Auf der Nationalen Luftfahrtkonferenz am 18. Juni 2021 am Berliner Flughafen geht es um die Belebung des Luftverkehrs nach Corona und die Frage, wie deutlich weniger klimaschädliche Flüge zu erreichen sind.
Die Krise der Luftfahrt durch die Coronapandemie sei noch nicht überstanden, sagte dazu Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor der Konferenz im Deutschlandfunk. "Wir haben in der Hochphase der Krise minus 95 Prozent Passagieraufkommen gehabt." Nach wie vor sei man auf einem Niveau von minus 80 Prozent. Aber man habe die Zeit der Pandemie genutzt, für eine Wiederbelebung des Luftverkehrs.
Nein zu "Dumping-Tickets"
"Dumping-Tickets" von Airlines seien dabei das falsche Signal, sagte Scheuer. Es seien natürlich "Eye Catcher" und Werbebotschaften, aber sie kämen in der Masse auch nicht so stark vor. "Dumping-Tickets sind keine Perspektive", sagte der CSU-Politiker. Dafür brauche es aber auch eine europäische Lösung. Gebühren und Steuern müssten zu den Preisen passen.
Gleichzeitig solle Fliegen aber auch nicht nur für einen eingeschränkten Personenkreis möglich sein. "Ich möchte auch, dass die Familie der Krankenschwester und des Facharbeiters in Urlaub fliegen kann und nicht nur die Familie des Chefarztes. Wir wollen ermöglichen und nicht verbieten. Wir wollen nach Regeln, auch was die Preise betrifft, einen fairen Ausgleich schaffen, dass die Preise zur Leistung passen."
"Grünes Fliegen" mit deutscher Technik?
Staatliche Unterstützungen für Fluglinien wie die Lufthansa verteidigte Scheuer mit dem Hinweis, dass die deutschen Airlines auch die Kraft brauchten, um modern unterwegs zu sein. "Jeder will, dass wir das grüne Fliegen ermöglichen. Das grüne Fliegen soll Zukunft sein auch mit deutscher Technik. Und ich möchte nicht, dass woanders die Flugzeuge zusammengebaut werden, sondern in Europa, in Deutschland, weil wir dazu die Innovation haben", sagte Scheuer. Mit Innovation sei immer neutraleres, sauberes Fliegen möglich.
Um etwa Kurzstreckenflüge überflüssig zu machen, gebe es Rekordinvestitionen in das System Schiene. Im nächsten Jahr seien zum ersten Mal die Investitionen in die Schiene größer als in die Straße, sagte Scheuer. Um die Attraktivität des Systems Schiene in Bezug auf die Kurzstrecke oder die Inlandsflüge zu verbessern, wolle man das "Konzept der starken Schiene und der digitalen Schiene umsetzen". Die Bahn sei attraktiv, aber er wolle den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht vorschreiben, welches Verkehrsmittel sie nehmen. "Mobilität hat was mit Freiheit zu tun", sagte Scheuer.
Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Herr Scheuer, wann sind Sie denn das letzte Mal geflogen?
Andreas Scheuer: Ich glaube, diese Woche Montag. – Ja, so war es.
Münchenberg: Kurzstrecke wahrscheinlich?
Scheuer: Ja, Kurzstrecke.
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen.
Scheuer: Aber ich fahre auch sehr viel mit der Bahn. Es muss in den Terminkalender passen. Aber trotzdem Kurzstrecke, um das noch mal deutlich zu sagen: Wir brauchen die Freiheit der Mobilität. Wir wollen ja nichts einschränken. Wenn ich die internationalen Verkehre anschaue, dann haben wir die meisten, die an dieser Stelle Verbindungsflüge machen, als Umsteiger, die dann längere Flüge machen. Aber wir wollen auch auf der Konferenz das komplette Mobilitätspaket anschauen und da ist die Zusammenarbeit zwischen dem System Schiene der Deutschen Bahn und den Airlines, vor allem Lufthansa äußerst wichtig.
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Zunächst vielleicht noch mal zur allgemeinen Lage. Aus der Branche kommen jetzt wieder relativ zuversichtliche Töne. Es werden fast schon wieder so viele Ziele wie vor der Pandemie angeflogen. Kann man sagen, die Krise ist soweit überstanden?
Scheuer: Nein, auf keinen Fall. Wir haben in der Hochphase der Krise minus 95 Prozent Passagieraufkommen gehabt. Gott sei Dank hat Kargo ein bisschen aufgefangen. Aber wir sind nach wie vor auf einem Niveau von minus 80 Prozent. Das heißt, wenn man über einen Flughafen geht, dann sieht man, dass es wenig Passagiere sind. Trotzdem haben wir uns in der Zeit der Pandemie vorbereitet. Wir haben mit vielen eine Gesprächsplattform gemacht und auch konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet und Erklärungen vorbereitet für die Wiederbelebung des Luftverkehrs.
