Vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Spätestens jetzt weiß Karin Beiers neue Hamburger Kundschaft, dass auch an diesem Theater beim Neustart nicht automatisch alle Besen besser fegen und auch von jetzt an bloß mit Wasser gekocht werden wird. Das klingt womöglich bieder, plan und platt, das ist aber die wichtigste Erkenntnis nach dem ersten richtigen Flop der neuen Zeit. Was ist passiert, und (soweit erkennbar) warum?
Kleczewska hat versucht Shakespeare zu verändern
Die hierzulande noch nicht sehr bekannte, in Polen aber hoch geschätzte Regisseurin Maja Kleczewska hat sich mit Shakespeares letztem Wort, der durchaus finstren Rache- und Vergebungsphantasie "Der Sturm", massivst verhoben; unter anderem deshalb, weil sie augenscheinlich meinte, schlauer als der Text zu sein. Oder anders: weil sie Brechts kluge Antwort aus ähnlichem Anlass nicht beherzigte – "Können wir den Shakespeare verändern?" fragt der rhetorisch sich selber; und gab sich zur Antwort: "Ja, wenn wir ihn verändern können!" Frau Kleczewska hat es versucht, bestenfalls.
Kurz die Handlung, wie sie geschrieben steht – auf einer einsamen Insel lebt Prospero, der mit Zauberkraft begabte Ex-Herzog von Mailand, allein mit der Tochter und zwei Geistern; einem finstren, Caliban, der auf dieser Insel herrschte, bevor Prospero vom Mailänder Bruder Antonio hierher in die Verbannung geschickt wurde, und einem guten, Ariel, der zum Beispiel Stürme entfesseln kann, und vieles mehr ... Als nun das Schiff seiner Feinde vorbei kommt, bringt so ein Ariel-Sturm sie in Properos Gewalt; zunächst von Rache besessen, treibt er sie erst in den Wahnsinn, um ihnen schließlich - altersweise - zu verzeihen.
Modische Familienpsychologie wirkt albern
Kleczewska und Mit-Bearbeiter Lukasz Chotkowski behalten die meisten zentralen Motive bei, deuten sie aber konsequent anders; en detail und en gros. Aber völlig folgenlos. Zum Beispiel: Der Sturm, so wird suggeriert, könnte die atomare Katastrophe sein - das muss doch Konsequenzen haben. Wenn es zum Krach zwischen Vater König und Herrschersohn kommt unter Prosperos Zauber, taucht die Inszenierung drastisch ab in modische Familien-Psychologie. "Familienaufstellungen nach Hellinger" seien Teil der Vorbereitung gewesen, ist im Programmheft zu lesen – na klasse!
Shakespeare-Bearbeitung zu langatmig
Dass Tochter Miranda noch gar nichts von Liebe weiß, muss sie in der Begegnung mit dem schönen Königssohn Ferdinand ausführlichst darstellen. Und wenn zwei betrunkene Köche aus dem gesunkenen Schiff zu Werkzeugen des von Prospero geschundenen Caliban missbraucht werden, beginnt der (hier weiblich: die) eine, sich jesusmäßig in forciertes Erlösertum für alle Erniedrigten und Beleidigten hinein zu delirieren, die andere säuft lieber weiter und phantasiert von all der Gewalt, die ihr Leben geprägt hat. Völlig unvermittelt kommt auch eine afrikanische Trommel-Combo zum Einsatz - damit sich Hamburg (schwupps!) an die ortsansässigen Lampedusa-Flüchtlinge erinnert fühlen darf. Erfüllt derlei Aktualitätshuberei eigentlich den Strafbestand des Missbrauchs von Opfern?
Hohles Wortgeklingel
Und so fuchtelt diese Shakespeare-Bearbeitung tatsächlich knapp zwei (gefühlte vier) Stunden lang mit Assoziationen herum - und hat dabei im Wesentlichen nur mitzuteilen, dass der oft viel zu lieb und nett gezeichnete Prospero unter der Oberfläche auch ein abgetakelter Finsterling kurz vor dem letzten Gefecht ist; hier extrem gewichtig im Rollstuhl und immer zu einer Bosheit bereit. Und dass die Versöhnungshochzeit, die Kleczewska vom Ende an den Anfang des Stückes holt, nur hohles Wortgeklingel ist. Na ja.
In Erinnerung bleiben nur die Begegnungen von Prospero und Ariel - der schon wie in Auflösung philosophierende Josef Ostendorf und Sachiko Hara, die großäugig wie ein ganz kleines Kind an seinen Lippen hängt. Das zeigt uns ganz nah die Video-Kamera; die aber außer für solche "close up"-Bilder für nicht sehr viel gut und nützlich ist. Hier aber wird der Abend endgültig auch zum Imitatensalat - unvergorener Castorf von A bis Z; mit dem Video, der in viele Zimmer aufgeteilten Bühne wie von Bert Neumann, dem freien Assoziieren im Spiel. Castorfs Motive sind immer offensichtlich – bei Kleczewska aber geht’s immer nur durcheinander wie in der Villa Kunterbunt.
Wie gesagt: Vielleicht war diese Ernüchterung auch nützlich. Flops gehören dazu - aber die neue Chefin hätte damit gern noch ein bisschen warten können. Speziell auf der Großen Bühne wird sie sich derlei Katastrophen wie diese nicht oft leisten können.