Archiv

Schengen-Raum
"Wir haben unsere Nationalstaaten nicht aufgegeben"

Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser hält es für sinnvoll, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière an nationalen Grenzkontrollen in Europa festhält. Deutschland müsse als Teil eines großen Europas darauf achten, nicht zu einer "fast paradiesischen Terrorhalde" zu werden, sagte Frieser im Dlf.

Michael Frieser im Gespräch mit Philipp May |
    Michael Frieser am 13.06.2015 beim CSU-Bezirks-Parteitag in Nürnberg nach seiner Wiederwahl.
    Der stellvertretende Vorsitzende des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach, Michael Frieser, (dpa / Daniel Karmann)
    Philipp May: Deutschland setzt sich durch mit seiner gemeinsam mit Österreich und Frankreich erhobenen Forderung nach eigenen Grenzkontrollen. Am Telefon begrüße ich jetzt Michael Frieser, Bundestagsabgeordneter der CSU und Mitglied im Innenausschuss. Guten Abend, Herr Frieser.
    Michael Frieser: Einen guten Abend aus Nürnberg.
    May: Herr Frieser, zuerst der Abschiebeflug nach Afghanistan und jetzt hat der Bundesinnenminister - wir haben es gehört - gegen den Willen der EU offensichtlich auch noch durchgesetzt, dass Deutschland weiter Grenzkontrollen machen darf. Würden Sie sagen, Thomas de Maizière hat einen Lauf?
    Frieser: Ich glaube, ja! Er hat nicht nur einen Lauf, sondern er vertritt damit, wenn Sie mich fragen, die Mehrheit der Deutschen und damit auch die Mehrheit der Abgeordneten, wenn er sagt, die deutschen Grenzkontrollen müssen nach wie vor die Sicherheit gewährleisten, wenn das die Außengrenzen der EU nicht können. Und ich glaube, da liegt er nicht ganz falsch, und ich glaube auch, dass sogar die anderen EU-Staaten dafür durchaus Verständnis haben.
    "CSU-Einfluss auf die Berliner Innenpolitik"
    May: Deswegen hat er das ja durchgesetzt. Das heißt, Joachim Herrmann kann in Bayern bleiben, Ihr Spitzenkandidat?
    Frieser: Nein, um Gottes willen! Das heißt nicht, dass nicht auch Thomas de Maizière auf Bundesebene noch Verstärkung brauchen könnte. Und dass wir gerade in den letzten Jahren als CSU doch die eine oder andere Forderung manchmal mit etwas mehr Nachdruck in Berlin versehen mussten, das zeigt schon, wie notwendig auch der CSU-Einfluss auf die Berliner Innenpolitik ist. Insofern glaube ich und sehe ich sehr zuversichtlich, dass ein eventueller Bundesminister Joachim Herrmann durchaus die deutschen Interessen sehr gut auch auf europäischer Ebene vertreten könnte.
    "Im Augenblick eher eine trügerische Ruhe"
    May: Dann lassen wir die Personalkonstellation mal bei Seite und schauen wir tatsächlich auf die Ergebnisse des Innenministertreffens heute. Deutschland darf weiter seine Grenzen kontrollieren, auch nach dem Auslaufen der Sondergenehmigung. Warum eigentlich? Es kommen doch gar nicht mehr so viele Flüchtlinge?
    Frieser: Ich glaube, dass die Situation durchaus noch verkannt werden kann. Selbstverständlich haben wir immer noch einen ganz gewissen Druck auf die Europäische Union insgesamt. Es wird niemand in Abrede stellen, dass im Augenblick gerade Italien wirklich die größte Last zu tragen hat, und ich glaube auch, Sie werden niemand finden der sagt, dass die Frage Flüchtlingszustrom über das Mittelmeer als gelöst in Augenschein genommen werden kann. Selbst die Frage die ehemalige Balkan-Route ist ja nun etwas, was im Augenblick eher eine trügerische Ruhe hat.
    Ich meine nach wie vor, wenn der Schengen-Außenraum seine Grenzen voraussichtlich wirklich auch nie ganz konkret schließen kann, dann wird auch immer wieder eine nationale Grenzkontrolle vielleicht nicht unbedingt durchgehend, aber immer wieder mal notwendig sein. Und ich sehe auch nicht, warum das einem europäischen Gedanken widersprechen sollte. Wir haben doch unsere Nationalstaaten nicht aufgegeben. Deshalb gehört auch der Grenzschutz dazu. Und solange wir das im gegenseitigen Einvernehmen machen - das macht doch niemand freiwillig und das macht niemand, weil er nichts Besseres zu tun hat. Aber allein auf Flüchtlingsstatistiken zu schauen, halte ich an dieser Stelle für die falsche Antwort.
    "Schengen ist noch viel mehr"
    May: Aber jetzt geht es ja immerhin um vier weitere Jahre. Und dass viele Menschen nach Europa wollen - Sie haben es angedeutet -, das wird wohl auf Jahrzehnte so sein. Dann wäre doch die ehrliche Konsequenz, gleich Schengen abzuschaffen.
    Frieser: Nein, überhaupt nicht. Schengen ist ja für sich genommen auch noch viel mehr als nur die Frage des Grenzraumes. Schengen heißt ja eigentlich in erster Linie freies Reisen, freie Niederlassung innerhalb der Europäischen Union. Aber wir haben den deutschen Bürgern und damit auch den anderen EU-Bürgern mal versprochen, wir können nationale Grenzkontrollen wirklich nur dann abschaffen, wenn die Außengrenzen auch vergleichbar nationaler Grenzen gesichert werden können.