"Dumping-Tickets" sind "das falsche Signal"
Münchenberg: Lassen Sie mich bitte kurz einhaken, weil Sie sagen, Sie haben geredet und man hat sich vorbereitet. Auf der anderen Seite, muss man sagen, hat die Branche offenbar nicht so schrecklich viel gelernt, weil es gibt jetzt wieder einen heftigen Preiskampf, 7,99 Euro eines Billiganbieters für den Flug nach Griechenland. Das heißt, die Branche macht so weiter wie vor der Corona-Krise?
Scheuer: Nee, das sehe ich nicht so. Wie oft kommen denn die 7,99 Euro vor, die sogenannten Dumping-Tickets, gegen die die Bundesregierung vorgeht? Wir brauchen da auch eine europäische Lösung. Es ist völlig klar: Dumping-Tickets sind keine Perspektive. Billig-Airlines können das nicht umsetzen, weil wir brauchen ja auch Regeln. Gebühren und Steuern müssen zu den Preisen passen. Das ist die Position der Bundesregierung.
Aber trotzdem: Wir haben uns intensiv darauf vorbereitet, auch natürlich mit Hilfen für die Airlines, für die Flughäfen und für die, die im System der Luftverkehrswirtschaft dabei sind. Es sind ja doch 850.000 Menschen, die dort beschäftigt sind. Aber Sie haben vollkommen recht: Gegen Dumping-Tickets wollen wir natürlich auch vorgehen, weil dies das falsche Signal ist. Trotzdem: Wie oft kommt das im kompletten Preisgefüge denn vor? Aber es wird natürlich sehr plakativ gemacht. Das wird wahrscheinlich auch der Sinn der Sache sein, dass man mit Dumping-Tickets natürlich auch für die eigene Airline wirbt.
"Fliegen nicht nur für eingeschränkten Personenkreis"
Münchenberg: Im Augenblick findet das tatsächlich statt – logischerweise, weil jetzt steht die Urlaubszeit bevor. Interessant ist auch: Die Lufthansa-Tochter Eurowings macht da mit, obwohl Lufthansa zuvor mit milliardenschweren Staatsgarantien vor der Pleite gerettet worden ist.
Scheuer: Noch mal: Wir wollen ja Fliegen nicht für einen eingeschränkten Personenkreis nur möglich machen. Ich möchte auch, dass die Familie der Krankenschwester und des Facharbeiters in Urlaub fliegen kann und nicht nur die Familie des Chefarztes. Ich habe den Ansatz der Freiheit in der Mobilität, aber nach Regeln, und wir wollen ermöglichen und nicht verbieten. Wir wollen nach Regeln, auch was die Preise betrifft, einen fairen Ausgleich schaffen, dass die Preise zur Leistung passen, und bei Dumping-Preisen passt es nicht. Trotzdem ist es ja kein Massenphänomen. Das möchte ich schon einmal hervorheben. Dumping-Tickets sind natürlich Eye Catcher, sind natürlich Werbebotschaften, aber sie kommen in der Masse nicht so vor, aber werden natürlich oft zitiert als Beispiel, und das ist das falsche Signal. Da haben Sie vollkommen recht.
Münchenberg: Aber es ist ja doch interessant. Es gibt die Rufe nach strengeren Klimaschutzauflagen. Die Bundesregierung steht ja auch dafür. Man hat Lufthansa gestützt mit Milliarden und gleichzeitig macht die Lufthansa-Tochter doch genau das, was die Konkurrenz auch macht. Manche haben auch gefordert, dass der Staat vielleicht hätte mehr mitreden müssen, was Lufthansa jetzt nach diesen Staatshilfen macht.
"Das grüne Fliegen soll Zukunft sein"
Scheuer: Schauen Sie, ich werde heute neben einem A380 Neo stehen, die 20 Prozent weniger Kerosin braucht. Wir werden heute Triebwerke uns ansehen und präsentieren, die eine geringere Lärmemission haben, natürlich auch einen geringeren Verbrauch. Es muss jetzt die Kraft da sein, auch die Flotte zu erneuern, und das tun die deutschen Airlines, um modern unterwegs zu sein. Jeder will, dass wir das grüne Fliegen ermöglichen. Das grüne Fliegen soll Zukunft sein auch mit deutscher Technik. Und ich möchte nicht, dass woanders die Flugzeuge zusammengebaut werden, sondern in Europa, in Deutschland, weil wir dazu die Innovation haben. Wir setzen an beim Fluggerät und wir setzen auch an beim Treibstoff, und deswegen wollen wir auch die höhere Beimischung. Wir wollen die großen Anlagen für das synthetische Kerosin. Das heißt, mit Innovation ist klimaneutraleres, sauberes Fliegen möglich.
Münchenberg: Sie haben die sparsameren Triebwerke angesprochen. Da sagen Kritiker ja schon, das ist eine gute Entwicklung. Auf der anderen Seite wächst der Flugverkehr überproportional. Das heißt, die sparsameren Triebwerke werden dann faktisch wieder kompensiert durch mehr Luftverkehr.
