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Schauspieler als Schriftsteller
Keine Garanten für gute Literatur

Mit "Blackbird" und "Der Ursprung der Welt" haben erneut zwei deutsche Schauspieler Spitzenplatzpositionen in renommierten Verlagen eingenommen. Die neue Welle schreibender Mimen ist nicht immer ein Gewinn für die Literatur – aber die Kassen klingeln.

Jan Drees im Gespräch mit Miriam Zeh und Peter Henning | 08.10.2019
Die beiden Schauspieler Ulrich Tukur und Matthias Brandt
Auch die beiden Schauspieler Ulrich Tukur und Matthias Brandt versuchen sich als Schriftsteller (Ulrich Tukur: dpa / Boris Roessler, Matthias Brandt: imago stock&people)
Das Kritikergespräch wurde am 22. September dieses Jahres vor Publikum aufgenommen im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks in Köln, wo gestritten wurde über Matthias Brandts Coming-of-Age-Geschichte "Blackbird" und Ulrich Tukurs "Der Ursprung der Welt". Anlass war der "Tag der offenen Tür" zum 25. Geburtstag des Deutschlandradios.
"Können Schauspieler schreiben?" Das ist die Frage dieses Büchermarktes, die in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, weil schreibende Schauspielerinnen ein Phänomen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur sind. Matthias Brandt debütierte 2016 mit seinem Geschichtenband "Raumpatrouille". Axel Milberg veröffentlichte in diesem Frühjahr den Band "Düsternbrook" – Christian Berkels Familienroman "Der Apfelbaum" war im vergangenen Jahr ein Bestseller. Ulrich Tukurs "Der Ursprung der Welt" ist einer der Spitzentitel des Frankfurter S. Fischer-Verlags, immerhin dem Stammhaus des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann.
Mama hat den besten Shit
Es gibt durchaus literarische Bücher von Schauspielern wie Sam Shepard, dessen Geschichtenband "Drehtage" 2013 überwiegend positiv aufgenommen wurde – und der zudem Pulitzer-Preisträger war. Gern gelesen werden hierzulande die Bücher der beiden Schauspieler Joachim Meyerhoff und Robert Seetahler. Wenn wir das Literarische ausweiten, kommen wir nicht umhin zu erwähnen, dass Woody Allen sowohl als Schauspieler, als auch in seiner Funktion als Geschichten- und als Drehbuchautor gleichermaßen erfolgreich ist, dass Ben Affleck und Matt Damon 1998 den Oscar erhalten haben für ihr Drehbuch zu "Good Will Hunting" – und andererseits war Dario Fo, der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1997 zugleich Schauspieler seiner Stücke, die so lustige Titel tragen wie: "Mama hat den besten Shit" oder "Wer einen Fuß stiehlt, hat Glück in der Liebe."
Matthias Brandt: Tom Sawyer 3.0
Über den Roman "Blackbird" von Matthias Brandt sagt Peter Henning: "Es ist eine an sich sehr kleine Geschichte, die uns in die Siebziger Jahre zurückführt, die Geschichte des Morten Schumacher, Spitzname Motte, eines Jungen, der 16 Jahre alt ist und in einer namenlosen Kleinstadt lebt. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte. Einer der Freude erkrankt sehr schwer, während sich Morten verliebt – das ist das Dreieck, zwischen dem diese Geschichten hin- und herflirren. Wenn man genauer draufguckt und ein bisschen weiter weggeht, dann hat man plötzlich das Gefühl, man ist bei Tom Sawyer 3.0 angekommen."
Ulrich Tukur: Absurde Häufung von Zufällen
Weniger gut besprochen wird Ulrich Tukurs Roman, über den Miriam Zeh unter anderem sagt, das hier Vorliegende sei ein sehr schlecht gemachter Widerstandsroman: "Es gibt eine absurde Häufung von Zufällen. Dan Brown würde vor Neid erblassen bei diesen zufälligen Bildern, die ständig irgendwo in der Gegend rumhängen. Es ist aber alles nicht genug. Es gibt einen historischen Kontext, der dann aber als Erregungsmoment Tukur nicht zu reichen scheint. Die Nazis reichen nicht. Es muss auch noch eine unglückliche Liebesgeschichte geben."
Axel Milberg: Schwache literarische Sprache
Festgehalten werden kann dennoch, dass Schauspieler nicht automatisch Garanten sind für gute Literatur. Auch Axel Milbergs "Düsternbrook" wurde vor einigen Monaten im Büchermarkt verrissen. Rezensent Samuel Hamen urteilte unter anderem: "Zu schwach ist in diesem Roman die literarische Sprache, die weder Rhythmus noch Bilder für dieses gelebte Leben findet, zu arglos zündelt hier jemand an seinem privaten Lagerfeuer herum, um sich seine Geschichten letztlich doch nur selbst zu erzählen." Gut, Gott sei’s geklagt, doch sehen wir uns die Bestsellerlisten an, so müssen wir anerkennen, dass die Kassen klingeln, wenn der Name eines Schauspielers auf dem Cover steht.
Es bleibt am Ende bei der Empfehlung eines anderen Werks, das ein berühmter Schauspieler veröffentlicht hat, ein Buch, dessen Lektüre nach wie vor beeindruckt. Geschrieben hat es August Wilhelm Iffland und es trägt den Titel: "Meine theatralische Laufbahn", 1798 erschienen bei Göschen in Leipzig.
Matthias Brandt: "Blackbird"
KiWi, Köln, 288 Seiten, 22 Euro.
Ulrich Tukur: "Der Ursprung der Welt"
S. Fischer, Frankfurt, 304 Seiten 22 Euro