Die Überforderungsreize quälen die Netzhaut: Bunte Nachrichtenbilder werden in schneller Folge auf den Gazevorhang geworfen. Den Alltag umgibt ein Bildersturm aus Halbwissen. Das Alltagswissen vieler Menschen ist von unausgegorenen Vorstellungen von den sogenannten Fremden bestimmt. Und daher geht es im Schauspiel Köln zunächst auch ganz und gar nicht um Dschihadismus – sondern um Vorurteile des täglichen Lebens.
Marienfigur neben Boxidol
Das Bühnenbild ist eine mitteleuropäische, spießbürgerlich enge Wohnung, Marienfigur neben Boxidol. Hier leben die alleinerziehende Mutter, eine überforderte Krankenschwester, ihre vergessliche Mutter mit ukrainischen Wurzeln und der 17-jährige Sohn. Da kommt die neue Nachbarin zu Besuch, trägt Kopftuch - und bringt orientalischen Kuchen mit. Zuerst ist der Rassismus der Beschenkten ganz unterschwellig. Libanon wird mit Libyen verwechselt, subtil wird der bei denen ja immer viel zu süße Kuchen beleidigt. Zusehends eskaliert die Lage.
"Hören Sie diese Musik? Unverschämt diese Leute. Ist denen doch scheißegal, ob man ihre Musik mag oder nicht. Die drehen einfach ihre Ramba-Zamba-Musik so laut auf, als gäbe es hier niemand anderen als sie selbst. – Ramba-Zamba? - Schrecklich, was? - Die Musik kommt aus meiner Küche! - Wann. - Ja, jetzt bevor das Essen kalt wird... -WANN DREHEN SIE DIE MUSIK AB. - Das können Sie bei sich zu Hause in Libanon machen! - Ich bin nicht aus Libanon! Und auch nicht aus Libyen! - Dann eben aus Ägypten! Wissen Sie, was das heißt, ARBEITEN? - So, das reicht, ich gehe."
Ornament-Fenster und Gebetsteppiche
Doch dann brennt es an anderer Stelle. Ein Polizist kommt. Der Sohn ist angeblich über die Türkei nach Syrien ausgewandert. Und trug er nicht auf einmal Vollbart? Auf einmal bricht das Fremde in die eigene Familienzelle ein. Da wird die arabisch sprechende Nachbarin auf einmal doch gebraucht. Geschickt orientalisch handelt die den Preis fürs Helfen hoch und gibt Tipps für den Besuch in der nächsten Moschee. Zu dritt machen sie sich tiefschwarz verschleiert auf den Weg – und die Wand schwingt auf und gibt den Blick frei auf Ornament-Fenster und Gebetsteppiche.
Ibrahim Amir weiß die Komödienkniffe souverän einzusetzen: Was in westdeutschen Boulevardkomödien der Kleiderschrank war, ist nun der Schleier als Allzweck-Versteck- und Verwechslungs-Requisite. Nichts ist, wie es scheint: die Kopftuch-Nachbarin wurde von einem untreuen Schwaben verlassen und freut sich nun am freien Leben, der Imam in der Moschee ist geschieden und war früher Kommunist – sogar der Polizist ist französisch sprechender Weltbürger.
"Seien Sie froh, dass Sie hier leben und nicht in Frankreich! Kommen Sie zum Wesentlichen. Ich sage, es geht um Ihren Sohn, und Sie sagen... Das ist Farbe. Ab und zu bewirft man diese Moschee mit Farbe. Ich wurde dabei nur leicht getroffen. Doch, das ist schlimm. Wir leben in einem Land, das Religionsfreiheit als Grundrecht. in der Verfassung stehen hat. Und wenn Sie deswegen diskriminiert werden, müssen Sie geschützt werden."
Vorurteile auf allen Seiten
Und auch wenn der Plot manchen logischen Bruch hat, ist das doch tatsächlich komisch - großartig auf den Punkt spielen das die Darsteller, allen voran Margot Gödrös als Großmutter und Nicola Gründel als Nachbarin. Regisseur Rafael Sanchez ergänzt den Filmrealismus des Abends dazu mit Videobildern, die mit Orientklischees spielen: Bauchtänzerinnen mit wippenden Brüsten zu Arab-Pop: Das Leben mit dem muslimischen Mitbürger ist alles andere als erkundet.
Bravourös werden die Vorurteile auf allen Seiten zugespitzt: Muslime sind tickende Zeitbomben, die Familienstrukturen der deutschen Gesellschaft kaputt. Als der Imam erkennt, dass sein eigener Sohn sich angeblich mit auf der Ausreise zum IS befindet, fällt er in Ohnmacht. Bald kommen Mustafa und Philipp selbst herein, im Rucksack vielleicht eine Bombe, die arabischen Schriftzeichen auf schwarzem Grund ähneln denen des IS. Doch sie wollen nicht nach Syrien, sondern zu einem Sufismus-Workshop in die Türkei, sind keine radikalen Salafisten, sondern sanfte Sufisten – eine mystische Nebensekte des Islam, die Botschaften von Liebe und Schönheit verkündet. Zur Eskalation mit Elektroschockern, scharfen Waffen und Polizei-Einsatz kommt es schließlich trotzdem.
Die Komödie über Missverständnisse kippt ins Ernste, als Mustafa tot auf dem Boden liegt. Das kann nicht sein. Also alles auf Anfang: Die Moschee wird zurück in die Wohnung verwandelt, da begegnen sich Großmutter, Mutter und Nachbarin noch einmal neu, mit aller Offenheit und Neugier, kennen Gebäck mit Namen, verwechseln Libanon nicht mit Libyen. Es hätte so schön sein können. Mit wenigen Strichen malt Amir hier ein zeitgenössisches Idealbild davon, wie verschiedene Kulturen und Religionen eine Gesellschaft doch bereichern können. Der Nerv, den er damit trifft, könnte nicht blanker liegen. Das ist keine Dschihadisten-Komödie – sondern eine der Entdämonisierung. Und vielleicht auch eineHandlungsanleitung.