"Noch nicht das Niveau von vor Corona"
Scheuer: Ja. Aber wir haben doch die schwerste Krise, die wir seit Jahrzehnten in der Branche gehabt haben, jetzt gerade so mit Hoffnungsschimmer am Überwinden. Ich möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger sich erholen und in Urlaub fliegen, in die Ferien gehen und natürlich auch eine Flugreise machen. Aber trotzdem: Wir reden von einem Niveau von minus 80 Prozent. Alle Prognosen gehen dorthin, dass wir erst 2024 oder _25 wieder dabei sind, auf dieses Niveau von 2019 zu kommen. Ich sehe einen Silberstreif am Horizont. Ich sehe Perspektive, aber ich sehe noch nicht das Niveau der Rekord-Passagierzahlen von vor Corona. Und man muss eins dazu sagen, dass wir natürlich in der Zeit bis 2024/2025 eine ganz andere Technik, eine bessere Technik bekommen, um beim Flugzeug und beim Treibstoff sauberer zu werden. Dass muss der Weg sein und kein Verdrängungswettbewerb, keine Insellösungen, sondern internationale Lösungen, um dort auch möglich zu machen, dass die deutschen Airlines und die deutsche Luftverkehrswirtschaft Zukunft hat.
Münchenberg: Wobei das Wasserstoff-Flugzeug soll erst 2035 kommen. – Lassen Sie mich noch mal einhaken und auf das Thema Kurzstreckenflüge zu sprechen kommen. Ist da ein Verzicht auf möglichst viele Kurzstreckenflüge nicht sinnvoll, zum Beispiel durch eine bessere Bahnanbindung? Genau das haben ja auch die Grünen vorgeschlagen.
"Rekordinvestitionen in das System Schiene"
Scheuer: Aber das macht doch jeder, dass wir uns Gedanken machen mit Rekordinvestitionen in das System Schiene. Es ist klar, dass wir nächstes Jahr zum ersten Mal die Investitionen in die Schiene größer haben als in die Straße. Das hat es so noch nie gegeben. Die Partnerschaft und die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bahn und der Lufthansa wurde gerade geschlossen, nämlich im Zulieferverkehr, nicht nur im Regionalverkehr, S-Bahn, U-Bahn, sondern auch in der Anbindung der Fernverkehre. Es sind Planungen am Start, dass am Fernbahnhof in Frankfurt eine große hochtechnologische und intelligente Verbindungsstelle geschaffen wird zwischen dem System Schiene und dem System Flughafen und Fliegen.
Münchenberg: Aber, Herr Scheuer, wenn ich da einhaken darf? Umfragen sagen ganz klar, viele Deutsche sagen, die Bahn ist zu unpünktlich, sie ist auch zu langsam. Und wenn man mal schaut: Es gibt eine erfolgreiche Schnellzug-Strecke, das ist Köln-Frankfurt. Da hat Lufthansa schon seit längerem auf die Kurzstrecke verzichtet. Aber ansonsten klappt das noch nicht so richtig mit den Anschlüssen.
"Das System Schiene ist attraktiv"
Scheuer: Herr Münchenberg, das stimmt nicht, weil wir haben ein Verlagerungspotenzial von 30 Prozent von Berlin nach München auf der Sprinterstrecke vom Flugzeug auf die Bahn. Zwischen Hamburg und Berlin fliegt quasi gar nichts mehr, sondern da fährt man mit dem ICE. Wir wollen die Strecke zwischen Köln und Berlin zur Hochleistungsstrecke machen. Problem ist, dass die Grünen zwischen Bielefeld und Hannover dagegen sind.
Ich möchte von Frau Baerbock wissen, wenn sie alles neu machen möchte, ob sie jetzt für den Schienenausbau ist, für die konkreten Projekte. Sie sind nämlich dagegen zwischen Bielefeld und Hannover. Sie sind gegen die feste Fehmarnbelt-Querung, die Anbindung Skandinaviens ans Festland. Da würden sich viele Flüge auch erübrigen. Sie sind gegen, gegen, gegen dieses System Schiene in vielen Einzelprojekten, wo wir die Hochgeschwindigkeit zum Tragen bringen wollen. Und wir brauchen eine bessere Schnittstelle.
Ich sage Ihnen: Wenn wir die Attraktivität des Systems Schiene in Bezug auf die Kurzstrecke oder die Inlandsflüge verbessern wollen, dann müssen wir genau unser Konzept der starken Schiene und der digitalen Schiene umsetzen. Dann haben wir auch die Verlagerungspotenziale. Und die Bahn hat Fahrgastrekorde vor Corona im Januar 2020 verzeichnet. Das System Schiene ist attraktiv. Aber ich sage Ihnen, ich möchte nicht den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben, welches Verkehrsmittel sie nehmen. Das ist mein politisches Konzept und das Konzept meiner Parteienfamilie. Aber es gibt andere, die einfach den Menschen das vorschreiben wollen. Ich möchte es nicht, weil Mobilität was mit Freiheit zu tun hat.
Münchenberg: Die Grünen wollen es Ihnen auch nicht vorschreiben, aber sie haben gesagt, wir müssen da mehr tun bei der Kurzstrecke. Wir können das nicht weiter vertiefen, aber ich danke Ihnen trotzdem.
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