Er fühle sich als Schauspieler nach einer Theatervorstellung nicht immer reich beschenkt, so Matthes. Das Publikum unterschätze seinen eigenen Beitrag zum wechselseitigen Gelingen eines Abends. So gebe es bei fast jeder Vorstellung "exzentrische Huster" - meist von einem oder mehreren Männern: "Sie sind dazu in der Lage, einen Abend deutlich zu beschädigen." Er selbst werfe dann "böse Blicke" ins Publikum; wichtig sei eine "Hochkonzentration" unter den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Applaus, so Matthes, sei "am allerdoofsten, wenn es dieser maßvolle, maue Muffelapplaus" sei. Ein Buhruf dagegen könne durchaus ein Geschenk sein - als Zeichen von Impulsivität.
Erst glotzen, dann nachdenken
Er glaube zutiefst daran, so der 60-Jährige in den "Kulturfragen" im Deutschlandfunk, dass ein Publikum erst einmal emotional und intuitiv auf Vorgänge auf der Bühne reagiere. Mit Bezug auf Bertolt Brecht sagte er: "Ich glaube, ein Publikum glotzt erst mal romantisch und beginnt erst danach, darüber nachzudenken." Manchmal ärgere er sich auch sehr über die Zuschauerinnen und Zuschauer, verliere aber nie den Grundrespekt vor ihnen.
Auf Gastspieltouren mit dem Theater liebe er vor allem das Publikum in Stuttgart und Hamburg. Berlin müsse man sich erst einmal erobern. Wien dagegen sei zwar eine Theaterstadt: "Aber ich habe mich selten in meinem Leben so einsam gefühlt wie in Wien." Die maßlose Verehrung für das Burgtheater empfinde er als "unkritisch".
Nichts kann mehr verstören
Impulsiver, temperamentvoller, wütender, jähzorniger sei das Publikum früher gewesen, erinnert sich der vielfach ausgezeichnete Schauspieler. Aber alles, was ein Publikum noch wirklich verstören könne, sei spätestens seit den Inszenierungen von Frank Castorf "durch": Nackte auf der Bühne, Hakenkreuze, Kartoffelsalatschlachten, Blut und Sex.
Auch deshalb seien die Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Zeit leidenschaftsloser geworden.