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Schenk: Dopingumfang dringend aufklären

Die ehemalige Frankfurter Sportdezernentin und Ex-Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Sylvia Schenk, findet es durchaus möglich, "abgesicherte Fakten" der Dopingstudie zu veröffentlichen. Das Dopingausmaß in Westdeutschland müsse dringend aufgeklärt werden.

Silvia Schenk im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Thielko Grieß: Es war ja leicht für den Westen, für die alte Bundesrepublik, sich stets als lupenrein und sauber darzustellen, als eine saubere Sportnation. Nicht erst seit den jüngsten Artikeln in der Süddeutschen Zeitung und anderen Zeitungen ist unter Sportinteressierten aber bekannt, natürlich sind auch in Westdeutschland leistungssteigernde Mittel eingesetzt worden im Profisport. Aussagen, dass auch in Westdeutschland Testosteron zum Beispiel verabreicht worden ist, oder mit Anabolika experimentiert wurde, die gab es bereits. Neu ist nun die Information, dass zum Beispiel auch Minderjährige gedopt worden sein sollen, und das geht zurück auf eine Studie, die bislang nur Fachleute kennen. Das aber soll sich ändern.

    Sylvia Schenk war früher Leichtathletin, Läuferin auf der Mittelstrecke, später Juristin, dann Dezernentin in der Stadt Frankfurt und zuletzt Vorsitzende von Transparency International, und jetzt ist sie am Telefon. Guten Tag, Frau Schenk.

    Sylvia Schenk: Hallo! Guten Tag!

    Grieß: Wie viel haben Sie denn als Aktive von Doping gewusst?

    Schenk: Bei uns war das noch ziemlich in den Anfängen. Anabolika kam auf, da wurde auch drüber gesprochen, da hat es ja auch einzelne Fälle schon gegeben. Es gab Dopingkontrollen nur während der Wettkämpfe, also nicht außerhalb von Wettkämpfen während des Trainings, und ich entsinne mich daran, dass mir mal eine Sportlerin sagte, sie hätte jetzt mal experimentiert und zwei oder drei Antibabypillen pro Tag genommen. Das fand ich dann ziemlich beknackt, konnte mir auch nicht vorstellen, dass das irgendwie zu einer Leistungsverbesserung führen könnte. Aber jetzt taucht das wieder auf. Ich habe in irgendeinem der Zeitungsberichte gelesen, dass auch das möglicherweise, mit Antibabypillen zu experimentieren, Teil des Forschungsauftrages damals war. Das finde ich natürlich sehr spannend.

    Grieß: Wie ist das begründet worden damals, einfach mit Leistungssteigerung, oder auch mit der Systemkonkurrenz?

    Schenk: Die einzelne Sportlerin hat sicherlich nicht über Systemkonkurrenz nachgedacht. Es war einfach so ein Gespräch, wo gesagt wurde, ich habe da mal was ausprobiert.

    Grieß: Würden Sie denn sagen, oder den Stimmen hier zustimmen, die in diesen Tagen sagen, auch in Westdeutschland habe es systematisches Doping gegeben?

    Schenk: Es ist die Frage, was man jetzt unter systematisch versteht.

    Grieß: Erklären Sie es uns.

    Schenk: Dass da im Einzelfall und in einzelnen Gruppen möglicherweise systematisch gedopt worden ist, kann ich mir durchaus vorstellen. Es sind ja auch immer mal wieder welche aufgeflogen, auch in den 70er-Jahren. Dass es so flächendeckend und vom Staat von oben ab verordnet war wie in der DDR und dass man sogar aus dem Sport ausgegliedert wurde, wenn man nicht mitmachte, das gab es mit Sicherheit nicht. Insofern gibt es da weiterhin einen graduellen Unterschied, aber es hat offensichtlich einen größeren Umfang gehabt, als wir lange Zeit geglaubt haben, und das muss jetzt dringend aufgeklärt werden.

    Grieß: Wo sehen Sie denn die Verantwortung für dieses in Einzelbereichen systematische Doping, so wie Sie es gerade gesagt haben?

    Schenk: Das ist immer ein ganzes Bündel. Ich halte nichts davon, das bei dem einzelnen Athleten abzuladen, wie wir im Radsport jetzt gerade sehen. Alles stürzt sich auf Erik Zabel, als ob er das System gemacht hat, sondern er war sicherlich auch nur ein Rädchen in einem System. So darf man auch in die alten Zeiten nicht zurückschauen und jetzt nur bei den Aktiven oder bei einzelnen Trainern das abladen, sondern muss wirklich analysieren, wie weit die Gesamtstrukturen, der Druck, der möglicherweise direkt oder indirekt gemacht worden ist, eine Rolle gespielt haben. Man muss die Rolle sehen, die auch die Medien unter Umständen spielen, die ja bis noch vor kurzer Zeit oft weggeschaut haben, es gar nicht genau wissen wollten und selber auch natürlich immer Druck auf Sportlerinnen und Sportler ausüben.

    Grieß: Warum gibt es bislang noch immer so wenige Sportler, die sich aus der Vergangenheit auch zu Wort melden und möglicherweise zugeben, gedopt zu haben?

