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Scheer (SPD) zu Lockerung von Stickoxid-Grenzwerten
"Dieser Vorschlag ist schwer erträglich"

Wenn über eine Lockerung der Stickoxid-Grenzwerte diskutiert werde, dann konterkariere das die Funktion von Grenzwerten und überhaupt von politischem Handeln, sagte die SPD-Umweltpolitikerin Nina Scheer im Dlf. Um die Verkehrswende durchzusetzen, plädiere sie für stärkere Anreize.

Nina Scheer im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Nina Scheer (SPD) spricht in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages (26.8.2018).
    Alternative Antriebstechnologien müssten dringend vorangebracht werden, meint die SPD-Umweltpolitikerin Nina Scheer (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Jasper Barenberg: Man erhöhe ja auch nicht den Promillewert, damit man mit noch mehr Alkohol im Blut fahren kann. So argumentiert der Grüne Cem Özdemir die Pläne von Angela Merkel, Fahrverbote mit einem Gesetz zu unterbinden, wenn Grenzwerte nur geringfügig, wie sie argumentiert überschritten werden. Das nennt er einen Treppenwitz. Andere halten den Vorstoß für möglich und auch durchaus angemessen.
    Am Telefon ist Nina Scheer. Für die SPD ist sie Mitglied im Umweltausschuss des Bundestages. Schönen guten Tag, Frau Scheer.
    Nina Scheer: Hallo!
    Barenberg: Die Grenzwerte lockern, wenn die Folgen von strengen Grenzwerten einem nicht so recht gefallen. Trägt die SPD diese Politik mit?
    Scheer: Das ist schwer erträglich, dieser Vorschlag. Denn man muss sich ja vor Augen halten, wofür Grenzwerte da sind. Sie haben eine Schutzfunktion. Und wenn dann in dem Moment, in dem Grenzwerte zum Handeln dringend auffordern, auf einmal an den Grenzwerten geschraubt wird, dann konterkariert man grundsätzlich die Funktion von Grenzwerten und überhaupt von politischem Handeln. Deshalb ist das für mich auch eine grundsätzliche Frage, wie man mit einmal gesetzten Grenzwerten umgeht, wenn dann auf einmal gemerkt wird, dass man in Verzug mit Maßnahmen ist, diese Grenzwerte einhalten zu können.
    "Wir müssen jetzt diese Bußgelder ins Visier nehmen"
    Barenberg: Wenn Sie sagen, das ist Ihnen schwer erträglich, dann bedeutet das, Sie haben Bauchschmerzen, aber Sie tragen es mit?
    Scheer: Nein, ich würde es nicht mittragen. Das muss ich ganz klar sagen wollen, weil ich das für erst mal auch nicht, angesichts der Gegebenheiten, die vorliegen: Wir haben ja bis heute keine Lösung zur Verhinderung der Fahrverbote, die wirklich so greift, dass man sagen kann, da ist man im sicheren Bereich. Das ist klar. Aber es sind ja die Maßnahmen bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Es ist ja in der Diskussion, dass Bußgelder verhängt werden können bei nachweislich eingebauten Schadstoff-Softwaren, die die Autoindustrie ja reihenweise vorgenommen hat. Errechnetermaßen beliefe sich das Bußgeld alleine für VW auf zwölf Milliarden Euro, wenn jeder PKW nachgerüstet würde beziehungsweise wenn diese Schadstoff-Einrichtung unter die Lupe genommen wird.
    Das muss wiederum der Anlass sein zu sagen, wir müssen jetzt diese Bußgelder ins Visier nehmen, wir müssen geltendes Recht zur Anwendung bringen, um die Hersteller zu verpflichten und wirklich dazu zu drängen, diese Umbauten vorzunehmen, diese Nachrüstungen vorzunehmen. Das ist tatsächlich eine Maßnahme, die greifen würde, die tatsächlich zur Verringerung der Stickstoffe in den Städten führen würde.
    Barenberg: Da hat Hans-Jürgen Papier, der frühere Bundesverfassungsrichter recht, da steht der Rechtsstaat auf dem Spiel?
    Scheer: Ich finde, diese Dimension hat es, weil wenn die Bevölkerung den Eindruck gewinnt, dass die Schutzmaßnahmen, die durch Recht und Gesetz eingezogen werden, etwa in Form von Grenzwerten, dass die dann nicht mehr gelten sollen, wenn die Politik und Verwaltung, alle Behörden, alle die, die aktiv werden können, und die Hersteller dann in die Knie gehen beziehungsweise einfach nicht sich an Recht und Gesetz halten, und man dann einfach nachbessert, nachkorrigiert, so dass es irgendwie passt, dann muss doch wirklich die Bevölkerung den Eindruck bekommen, dass Rechtsetzung keinen Wert hat. Deswegen finde ich das wirklich auch grundsätzlich problematisch.
