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Scherzhaft und schmerzhaft

Helmut Lachenmanns Musiktheater "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" ist keine märchenhafte Vertonung. Im Zentrum einer der wichtigsten Kompositionen am Ende des 20.Jahrhunderts steht die gegenwärtige Gesellschaft, die Eiseskälte. Nun ist das Musiktheaterstück von 1997 an der deutschen Oper Berlin zu sehen.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Helmut Lachenmanns Musiktheater "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" gilt als eine der wichtigsten Kompositionen am Ende des 20. Jahrhunderts. Das Musiktheaterstück verspricht im Untertitel Musik mit Bildern (von Helmut Lachenmann natürlich) nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen und Texten von Leonardo da Vinci und Gudrun Ensslin.

    Hier stock ich schon, könnte man jetzt erneut mit Faust sagen, denn eine märchenhafte Vertonung wie Humperdincks "Hänsel und Gretel" ist das ja nun bei Leibe nicht. Es geht nicht um populäre Utopien in den Märchen des 18. Jahrhunderts, sondern um unsere gegenwärtige Gesellschaft, um Eiseskälte. Die Deutsche Oper Berlin hat es herausgebracht. Jörn Florian Fuchs habe ich gefragt: Geht es dabei auch um Tod durch Erfrieren?

    Jörn Florian Fuchs: Es geht um Zustände, es geht um Einsamkeit, um Kälte, um all diese Dinge in dieser Musik. Das ist bei Helmut Lachenmann nicht irgendwo narrativ auf einer anderen Ebene angesiedelt, als ausschließlich in seiner Musik, und wenn es so etwas wie Inhalt gibt, dann sind das Textfragmente, die gehaucht werden, die fragmentarisch gesungen werden, bröckchenweise gesungen werden etwa, und da spielt das Märchen von Andersen eine Rolle, da gibt es diesen Ensslin-Text, der dann auch vom Zuspielband kommt zum Teil, und es gibt noch einen Text von Leonardo da Vinci.

    Das alles ist auf wie gesagt keiner erzählenden Ebene irgendwie angesiedelt, sondern es sind aneinandergereihte Zustände, Beschreibungen von psychischen Dingen, würde ich sagen, wobei psychisch kann ja auch sich nicht nur aufs Individuum, sondern auch auf eine Gesellschaft beziehen, alles in der Musik.

    Und David Hermann: Er macht eine Installation. Das heißt, wir haben einen Raum, da sehen wir auf einer Ebene eine Art Klavierzimmer mit zwei Sängerinnen drin, nicht Klavierspielerinnen, oben drüber gibt es ein Filmzimmer, da ist ein Herr, der sich offensichtlich Filme anguckt von einer ehemaligen Geliebten, die da auftaucht, die vielleicht gestorben ist (man sieht sie mal im Wasser untertauchen). Die Räume werden verbunden durch eine Art Kanalsystem, wo eigenartige Figuren hin- und herrobben, etwas ganz autistisches und etwas ganz eigenes verrätseltes kryptisches, was Hermann dazu imaginiert hat.

    Köhler: Helmut Lachenmann hat eine buchstäblich neue Sprache gewählt, lässt die Instrumente anders klingen als wir das kennen, eine vielleicht unsemantische Splittersprache in Wort und Musik. Aber das ganze ist, sage ich jetzt mal ungeschützt, durchhörbar: also Klavier, Vibraphon, Blechbläser. Manchmal hat mich das sogar an Jazz-Suite durchaus erinnert.

    Fuchs: Das stimmt, und das interessante ist ja: Gerade im ersten Teil dieser "Oper", da hat Lachenmann verwiesen auf die Popkultur. Es gibt eben den Einfluss von Songs, von Schlagern, auch ein bisschen von Jazz, die werden zum Teil dann auch elektronisch zugespielt. Das wird aber immer wieder abgebrochen und wird dann ersetzt durch einen klagenden, sehr schmerzhaften Ton.

    Das scherzhafte, vielleicht der Bezug zur Popkultur, geht schnell in ein sehr schmerzhaftes existenzielles über. Das ist hier musikalisch von Lothar Zagrosek, der das Stück ja mehrfach dirigiert hat, und dem Orchester und auch den Chören sehr, sehr gut bewältigt worden. Wir hören mal kurz hinein, wie das klingt: Das ist jetzt die zweite Ritsch-Szene, wo das Mädchen ein Streichholz anzündet und ein bisschen so eine Art Hoffnungsraum sich da ergibt.

    Fuchs: Nun könnte man bei dem ganzen schon sagen, das sind eben nicht nur Einzelteile; es sind natürlich Einzelteile, auf einer gewissen Ebene Fragmente, aber diese Fragmente, diese Bruchstücke verweisen bei Lachenmann aus meiner Sicht doch noch auf etwas ganzes. Es geht eben um die Tradition, auch die Tradition der Opern- und Musikgeschichte, um so etwas wie Utopie, um politische Dinge, also es ist immer noch ein Kontext im Hintergrund, es ist nicht wie bei manchen seiner Kollegen jetzt einfach nur ein Aneinanderreihen von Bruchstücken.

    Köhler: Wie wirkt das auf Sie? Das Stück ist von 1997. Ist es der Versuch, oder ist das zu dick aufgetragen, einer Neuerfindung einer aufmerksam hörenden Gesellschaft, also politisch gedeutet?

    Fuchs: Das würde ich schon sagen, und das Stück klang für mich immer noch ungemein frisch. Das Publikum hat das auch ziemlich bejubelt, dann vor allen Dingen den Komponisten Lachenmann am Schluss. Es ist immer noch ein Hör-, ein Klangtheater, das wirklich in keiner Sekunde irgendwie durchhängt. Das funktioniert aber eben als Klangtheater. Ich habe mir nach dieser Aufführung wieder mal gedacht, man müsste es eigentlich konzertant aufführen, oder aber, wie das in Salzburg mal war, mit einer vorsichtigen Bildwelt, dass man ein paar Projektionen hat.

    Denn diese Raumklangskulptur, die man immer hat – das Orchester sitzt auch noch im Rang und ist überall verteilt, die einzelnen Gruppen -, alleine, dass man da sitzt und sieht, wie diese eigenwilligen Klänge dort entstehen (es ist eine japanische Mundorgel auch noch dabei, ganz faszinierend), dass man das einfach sieht, woher die Klänge kommen und wie die entstehen, das ist fast schon Szene genug.

    Köhler: …, sagt Jörn Florian Fuchs über "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" von Helmut Lachenmann, gesehen in Berlin.


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