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Schelte aus dem Süden

In italienischen Talkshows sehen sich deutsche Journalisten, die in Italien leben, plötzlich in der Rolle der Verteidigung. So ist es auch unserer Mailand-Korrespondentin Kirstin Hausen ergangen. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

Von Kirstin Hausen |
    20 nach 9 am Montagabend. Ich sitze in einem Fernsehstudio. Grelle Scheinwerfer, gespanntes Publikum, im Hintergrund große Schlagzeilen aus deutschen blättern. Die politische Talkshow "L` Infedele" widmet sich den deutsch-italienischen Beziehungen. Der Titel ist schlicht und stellt auch die grammatikalisch anfechtbare Frage: Europa kaputt? Kaputt ist eines dieser Wörter, die aus dem Deutschen in die italienische Alltagssprache übernommen wurden. So wie Hinterland oder Sachertorte.

    Wenn etwas kaputt ist, dann heißt das in Italien, es ist unwiederbringlich und vollkommen zerstört. Während ich noch darüber nachdenke, wieso das deutsche "kaputt" eine Steigerung des italienischen Wortes für kaputt ist, geht es auch schon los.

    "Sie wissen doch, was die italienischen Zeitungen über Deutschland schreiben?",

    fragt der Moderator.

    Ja, ich weiß es. Sie schreiben zum Beispiel, dass Deutschland Europa zum dritten Mal in den Abgrund stürzen wird, nach zwei Weltkriegen. Warum? Weil die deutsche Regierung gegen gemeinsame europäische Staatsanleihen ist und die Europäische Zentralbank nicht unbegrenzt Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen soll.

    Ich sage, dass ich den Vergleich zwischen der deutschen Position in der Eurokrise und der deutschen Schuld in den beiden Weltkriegen für falsch und unpassend halte. Ich versuche auch zu erklären, wieso, aber weit komme ich nicht.

    Die Kollegin von der "Süddeutschen Zeitung", die neben mir sitzt, traut ihren Ohren nicht. Sie ist erstaunt über die Vorwürfe, die wir an diesem Abend stellvertretend für Deutschland zu hören bekommen. Denn bisher ernteten wir in Italien eher Lob. Für unsere Zuverlässigkeit, unser soziales Netz, unser Lohnniveau, unser Gesundheitssystem, all die Vorzüge, die aus italienischer Sicht typisch deutsch sind. Doch heute wird uns, wie es im Untertitel der Sendung heißt, "der Prozess gemacht". Von italienischen Journalisten, Wirtschaftswissenschaftlern und von dem Finanzberater Vladimiro Giacché.

    "Es geht hier um ein globales Scheitern, aber jeder muss die Verantwortung übernehmen, die er trägt, und Deutschland trägt eine sehr große Verantwortung. Die Griechen haben ihre Bilanzen gefälscht, aber wieso hat das niemand bemerkt? Vielleicht, weil es sich gelohnt hat für diejenigen, die ihre Produkte nach Griechenland exportiert haben? Also Deutschland und Frankreich."

    In der Eurokrise sucht jeder die vermeintliche Schuld bei den anderen. Gestützt wird die italienische Interpretation der Ereignisse durch Informationen, die die italienischen Medien seit dem Sommer wiederholen. Deutschland profitiere von der aktuellen Krise, weil es sich zu niedrigen Zinsen verschulden könne während Italien und andere Länder Südeuropas immer höhere Risikoaufschläge zahlen müssten. Deutschland habe den schwächeren Euroländern Exportanteile weggenommen. Deutschland wolle den Euro nur solange er sich noch lohne. Hinzu kommt die in Italien weit verbreitete Annahme, dass Italiens Problem nicht die hohe Staatsverschuldung ist, sondern allein die Spekulation an den Börsen. Schließlich habe Italien früher mit seiner hohen Staatsverschuldung gut leben können.

    Der Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe, der ebenfalls in der Sendung zu Gast ist, pocht darauf, dass Italien sparen und seine Hausaufgaben machen müsse. Seine Erklärung passt bestens ins klischeehafte Bild von Deutschland als Gouvernante Europas, die dem Klassenletzten auf die Finger haut. Das sagt mir auch ein weiterer Talkshowgast, der Mailänder Ökonom Alessandro Penati, nach der Sendung.

    "In der Sendung ging es um das verbreitete Gefühl, Deutschland benehme sich wie eine Imperialmacht, auch wenn man diesen Begriff vermeidet. Viele Italiener finden, Deutschland setze seine wirtschaftliche Macht ein, um Interessen durchzusetzen, die niemand genau kennt, Eigeninteressen jedenfalls. Ich habe dagegen den Eindruck gewonnen, dass Deutschland gar nicht genau weiß, was es will und das dem Land eine klare Vision zu seiner künftigen Rolle fehlt."

    Klare Vision hin oder her – die meisten Italiener halten sich nicht mit Visionen auf, sondern beklagen, dass Deutschland die Schuldenstaaten Europas an die Kandare nehmen will.