    "Herr Scheuer blockiert hier"
    Barenberg: Nun stellt ja die SPD die Umweltministerin in diesem Kabinett. Wie kommt es, dass diese Dinge geschehen oder nicht geschehen, wenn wir Ihnen zuhören, und dabei ist an der Spitze des Ressorts eine SPD-Politikerin?
    Scheer: Das ist ja so nicht ganz richtig. Im Verkehrsbereich ist es ja insbesondere der Verkehrsminister, der am Drücker sitzt. Wenn es um diese Bußgeldverhängung geht, dann wäre auch das Verkehrsministerium an der ersten Stelle die Adresse. Aber die Bundesregierung als solche muss natürlich da sich jetzt am besten geschlossen hinstellen und wirklich die Schutzfunktion ausüben, zu der sie meines Erachtens verpflichtet ist.
    Die Umweltministerin, unsere Umweltministerin Svenja Schulze, hat eigentlich in der ganzen Diesel-Fragestellung, die ja auch über die perspektivischen Grenzwertsetzungen auf EU-Ebene und auch hierzulande hinausgeht, was die Diskussion angeht, immer ganz klar dafür sich ausgesprochen, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen. Da, finde ich, kann man keineswegs die Umweltministerin irgendwo in die Kritik schieben. Das wäre nicht fair und wäre auch einfach nicht sachlich korrekt.
    Barenberg: Durchsetzen kann sie sich im Kabinett offenbar nicht, zum Beispiel gegen den Verkehrsminister. Das muss man ja wohl so nüchtern festhalten.
    Scheer: Wenn sich jemand nicht durchsetzen kann, weil es nun mal in einem Kabinett so funktioniert, dass es Mehrheitsentscheidungen geben muss, dann ist doch nicht diejenige die Schuldige, die sich nicht durchsetzen kann, sondern derjenige, der eine solche sinnvolle Maßnahme blockiert. Und das ist definitiv nicht Svenja Schulze. Da bin ich auch immer ein bisschen irritiert, dass da leicht immer die, die ehrlicherweise zugeben, an welcher Stelle es hakt, dann in die Kritik geraten. Das kann es ja nicht sein.
    Herr Scheuer blockiert hier und es ist ja auch jetzt an den neueren Vorschlägen, die von Merkel noch mal aufs Tableau gehoben wurden, dass man jetzt an den Grenzwerten was ändern solle, da ist ja auch klar, von welcher Farbe das kommt. Das ist ganz klar aus der Union heraus und das ist für mich völlig unverständlich, zumal ja die Zahlen von deren Parteikollegen, dem Ministerpräsidenten aus Hessen, Volker Bouffier, ganz klar zeigen, dass sie noch nicht mal was helfen würden. Selbst wenn man sich in diese Denke begeben würde, was ich ablehne, noch mal, was ich ablehne, dann müsste man auch sagen, dass es vor Ort ja gar nicht hilft.
    "Man kann nicht jetzt einfach an den Grenzwerten herumdrehen"
    Barenberg: Was diese Grenzwerte angeht, da haben wir die Tage auch gelernt, dass das schon im Koalitionsausschuss Anfang Oktober mit der Stimme der SPD vereinbart ist. Ist das ein Beispiel dafür, dass auch in diesem Punkt die SPD einen Fehler gemacht hat oder einer Entscheidung zugestimmt hat, die sie eigentlich inhaltlich nicht mittragen kann?
    Scheer: Zum Koalitionsausschuss kann und möchte ich nichts sagen. Da war ich nicht dabei. Der Vorgang, so wie er jetzt in der Debatte ist, wie er jetzt aufs Tablett gehoben wird von der Bundeskanzlerin persönlich, den halte ich so wie er ist nicht tragbar. Man kann nicht jetzt einfach an den Grenzwerten herumdrehen, um die an sich und auch einzig zurzeit wirklich durchschlagend wirksamen Maßnahmen zu umgehen. Die lauten, dass man die Hersteller in die Pflicht nimmt.
    Barenberg: Ich würde noch gerne über die Weltgesundheitsorganisation sprechen. Die WHO berät gerade über neue Grenzwerte und da zeichnet sich ja nun eher ab, dass man aus Gesundheitssicht nicht mehr bei 40 Mikrogramm bleiben möchte, sondern eher strengere Werte empfehlen wird. In Richtung 20 Mikrogramm ist da die Rede. Wird sich die SPD eher dafür einsetzen, dass diese Grenzwerte noch gesenkt werden, noch strengere Regeln etabliert werden in deutschen Städten?