    Und ganz ehrlich: Nirgendwo auf der Welt gibt es eigentlich eine solch leichte Möglichkeit, in einen gesamten Wirtschaftsraum einzuwandern, wie in Europa. Weder Schengen ist obsolet, noch sind es die nationalen Grenzkontrollen. Es muss weiterentwickelt werden. Nur das ist die richtige Antwort für die Zukunft.
    "Rumänien und Bulgarien sind noch nicht so weit"
    May: Stichwort Weiterentwicklung. Eine Weiterentwicklung, eine Forderung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern, den Schengen-Raum ausweiten auf Bulgarien, Kroatien, Rumänien. Dann hätte man eine durchgängige Ostgrenze, die man dann auch dementsprechend (Stichwort Balkan-Route) viel besser sichern könnte.
    Frieser: Wir haben jetzt auch ohne Bulgarien und ohne Rumänien im Schengen-Raum eine durchgehende Außengrenze. Die lässt sich aber auch schwer sichern. Das ist für sich genommen wirklich kein maßgebliches Argument. Es geht doch letztendlich trotzdem darum, dass wir eigentlich - und jetzt vermute ich mal, dass die Diskussion auch im Hinblick auf den Euro noch zu führen ist - schon mal mit Griechenland einen Sündenfall erleben.
    Wenn Länder noch nicht so weit sind, dass sie diesem Gebiet nicht nur was die Grenzsicherung anbetrifft, sondern vor allem auch was die innere Verfasstheit, die wirtschaftliche Stabilität, die Finanzstabilität angeht, noch nicht so weit sind, dann soll man sie bitte auch nicht in einen Raum zwingen, um angebliche geostrategische Argumente zu bedienen. Rumänien und Bulgarien, das muss man sagen - ich war dort, wir haben uns das angesehen -, sind noch nicht so weit, dass sie wirklich diese Aufgaben mit übernehmen könnten.
    "Schattenseite der Globalisierung"
    May: Jetzt sagt aber selbst die EU, dass die bisherige Begründung für Grenzkontrollen innerhalb Schengens, nämlich die Gefahr für Sicherheit und Ordnung im Zuge der Migrationskrise, über die wir jetzt ja gerade sprechen, dass die gar nicht mehr aufrecht zu halten ist. Deswegen gibt es jetzt eine neue Begründung, und zwar Herausforderungen für die Sicherheit bei der Terrorismusbekämpfung. Geht es jetzt um Flüchtlinge, oder geht es um Terror bei den Grenzkontrollen?
    Frieser: Leider Gottes ist es natürlich so - und das muss man den Menschen auch mal nahebringen -, Europa hat als gesamter Raum, vor allem Deutschland, eigentlich von der Globalisierung der letzten Jahre extrem profitiert. Jetzt werden wir seit kürzerer Zeit mal mit der Schattenseite der Globalisierung, nämlich mit der Frage von Flüchtlingen konfrontiert. Dass auch eine andere Seite dieser Medaille eine wachsende Terrorgefahr ist, wird niemand in Abrede stellen. Also handelt es sich doch um ein und dasselbe Thema.
    Entschuldigen Sie, dass ich da unterbreche, aber es wird doch niemand mehr tatsächlich behaupten, dass die Flüchtlinge, die kommen, bei denen in der überwiegenden Anzahl immer selbstverständlich ist, dass sie natürlich aus Interesse, auch das eigene Leben in die Hand zu nehmen, gegebenenfalls fliehen müssen. Aber dass dabei eben auch Menschen sind, die es nicht sehr gut meinen mit den europäischen Bürgern und dass wir tatsächlich eine erhöhte Terrorgefahr befürchten müssen, das wird doch niemand verneinen können. Es ist natürlich schon ein einziges Thema, das die Sicherheit und Stabilität in Europa betrifft.
    "Austausch durch ungesicherte Grenzen"
    May: Herr Frieser, jetzt darf ich aber auch mal was einwerfen. Bisher sind die Terroranschläge in ihrer großen Mehrheit aber doch von den lange hier lebenden, meistens sogar auch behördlich bekannten Menschen durchgeführt worden.
    Frieser: Ja, das stimmt. Das heißt aber doch nicht, dass die Terrorgefahr ausschließlich davon bestimmt wird, sondern sie wird selbstverständlich auch durch die Frage des jeweiligen Austausches bestimmt, zum Beispiel, dass das Reisen von Gefährdern in die tatsächlichen, jetzt damals noch IS-dominierten Gebiete und zurück geplant wird. Wir hatten doch diesen Austausch durch ungesicherte Grenzen, dass Gefährder aus Deutschland in Terrorcamps in Syrien ausgebildet werden, nach Deutschland zurückkehren und hier Anschläge vollbringen.
    Ich will hier überhaupt nicht in Abrede stellen, dass es nicht wirklich nur Flüchtlinge sind, die das tun. Darum geht es aber doch gar nicht, Herr May, sondern es geht um die entscheidende Botschaft zu sagen, Deutschland muss als Teil eines großen Europas darauf achten, dass wir nicht zu einem wirklichen Hort und einer, ich sage mal, fast paradiesischen Terrorhalde werden. Das heißt, man kommt leicht nach Europa. Das heißt, das ist auch ein Gebiet, bei dem man sich dann versorgen kann. Niemand wird dabei auch in Abrede stellen, dass zum Beispiel die Versorgung derer, die Anschläge in Europa vollbracht haben, versorgt werden durch einen interkontinentalen Austausch an illegalen Waffen. Diese Waffen kommen ja irgendwo her und sie kommen meistens auch aus diesen Flüchtlingsrouten.
    May: … sagt Michael Frieser von der CSU, Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Herr Frieser, vielen Dank für das Gespräch.
    Frieser: Danke Ihnen und einen schönen Abend aus Nürnberg.
    May: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.