Archiv


"Schauerliches Schauspiel"

Nach Einschätzung von Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann ist das Gezerre um die Berliner Ehrenbürgerschaft für Wolf Biermann Ausdruck dafür, dass die Linkspartei.PDS mit ihrer SED-Vergangenheit nicht gebrochen hat. "Es ist und bleibt die Partei, die keinen Sinn dafür hat, dass sie eine furchtbare totalstaatliche Vergangenheit hat", sagte Naumann. Dass da die SPD mitmache, sei eine Schande, kritisierte Naumann das Verhalten des Koalitionspartners, der sich ebenfalls skeptisch zu einer Ehrung Biermanns verhält.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Bundesverdienstkreuz ja, Ehrenbürgerwürde in Berlin nein? Zwei Monate nach der Ehrung durch den Bundespräsidenten diskutiert Berlin nun darüber, ob der Liedermacher Wolf Biermann Ehrenbürger der Stadt werden darf oder nicht. Der Vorschlag kommt aus der CDU in Berlin. Der rot-rote Senat hat bisher eher Ablehnung signalisiert. Dass die einstige SED mit ihrem einstigen und auch heutigen Gegner nichts anfangen kann, hat viele nicht verwundert, aber dass die Sozialdemokraten auf diesen Kurs einschwenken könnten, das hat doch einiges Kopfschütteln bewirkt. Heute wollen die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus beraten und wohl auch vorentscheiden oder auch direkt entscheiden.

    Am Telefon ist jetzt Michael Naumann, ehemaliger Kulturstaatsminister, heute Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" und nach wie vor auch Sozialdemokrat. Guten Morgen, Herr Naumann!

    Michael Naumann: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Die große historische Stadt und der aufmüpfige Liedermacher. Für ihn ist kein Platz auf der Ehrenbürgerliste?

    Naumann: Selbstverständlich. Dass die SPD sich überhaupt von diesem kleinen Koalitionspartner namens PDS, immerhin immer noch die Partei der ehemaligen Grenzwächter, der humorlosen Typen, die jahrelang Wolf Biermann bewacht haben. Man fragt sich immer: Wo sind die geblieben? Die Antwort lautet: Die sind natürlich, wenn nicht in der PDS, so doch in der Gefolgschaft der PDS. Dass diese kleine Partei die große alte Volkspartei SPD in diese Art Bredouille bringen konnte, das spricht nicht unbedingt für politisches Management und Fingerspitzengefühl der SPD.

    Klein: Welche Antwort haben Sie denn auf die Frage, wie das kommen konnte?

    Naumann: Erstens bin ich selbstverständlich dafür, dass Wolf Biermann, wenn er denn diese merkwürdige Sache noch haben will - was ist eigentlich eine Ehrenbürgerschaft? er darf dann wahrscheinlich kostenlos Bus fahren -, wenn er sie wirklich haben möchte, dann soll er sie auch bekommen. Der Sachverhalt, dass dieser Vorschlag aus den Reihen der CDU kommt, kann doch nicht dazu führen, dass die PDS plötzlich sagt, nein, den wollen wir nicht, den kennen wir so genau, den haben wir ja jahrzehntelang mit bis zu 100 Mann - das muss man sich mal vorstellen - überwacht. Den wollen wir nicht, das ist ein lockerer Bursche. Der hat zu viel mit den Frauen gehabt. Das ist ein ganz unbürgerlicher Mensch. Das ist schrecklich, ein Künstler, und außerdem mochte er uns nicht. Nein, dem wollen wir nicht die Ehrenbürgerschaft geben.

    Dies ist ungefähr, glaube ich, die Mentalität der PDS. Dass vor diesem Hintergrund die SPD sagt, ja, dann warten wir mal ab, am besten warten wir, bis er stirbt, dann kriegt er vielleicht eine postume Ehrenbürgerschaft, also das Ganze ist eigentlich ein schauerliches Schauspiel.

    Klein: Wie kommt die SPD, wie kommt Ihre Partei zu diesem Standpunkt, Herr Naumann?

