Lennart Pyritz: Martin Bulla ist Erstautor einer Studie über Muster bei der elterlichen Fürsorge bei Vögeln, die im Fachmagazin "Nature" veröffentlichten wurde, und Doktorand am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. Über die Ergebnisse der Studie habe ich vor der Sendung mit ihm gesprochen.
Ich habe ihn zuerst gefragt: Was dachten Forscher bislang, wonach sich die abwechselnde Fürsorge der Elterntiere am Nest richtet?
Martin Bulla: Für die Vögel ist es eigentlich von Vorteil, kontinuierlich auf den Eiern zu sitzen, um sie vor Fressfeinden zu schützen. Ein Tier allein kann das aber nicht unbegrenzt machen, weil es fressen muss. Deshalb dachten Wissenschaftler, dass der Energiebedarf der Vögel den Brut-Rhythmus steuert. Das trifft auch bei Arten zu, in denen sich nur ein Elternteil um das Nest kümmert. Wie sich die Tiere abwechseln, wenn beide Eltern brüten, war bislang nicht klar.
Pyritz: Welche Daten haben Sie jetzt für die Studie gesammelt?
Bulla: Wir haben uns das Brutverhalten von Vögeln angeschaut, die am Meer oder in Feuchtgebieten leben, darunter auch Zugvögel. Insgesamt haben wir Daten zu 700 Nestern von 32 Arten aus 91 Populationen gesammelt. Die Daten wurden automatisch erhoben, mit Hilfe eines Transponders am Bein der Tiere. Eingeflossen sind auch Beobachtungsdaten aus den 90er Jahren und Videoaufnahmen.
24-Stunden-Rhythmus nimmt nach Norden ab
Pyritz: Welche Muster haben Sie bei unterschiedlichen Vogelarten gefunden?
Bulla: Da haben wir eine große Vielfalt von Mustern gefunden. Beim Amerika-Sandregenpfeifer wechseln sich die Eltern zum Beispiel 20 Mal am Tag ab. Beim Großen Schlammläufer brütet dagegen ein Elternteil bis zu 50 Stunden am Stück - ohne Pause! Manche Vögel orientieren sich offensichtlich am Tag-Nacht-Rhythmus - ein Elternteil übernimmt die Nachtschicht, das andere die Tagschicht. Und dann gibt es Arten, die sich überhaupt nicht nach dem Tages-Rhythmus richten.
Pyritz: Was ist die Ursache dieser unterschiedlichen Brut-Muster der Elterntiere?
Bulla: Das wüssten wir auch gerne. Unsere Studie zeigt: Je nördlicher man blickt, desto weniger richtet sich das Brüten nach einem 24-Stunden-Rhythmus. Das ist auch zu erwarten, weil der Wechsel von Hell und Dunkel nach Norden hin immer weiter abnimmt - im arktischen Sommer gibt es zum Beispiel konstant Tageslicht. In diesen Gebieten zeigen Vögel viele seltsame Schichtwechsel am Nest.
Allerdings kommt das auch in Zentral-Europa vor, wo es eine klare Tag-Nacht-Rhythmik gibt. Warum das so ist, müssen wir noch weiter untersuchen.
Kryptische Arten versuchen die Schichtwechsel zu minimieren
Pyritz: Sie beschreiben in der Studie auch, dass der Umgang mit Fressfeinden ein wichtiger Faktor für das elterliche Verhalten am Nest ist. Was steckt dahinter?
Bulla: Die Vögel haben unterschiedliche Strategien gegenüber Fressfeinden. Schnepfenvögel verlassen sich zum Beispiel auf ihre Tarnung. Ihr Gefieder macht sie praktisch unsichtbar, wenn sie im Nest sitzen. Bei diesen Arten würde man erwarten, dass sie die Zahl der Wechsel zwischen Weibchen und Männchen am Nest minimieren. Denn das sind die einzigen Situationen, in denen sie entdeckt werden können.
Dann gibt es andere Vögel wie Austernfischer, die man schon von weitem sieht. Diese Tiere attackieren Fressfeinde sogar aktiv. Wir haben also erwartet, dass die Elternteile bei kryptischen Arten jeweils lange im Nest sitzen, während die auffälligen Arten kurze Schichten haben. Und genau das zeigen unsere Ergebnisse auch.
Pyritz: Zeigen Vögel in Gefangenschaft, wo keine Fressfeinde drohen und es einen konstanten Hell-Dunkel-Rhythmus gibt, auch andere Muster bei der Nest-Fürsorge?
Bulla: Für die von uns untersuchten Arten gibt es da keine Daten. In den 50er- und 60er-Jahren wurde dazu allerdings in Deutschland viel mit Tauben geforscht. Die Experimente haben gezeigt: Normalerweise behalten diese Tiere auch in Gefangenschaft einen Tag-Nacht-Rhythmus wie im Freiland. Aber sobald die Forscher den Unterschied der Hell- und Dunkel-Phasen verwischt oder ganz aufgehoben haben, haben die Tauben ihren Rhythmus verloren.