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Schauspieler Ulrich Tukur
"Glück ist, wenn man liebt"

Ulrich Tukur ist nicht nur ein renommierter Schauspieler. Er macht auch Musik mit einer Tanzkapelle und schreibt Bücher. Seit gestern ist er in der Verfilmung des Romans "Gleißendes Glück" im Kino zu sehen. Im Corso-Gespräch spricht Tukur über seine vielseitigen Talenten und seine Vorstellung von einem glücklichen Leben: "Zu lieben, ist das große Geheimnis. Das ist, was unser Leben zusammenhält."

Ulrich Tukur im Corso-Gespräch mit Jörg Albrecht |
    Der Schauspieler Ulrich Tukur, aufgenommen in Frankfurt am Main.
    Ulrich Tukur. Schauspieler, Autor und Musiker. Man solle sich auch mal überfordern, so Tukur. Er selbst konfrontiere sich regelmäßig mit Neuem. (dpa / Boris Roessler)
    Jörg Albrecht: Ihre Figur, der Gehirnforscher und Ratgeberautor Eduard E. Gluck, fragt die von Martina Gedeck gespielte Helene, wann sie zuletzt richtig glücklich war. Er spricht von jenem "gleißenden Glück", das auch dem Roman und dem Film seinen Titel eingebracht hat. Was würde denn Ulrich Tukur selbst auf diese Frage antworten?
    Ulrich Tukur: Wenn Sie nach diesem Moment fragen, wo man denkt, die Sorgen sind abgefallen und ich bin im Hier und Jetzt und ich bin bei mir oder bin ganz verschwunden - das sind so Momente, die so selten sind. Dass man in der großen Melodie des Lebens schwingt, das sind ganz, ganz seltene Momente. Selten sind auch die Momente auf der Bühne, die ich auch genossen habe, bei denen ich das Gefühl hatte: Jetzt geht es! Jetzt ist man porös. Jetzt ist man durchlässig und jetzt stimmt alles, was man macht. Das ist auch ein Gefühl des Glücks. Es ist wie ein Vogel, der dahergeflogen kommt und dann ist er auch ganz schnell wieder fort.
    "Glück ist, wenn man liebt"
    Albrecht: In der Geschichte, die der Film erzählt, läuft die Antwort darauf hinaus, dass es Glück nur dann geben kann, wenn man geliebt wird. Das hängt dann aber weniger von einem selbst ab.
    Tukur: Ja, das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Ich würde aber sagen: Glück ist, wenn man liebt. Das geht viel tiefer. Wenn man geliebt wird, ist das sicherlich ein sehr angenehmer Zustand und auch erstrebenswert. Aber zu lieben, ist das große Geheimnis. Das ist, was unser Leben zusammenhält und ihm einen tiefen Sinn gibt. Dabei meine ich nicht nur die Liebe zu einem anderen Menschen, sondern auch die Liebe zur Musik, zur Malerei, die Liebe zur Natur - was auch immer. Eine tiefe, bedingungslose Liebe, die nicht fragt, was ich dafür kriege, sondern die sich einfach nur freut, dass es da ist.
    "Ich liebe das Leben"
    Albrecht: Dann müssten Sie eigentlich viel Anlass zur Freude haben. Bei Ihnen ist es eine ganze Menge da, wenn ich mir allein die vielfältigen Dinge anschaue, für die Sie sich in der Kunst begeistern: Neben der Schauspielerei machen Sie Musik, Sie geben Konzerte, Sie schreiben Bücher. Da könnte man leicht den Eindruck bekommen, dass Sie ein Getriebener sind.