    Naumann: Ach wissen Sie, eine Partei gibt es ja in diesem Sinne nicht, sondern es gibt unendlich viele Parteimitglieder. Die konstituieren eine Partei. Ich glaube ganz einfach: Wenn es in Berlin eine Abstimmung unter den SPD-Mitgliedern gäbe, wollen wir Wolf Biermann die Ehrenbürgerschaft geben, dann würden, würde ich sagen, ungefähr 80 bis 85 Prozent zustimmen. Weil aber diese Koalition doch relativ prekär mit einer relativ kleinen Mehrheit operiert, ist der kleine Partner hin und wieder in der Lage, sein eigenes Profil zu zeigen. Sein eigenes Profil zeigt die PDS hier ganz besonders schön, finde ich. Es ist und bleibt die Partei, die keinen Sinn dafür hat, dass sie eine furchtbare totalstaatliche Vergangenheit hat. Man darf nicht vergessen, dass die Ausbürgerung von Biermann zum ersten Mal auch den ehemaligen Linken Westdeutschlands - und zu denen zählte ich mich auch -, nicht zum ersten Mal, aber doch ganz besonders krass zeigte, wie geistfeindlich und bürokratisch und im Kern auch unmenschlich dieses Regime ist, das nun durch die Verweigerung der Ehrenbürgerschaft noch einmal gewissermaßen eine Art Goldrahmen bekommen soll. Dass da die SPD mitmacht, ist eigentlich, um es mal klar zu sagen, eine Schande.

    Klein: Das heißt, der Vorwurf der Geschichtsvergessenheit trifft im Grunde genommen auch die Sozialdemokraten?

    Naumann: Ja, in diesem Falle ganz gewiss. Aber ich muss noch einmal sagen, nicht die Sozialdemokraten, sondern diejenigen, die in der Fraktion der Berliner Regierung und natürlich auch in der Regierung selber herumtaktieren, um den kleinen Koalitionspartner nicht zu verärgern. Schade ist natürlich, dass Wolf Biermann kein Politiker ist und seine Worte nicht so abwägt, dass am Ende niemand mehr genau weiß, was er gesagt hat, sondern er hat immer sehr deutlich seine Meinung gesagt und manchmal lag er auch daneben. Er war zum Beispiel ganz vehement für den Irak-Krieg. Er ist kein Politiker, er ist nicht als Politiker gewählt worden, er ist einer der ganz bedeutenden deutschen Lyriker und natürlich auch Liedermacher. Wenn wir anfangen, die politischen Urteile von Liedermachern von der Qualität Biermanns auf die Goldwaage zu legen, dann fallen eigentlich, glaube ich, alle großen deutschen Lyriker aus irgendwelchen Ehrenrastern heraus, inklusive Heine.

    Klein: Sie sagen, die Sozialdemokraten das ist nicht nur eine Person. Das ist klar. Sie bestehen aus vielen Mitgliedern, vielen Politikern. Entscheiden wird die Fraktion, und der Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Michael Müller, wird zitiert mit den Worten, Biermann habe seine Verdienste. Für eine Ehrenbürgerwürde müssen die Verdienste aber herausragend sein, und genauso steht es auch in den Richtlinien für die Vergabe der Ehrenbürgerwürde von 1953. Ihrer Meinung nach ist das aber ein vorgeschobenes Argument?

    Naumann: Natürlich ist das vorgeschoben. Dem Bürgermeister Reuter haben sie auch keine Ehrenbürgerschaft gegeben, auch nicht herausragend genug. Aber Michael Müller ist natürlich, wie der Name Müller prinzipiell, ein Name, den man sich merken muss.

    Klein:! Das heißt was? Was meinen Sie damit?

    Naumann: Na ganz einfach: Um es klar zu sagen, Michael Müllers Urteil über die lyrischen und künstlerischen Qualitäten Biermanns ist mir so unbekannt wie der Mann selbst.

