellationen, das Tolle ist halt hier an den Räumlichkeiten, dass die das hier das vorgeben und dass wir das auch noch mit so einer typischen Berliner Subkultur, Barbetrieb […] mischen können. "

    Die drei Theatergründer beginnen ihr Programm mit einem Blick zurück als Allegorie auf die Gegenwart, eröffnen mit Fassbinders ‚Ehe der Maria Braun’, also mit den ‚alten’ Gründerjahren. Nachkriegszeit. Vieles ist möglich, aber noch mehr nötig. Ein Leben, in dem es um’s Überleben geht. Maria Braun ist eher Liebesdienerin als Aufsteigerin und Anne Tismer spielt sie mit dieser ihr eigenen Distanz, unter der man den Kern der Figur immer nur erahnen kann, macht aus ihr eine harte, willensstarke Frau mit unglaublich vielen, auch ironischen Facetten an der Oberfläche. Stephan Baumecker als Hermann Braun gibt den stets fernen, vergrübelten Ehemann mit genau dosierter Ernsthaftigkeit und Uwe Preuss macht aus dem Fabrikanten Oswald einen distinguiert-weichherzigen Mann, zu gleichen Teilen souverän und nachgiebig.

    Die Inszenierung verschont die Zuschauer mit extravaganten Regie-Einfällen und setzt ganz und gar auf die Spielfreude, ja Spielwut der Protagonisten. Die Szenen wechseln im Minutentakt, Umzüge finden auf der Bühne statt, manches wirkt flüchtig, wie angerissen, andere Momente zerdehnen sich. Nicht immer stimmen Tempo und Timing und vieles wirkt sehr frisch, fast ein bisschen unterprobt, noch nicht ganz im Raum angekommen.
    Aber – so paradox es klingt – gerade diese Unfertigkeit lässt ungeahnten Raum für die Spielfähigkeit und Fantasie der Schauspieler.

    Eine runder inszenierte Vorstellung ist die Nazi-Revue: ‚Don’t cry for me Adolf Hitler’,
    eine Lazarett-Show im Kriegsdeutschland mit verwundeten Patienten, singenden Krankenschwestern, dichtenden Offizieren und einem kichernden, weiblich-zarten Hitler. Ulrike Recknagel als liebenswürdig-strenge Krankenschwester steht präsent im Zentrum der Inszenierung, die durch klugen Witz, gute Musik sowie musikalische Ironie bezaubert und die sich perfekt in die Räumlichkeiten des Ballhauses einpasst.
    In den beiden Eröffnungsstücken zeigt sich das Konzept der Theatermacher jenseits starrer Genregrenze und ideologischer Markierungen, aber mit einem wachen Blick in Vergangenheit und Gegenwart, wie Uwe Moritz Eichler erklärt.

    "Jetzt eine klare politische Linie zu verfolgen, finde ich erst mal ziemlich uninteressant. […]
    Wobei ich schon finde bei Maria Braun und bei dieser Nazi-Revue – ich versuche dann immer nachzuforschen: Mikrokosmos – Makrokosmos. Also, was sehe ich an meiner Familie, was ich nicht verstehe und gerade aus der Nachkriegszeit und wie fällt das auf die dritte Generation zurück und warum gibt es dann diverse Sachen, die ich einfach nicht verstehe, also, warum entstand dieser Staat überhaupt und warum lebe ich in solch einem Staat und nicht in einem anderen, was ist damals passiert, dass er nicht anders geworden ist, wo man nahezu alle Möglichkeiten hatte, genauso wie wir, hier im Ballhaus, gerade alle Möglichkeiten haben. "

    Alle Möglichkeiten, viele Notwendigkeiten – auch wenn die theaterimmanenten Potenziale in dem letzten der drei Eröffnungsstücke ‚No, he was white’, einem Punk Tanztheater mit deutlichen Trash-Kultur-Einflüssen nur suboptimal ausgenutzt werden – die Paarung von Frische und Professionalität, Begeisterungsfähigkeit und Pragmatismus machen zweifellos neugierig auf das zukünftige Programm des Ballhaus Ost.