    Scheer: Grundsätzlich kann ich jetzt nicht für die SPD als Ganzes sprechen, was bestimmte Zahlen angeht, weil die Diskussion ja zurzeit noch am Laufen ist. Aber wir haben uns auch in der SPD-Fraktion für strengere Grenzwerte auf EU-Ebene eingesetzt, als hinterher rausgekommen ist. Die SPD ist auf jeden Fall für strengere Grenzwerte, als es sie zurzeit gibt. Auf die Zahl genau, das wäre jetzt nicht korrekt, wenn ich da jetzt von der SPD als Ganzes sprechen würde, weil das ja auch ständig noch im Fluss ist, gerade wenn Sie jetzt die WTO erwähnen, die neue Grenzwerte in Frage stellt.
    Grundsätzlich muss man aber sagen, Sozialdemokratie bedeutet auch eine Schutzfunktion auszuüben, genau für die Menschen, die sich von sich aus nicht wehren können. Gerade bei Grenzwerten bei Schadstoffen, bei all dem, was Umwelteinflüsse bedeutet, halte ich es für unbedingt erforderlich, dass gerade aus dem Gerechtigkeits-, aus dem Solidaritäts- und Nachhaltigkeitsgedanken heraus klargemacht wird, hier ist der Staat gefordert, hier ist der Staat zum Handeln gefordert, weil das Handeln des Einzelnen nicht verhindern kann, dass diese Schädlichkeit auf die Bevölkerung zukommt.
    Wir kennen ja nun die Gefahrenlage. Wir kennen die Gesundheitsrisiken, die damit verbunden sind. Deswegen ist es eine staatliche Pflicht, hinter der Sozialdemokratie schon vom Selbstverständnis her steht, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, um vorbeugend tätig zu werden.
    Wenn es jetzt akut, nur weil das ja die Diskussion ist, darum geht, wie können Fahrverbote verhindert werden, weil dies natürlich wiederum andere Schwierigkeiten für die Bevölkerung mit sich bringt und auch die einzelnen Autofahrer hier nicht als die Verursacher gesehen werden können, jedenfalls nicht in dieser speziellen Problematik mit den höheren Schadstoffwerten, die da vorzufinden sind, dann muss man sagen, was gibt es sonst noch für Mittel, was gibt es für Alternativen für Fahrverbote.
    "Die Verkehrswende muss dringend verstärkt angereizt werden"
    In der Tat sind wir da bei diesen Nachrüstungen, die die Hersteller vornehmen müssen, dringend jetzt vornehmen müssen. Ansonsten müsste man, finde ich, wirklich auch ans Bußgeld heran und muss Bußgeldverhängungen machen. Als Anknüpfungspunkt sind da diese Schadstoff-Softwaren, die da eingebaut wurden.
    Um das aber nicht unterlassen zu haben, es auch zu erwähnen: Jetzt ist es speziell natürlich auf diesen Diesel-Skandal bezogen, was ich jetzt gerade ausgeführt habe. Zusätzlich muss natürlich es dringend darum gehen, dass man alternative Antriebstechnologien voranbringt, Wasserstoffmobilität, Elektromobilität insgesamt, den Umstieg auf erneuerbare Energien, die Verkehrswende muss dringend verstärkt angereizt werden. Und wir brauchen natürlich auch ein verstärktes Angebot für öffentlichen Personen-Nahverkehr.
    Ich finde, wir sollten verstärkt diese Diskussion führen, wie man es nicht auch erleichtern kann, anreizen kann, dass die Menschen in den Ballungszentren, aber auch im ländlichen Raum grundsätzlich auf öffentlichen Personen-Nahverkehr umsteigen. Anreize können dann auch bedeuten, dass man vielleicht tatsächlich in gewissen Zonen es die Tickets umsonst gibt, oder für einen Euro und dergleichen. Solche Konzepte, Anreize schaffen, das muss verstärkt in die Diskussion. Wir müssen da zweigleisig fahren: Einmal Umstieg in die Verkehrswende hinein und andererseits jetzt den akuten Diesel-Skandalfall und die Stickoxid-Situation in den Städten bekämpfen.
    Barenberg: Hier live im Deutschlandfunk Nina Scheer. Für die SPD sitzt sie im Umweltausschuss des Bundestages. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Scheer: Vielen Dank auch. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.