    Tukur: Ja, so ist es wahrscheinlich. Also ich liebe das Leben. Das Leben ist so mannigfaltig, so verrückt und so bunt. Es gibt so viele Möglichkeiten, dieses Abenteuer Leben abzubilden, um es zu verstehen. Und ich liebe eben Musik, ich mag Malerei und ich bin gerne Schauspieler. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, sich an dieses Phänomen Leben heranzumachen. Und ich möchte da nichts verpassen und nichts vermissen. Allerdings, wenn man über lange Zeit - und es fing sicherlich mit der Theaterkarriere bei Peter Zadek an - ein gewisses Tempo vorlegt, dann haben diese künstlerischen Tätigkeiten die Tendenz, sich immer weiter zu beschleunigen. Ich habe immer mehr gemacht und es war erfolgreich. Dann hast du irgendwann ein Grundtempo, an das du dich gewöhnst und von dem du gar nicht mehr lassen kannst. Das ist dann vermutlich auch eine Art Sucht, die sich dann einstellt. Ich benutze gern die Metapher von dem Boot, das ruhig im Wasser liegt, wenn es schnell fährt. Wenn man Tempo herausnimmt, merkt man, dass es hin und her schwankt. Und es ist sicherlich auch die Angst davor, was denn ist, wenn das jetzt anhält. Wer bin ich dann noch? Wo ist die Substanz? Was ist denn da? Natürlich hat man intuitiv Angst davor, dass man verschluckt wird von irgendetwas Unangenehmen, wenn man das Tempo drosselt.
    Albrecht: Wenn man so viele Dinge macht, besteht immer auch die Gefahr, dass man sie nicht 100-prozentig macht oder dass man sie nicht gut macht, dass man sich vielleicht verzettelt.
    Tukur: Das ist ein Gedanke, den ich oft habe. Ich versuche natürlich dann, wenn ich etwas mache, wenn es ein Film ist oder dieses Buch, das ich jetzt versuche zu schreiben, oder wenn es ein Konzert ist, es wirklich so gut zu machen wie nur möglich. Ich weiß nicht, wo ich wirklich eine 100-prozentige Begabung habe. Ich kann schauspielern, ich kann Klavier spielen - nicht so gut wie ein großer Pianist, aber ich liebe es. Ich singe auch. Ich mache das alles leidenschaftlich gern. Ich weiß natürlich, dass Max Raabe zum Beispiel, in dessen Raum ich auch herumwildere, so erfolgreich ist, weil er sich nur auf diese eine Sache konzentriert. Das ist ein Nachteil, dass man sich verzettelt und es nicht so richtig durchschlagend ist mit einer Sache. Es ist aber auch ein Vorteil, weil man einfach viel unabhängiger bleibt und sehr viel mehr kennenlernt.
    "Nimm dir nichts vor, schau den anderen an, lass dich fallen"
    Albrecht: Bleiben wir beim Schauspieler Ulrich Tukur: Da haben Sie viel kennengelernt, viele Rollen gespielt. Wie viel Arbeit macht es Ihnen denn noch, sich eine neue Rolle aufzusatteln? Wie wichtig sind zum Beispiel Proben vor dem eigentlichen Dreh - gerade bei "Gleißendes Glück", bei dem unglaublich viel über den Dialog geschieht?
    Tukur: Ich habe mit anderen Regisseuren viel mehr geprobt. Wir haben - ehrlich gesagt - gar nicht viel geprobt. Also ich war gut vorbereitet. Das ist wichtig. Man läuft ja lange mit dieser Figur schwanger und überlegt sich, wie sich diese Figur bewegt und wie sie spricht. Und irgendwann tritt man vor die Kamera und dann ist der ganze Witz, dass man eine Partnerin oder einen Partner hat, dem man wirklich in die Augen schaut. Und daraus hole ich die Inspiration. Den Text muss ich haben, alles andere ist mir wurscht. Ich habe eine Atmosphäre in mir, einen Text, den ich sagen muss und die Energie beziehe ich aus meinem Gegenüber. Das ist etwas, das mir vor langer Zeit Peter Zadek bei einer Probe, bei der ich völlig verzweifelt war, sagte. Ich kann das nicht spielen, mir fällt nichts ein, habe ich zu ihm gesagt. Und er fragte: Was ist denn dein Problem? Schau doch einfach mal deinem Partner in die Augen! Und das stimmt. Es ist wie beim Autofahren. Sie gucken ja auch nicht auf die Meter direkt vor sich, sondern sie gucken auf den Horizont und dann fahren Sie automatisch. Und ich habe festgestellt: Nimm dir nichts vor, schau den anderen an, lass dich fallen! Vielleicht passiert etwas Tolles. Es passiert auch nicht immer etwas Tolles. Dann müssen Sie doch wieder auf den Knopf drücken und pressen. Aber das ist ein großer Spaß zu sehen, ob etwas passiert. Und wenn etwas kommt - eine Betonung, eine Bewegung, die aus mir kommt, ohne dass ich es will, ist es richtig.
