Dabei prägten die Erfahrungen die meisten früheren Heimkinder sehr, erklärte Wagner. Durch Gewalterfahrungen seien viele traumatisiert. Das wirke sich im Erwachsenenalter auf soziale Beziehungen aus und werde mitunter an die folgende Generation weitergegeben. Auch fehle vielen ehemaligen Heimkindern eine Ausbildung, so dass sie bis heute von Armut betroffen seien.
"Hohe Hürde" der finanziellen Anerkennung
Aufarbeitung sei "absolut wichtig, damit man die Strukturen erkennt", mahnte die Expertin. Auch heute würden viele Kinder, nicht nur in Heimen, mit Medikamenten ruhiggestellt. Dabei hätten etwa Neuroleptika langfristige Nebenwirkungen. Es handle sich also nicht allein um ein "Problem der Vergangenheit, sondern der Gegenwart".
Für ehemalige Heimkinder sei es derweil eine hohe Hürde, sich überhaupt auf ein Verfahren zur Anerkennung des erlittenen Leids einzulassen, unterstrich Wagner. "Den Prozess bis zum Ende durchzustehen, schaffen nur wenige." Auch hätten die Betroffenen den Runden Tisch Heimerziehung nicht mitgestalten können, sondern seien erneut marginalisiert worden. "Viele haben inzwischen resigniert oder sind bereits gestorben."
Zwischen 1949 und 1975 haben nach Studien Tausende Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik und von 1949 bis 1990 in der DDR in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie Gewalt unterschiedlichster Art erfahren.
Wagner verbrachte ihre ersten Lebensjahre selbst in Heimen. In ihrem faktenbasierten Roman "Heimgesperrt" hat sie die Erlebnisse aufgearbeitet. Zuvor hat die Pharmaziehistorikerin zu Medikamentenversuchen an Heimkindern in den 1950er bis 70er Jahren geforscht.