    Klein: Biermann hat vor einigen Jahren vor einer rot-roten Koalition gewarnt, auch in Berlin, mit sehr klaren Worten. Da ist von bankrotten sozialdemokratischen Apparatschiks die Rede, von totalitären Verwesern und von SED- und MfS-Kadern, die das kaum getrocknete Blut der Opfer noch am Ärmel haben. Können Sie sich vorstellen, dass weder PDS noch SPD ihm das verzeihen wollen?

    Naumann: Was hat das mit der SPD zu tun? Die hat Biermann gar nichts zu verzeihen. Er hat, glaube ich, mit einem beträchtlichen Teil seiner politischen Existenz, ehe er seine politische Meinung änderte, dieser Partei wesentlich näher gestanden als zum Beispiel die Mitglieder der PDS. Also in anderen Worten: Wenn ein Mann wie Biermann drastisch formuliert, dann gehört das gewissermaßen zu seinem Berufsbild. Noch einmal: Es geht nicht um einzelne Formulierungen Biermanns, sondern es geht darum, dass er mit seiner aufrechten und weiß Gott auch tapferen Existenz unter großer Bedrängung, unter Verbot künstlerischer Tätigkeiten jahrelang in der ehemaligen DDR in Ost-Berlin gewissermaßen der Hoffnungspunkt vieler, vieler junger Menschen war. Darum musste er ja so bewacht werden wie ein gefährliches Tier. Und diesem Mann jetzt gewissermaßen Zitate vorzuwerfen, die möglicherweise krass und übertrieben waren, da kann ich nur lachen. Das halte ich für ganz einfach unfair. Und im Übrigen geht es, und dabei bleibe ich, ganz einfach nur darum, den kleinen Koalitionspartner PDS bei Laune zu halten. Mir missfällt das, muss ich sagen.

    Klein: Sie können lachen, Herr Naumann. Manch einer kann das nicht. Lassen Sie uns aber noch einen Blick darauf werfen: was bedeutet diese Geschichte, die sich im Moment in Berlin abspielt, für die Politik, für die Zusammenarbeit der beiden Parteien SPD und PDS in Zukunft? Was lehrt uns das?

    Naumann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass, wie Wolf Biermann wohl selber sagen würde, der kleine Biermann eine Regierungskoalition der größten deutschen Stadt zum Platzen bringt. Das halte ich für völlig unmöglich. Aber um es mal ganz klar zu sagen: Ein bisschen Unruhe hat er immer in alles politische Gewese getragen, und hier gelingt es ihm gewissermaßen passiv auch. Ich habe mit ihm seit einigen Monaten nicht gesprochen. Ich gehe aber mal davon aus, dass er in Wirklichkeit auf diesen Ehrentitel schon längst keinen Wert mehr legt. Er wohnt in Hamburg in erster Linie und auch ein bisschen in Frankreich. Ob die Berliner ihn zum Ehrenbürger machen oder nicht und er dann auch noch ein kostenloses Grab im Waldfriedhof bekommt oder nicht, das dürfte ihm, das vermute ich ganz einfach mal, ziemlich Wurscht sein. Den Staat und seine Attitüden kennt der Mann in- und auswendig, besser, glaube ich, als die meisten von uns.

    Klein: Dass es gar nicht um Biermann oder die Ehrenbürgerwürde gehen würde, genau dies wirft man dem jetzigen Initiator vor, Uwe Lehmann-Brauns von der CDU. Er habe das nicht ausreichend abgestimmt und schon deswegen habe er Ärger provoziert und eigentlich würde es auch ihm gar nicht um Biermann gehen.

    Naumann: Das glaube ich nicht. Herr Lehmann-Brauns war immer ein konservativer, antitotalitärer Sprecher der CDU. Ich nehme doch an, dass er Biermann durchaus kennt und schätzt. Das halte ich für eine Unterstellung.

    Klein: Michael Naumann, Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", ehemaliger Kulturstaatsminister. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Naumann.

    Naumann: Bitteschön. Auf Wiederhören.