    Schenk: Weil das natürlich für den Einzelnen sehr, sehr schwierig ist. Wenn man sich jetzt den Fall Zabel noch mal sehr genau anschaut, das eine ist: man hat sich lange – und so muss man das wohl sehen – gerade im Radsport, aber sicher auch in anderen Sportarten in einem System bewegt, in dem für die Eingeweihten das Doping eigentlich dazu gehörte und insofern auch, so wie Jan Ulrich sagt, ich habe niemanden betrogen, im Bewusstsein der Überzeugung, ich bin ja nur ein Teil dessen, was alle machen, gar nicht das Gefühl entstanden ist, ich lüge. Und soweit es dann darum ging, jetzt nicht direkt nach außen immer zu sagen, ja wir dopen doch alle, war auch das für die Betroffenen offensichtlich, so meine Analyse, im Moment nicht eine Lüge, sondern ein Schutz des Systems, die wollen ja alle Radsport, die wollen alle, dass wir erfolgreich sind, also müssen wir uns so verhalten. Und wenn sie es dann nicht so genau wissen wollen, wie wir es hinkriegen, dass wir erfolgreich sind, okay, dann muss man halt so eine kleine Notlüge machen und nicht so ganz mit der Wahrheit herausrücken.

    Und das andere ist dann, wenn man in so einem System drin ist und es für die Sportlerinnen und Sportler ja dann auch weitgehend davon abhängt, was die Identität, auch die berufliche Existenz, das ganze soziale Umfeld betrifft. Dann will man natürlich sich nicht außerhalb des Systems stellen. Dann wird das gerade da, wo männliche Ehre noch mit eine Rolle spielt, was im Radsport zum Beispiel sehr stark der Fall ist, als Verrat angesehen, wenn man jetzt plötzlich Dinge offenlegt und damit das ganze System infrage stellt. Aus diesem Dilemma zwischen Lüge und Verrat irgendwie sich durchlavieren zu müssen, da kommen die einzelnen Sportler schwer raus. Man muss völlig anders an die Sache herangehen.

    Grieß: Jetzt haben wir über die Sportler gesprochen und der andere Teil ist die Politik. Für wie groß oder für wie klein halten Sie den Aufklärungswillen der Politik?

    Schenk: Das kann ich jetzt nicht beurteilen. Es ist wohl so, dass die Studie jetzt herausgegeben werden soll. Warum es da Verzögerungen gegeben hat, wie weit da Datenschutzgründe, die man ja nicht völlig ausschließen kann, eine Rolle spielten, kann ich nicht beurteilen. Ich will jetzt auch nicht spekulieren, da wollte jemand was vertuschen. Es ist einfach wichtig, dass jetzt so schnell wie möglich alles auf den Tisch kommt, damit eben nicht solche Vermutungen wie Vertuschung oder anderes dann noch die Runde machen.

    Grieß: An welchen Stellen ist denn Datenschutz eigentlich gerechtfertigt in so einem Fall?

    Schenk: Ich kenne die Unterlagen nicht, ich kenne die Details nicht.

    Grieß: So geht es zum Beispiel um die Erwähnung von Namen.

    Schenk: Wenn es historische Forschung ist, wenn es abgesicherte Fakten sind und Unterlagen, dann ist das sicher möglich, diese auch zu veröffentlichen. Wenn es zum Teil ist, dass man die Sachen gar nicht mehr nachprüfen kann und da irgendwie – Mails gab es damals noch nicht – ein hingeschmierter Notizzettel ist, der diese oder jene Interpretation zulässt, der Betroffene kann sich vielleicht gar nicht mehr wehren, weil er nicht mehr lebt, andere Unterlagen gibt es nicht, dann fängt es natürlich an, schwierig zu werden. Wir haben es nicht mit einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung zu tun, die nach entsprechenden prozessualen Vorgaben abgelaufen ist, sondern wir haben es mit einer wissenschaftlichen Studie zu tun, die historisch ihre Berechtigung hat, wichtig ist. Da muss man unter Umständen an manchen Stellen die Balance finden, um nicht Dinge auch überzuinterpretieren. Das wird man sich im Detail angucken müssen. Wenn es wirklich irgendwo Datenschutzgründe gibt, sollte das von Datenschutzexperten genau geprüft und entsprechend begründet werden.

    Grieß: Nun ist es ja so, dass auch die vergangenen Jahre noch nicht untersucht worden sind. Grund ist dafür Geldmangel, und da hat man an einem Punkt in der Vergangenheit in der Historie aufgehört. s

    Schenk: Wieso bin ich recht milde? Ich fände es schon spannend, jetzt auch die Zeit ab 1990 noch zu untersuchen. Ich bin auch nicht milde, wenn es darum geht, dass wirklich einzelne Verstöße begangen haben oder Verstöße bewusst gedeckt haben oder das System mit gestaltet haben. Man darf es auch nicht völlig aus dem Zusammenhang reißen, dann würde man Fehler begehen. Das würde uns auch nicht helfen in der Aufarbeitung und vor allen Dingen auch nicht für die Konsequenzen für die Zukunft. Und man muss natürlich genau schauen, was ist wie wirklich nachweisbar.

    Grieß: Sylvia Schenk, frühere Leichtathletin und frühere Vorsitzende von Transparency International, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Schenk, danke schön für das Gespräch.

    Schenk: Bitte schön.


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