    "Ich hatte mit zwei diametral entgegengesetzten Regisseuren zu tun"
    Albrecht: Zum "einfach spielen" gehört immer auch ein Regisseur, der einen Schauspieler spielen lässt. Welches Verhältnis haben Sie denn zu Regisseuren, die sich stärker einmischen, die korrigieren?
    Tukur: Also ich hatte mit zwei diametral entgegengesetzten Regisseuren zu tun. Da war Costa-Gavras, mit dem ich drei oder vier Filme gedreht habe. Ich kam bei "Der Stellvertreter" ans Set und fragte: Costa, wie soll ich das spielen? Möchtest du es mehr verzweifelt haben oder mehr aggressiv? Und er sagte: Du, ich habe dich besetzt für die Rolle und du machst das. Er war so höflich und hat so an mich geglaubt, dass ich gar nicht die Möglichkeit hatte, etwas falsch zu machen. Dann hatte ich aber Michael Haneke, der dir aber auch jeden Satz, jede Betonung, jeden Schnaufer und jede Bewegung mit dem kleinen Finger vorschreibt, der eine perfekte Choreographie im Kopf hat und die er auch genauso haben will. Schwierig! Das war wirklich anstrengend. Ich schätze ihn sehr. Das ist ein ganz großer Künstler und auch privat ein wunderbarer Mensch, aber als Regisseur ist er - ich sage es mal euphemistisch - schwierig.
    Albrecht: Wie allerdings Quentin Tarantino als Regisseur ist - davon haben Sie sich kein eigenes Bild machen können. Denn es hätte durchaus passieren können, dass Sie statt Christoph Waltz als Hans Landa in "Inglourious Basterds" mit dabei gewesen wären. Was ist da schiefgelaufen?
    Tukur: Ich habe den Fehler gemacht, in dieses Gespräch mit Tarantino hineinzugehen und zu sagen: Herr Tarantino, ich finde dieses Drehbuch ganz toll und würde das gerne machen, aber ich kann das gar nicht zu dem Zeitpunkt, weil ich da eine Tournee habe. Vielleicht können Sie das umstellen. Das sagt man einem Herrn Tarantino natürlich nicht und da war das Ding eigentlich schon gelaufen.
    "Man sollte auch mal überfordern"
    Albrecht: Aber Sie trauern dieser verpassten Gelegenheit jetzt nicht nach. Das ist also kein Stachel, der tief sitzt?
    Tukur: Ich bin nicht unglücklich mit dem, was ich mache. Mir geht es ganz toll. Ich habe das große Glück, Dinge tun zu dürfen, die mir Spaß machen und die gesehen werden und auch noch akklamiert und von der Kritik gnädig angefasst werden. Und ich bin nicht todkrank.
    Albrecht: Wenn Sie von Dingen sprechen, die bei der Kritik gut ankommen, dann sind wir automatisch beim "Tatort". Der sechste Fall von Ihrer Figur Felix Murot steht Ende November an. Die Folgen mit Ihnen sind aber auch "Tatorte", die so manchen Zuschauer doch ein wenig überfordern, oder?
    Tukur: Das ist richtig, aber ich finde: Warum denn nicht? Man sollte auch mal überfordern. Wenn wir nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner operieren, dann sieht das alles wirklich erschütternd dünn aus. Ich meine das jetzt gar nicht arrogant. Ich konfrontiere mich auch immer mit Literatur, die ich auch nicht auf Anhieb verstehe und bei der ich mich anstrengen muss. Das ist einfach wichtig, dass man mal etwas tut, was man nicht gleich schlucken kann, etwas, das quer im Mund hängt, damit man nicht vergisst zu beißen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.