Jule Reimer: Im Streit um das geplante Freihandelsabkommen TTIP sucht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Kompromissmöglichkeiten zwischen Gegnern und Befürwortern. Besonders viel Kritik gibt es an dem sogenannten Investor-Staat-Klageverfahren. Ausländische Investoren sollen sich an international anerkannte Schiedsgerichte wenden können, falls sie sich ungerechtfertigt und ohne angemessenen Schadensersatz enteignet sehen, zum Beispiel durch neue Gesetze. Deshalb hat Gabriel den Professor für Völkerrecht, Markus Krajewski, beauftragt, Reformvorschläge zu machen. Die wurden am Wochenende in der "Süddeutschen Zeitung" bekannt und ich bin jetzt mit Markus Krajewski verbunden. Sie schlagen vor, an Stelle von privaten Schiedsstellen einen US-europäischen Handelsgerichtshof durchzusetzen. Sagen Sie, was ist genau der Unterschied zu der bisherigen diskutierten Lösung?
Markus Krajewski: Ja. Der Unterschied besteht ganz zentral darin, dass bei einer Schiedsstelle oder einem Schiedsgericht die Entscheider, die Schiedsrichter, von den Streitparteien, also von dem Unternehmen und von dem Staat, jeweils für den Streit ad hoc ausgewählt werden, und bei einem internationalen Investitionsgerichtshof, wie er jetzt in diesem Vorschlag ausgearbeitet wird, stehen die Richter von vornherein fest. Die Richter sind durch die Vertragsparteien, also die Staaten beziehungsweise die EU ernannt auf eine bestimmte Zeit, wie man das von internationalen Gerichten kennt. Es ist bekannt, wer die Richter sind, und es ist auch bekannt, bei welcher Kammer von Richtern ein Streit landen würde. Darüber hinaus gibt es eine Berufungsinstanz. Es gibt einen verbindlichen Verhaltenskodex und es gibt umfangreiche Transparenzregeln.
"Regeln, die wir bei nationalen Gerichten natürlich auch kennen"
Reimer: Das heißt, es darf sich nicht mehr um Anwälte handeln, die zum Beispiel auch in der Vergangenheit für die einzelnen Unternehmen tätig geworden sind?
Krajewski: Genau. Es ist vorgesehen, dass nur Personen benannt werden dürfen, die nachgewiesenermaßen unabhängig sind und die im Einzelfall, sollte doch mal in der Vergangenheit ein Grund zur Befangenheit liegen, dann auch wegen Befangenheit ausgeschlossen werden können, also Regeln, die wir bei nationalen Gerichten natürlich auch kennen. Da können ja auch Richter mal befangen sein.
Reimer: Ein Problem, was Kritiker beim TTIP-Abkommen sehen, ist, dass sich die USA zum Beispiel vielen internationalen Vereinbarungen, angefangen bei den Arbeitsnormen der ILO, Konventionen nicht unterordnen und das Verhältnis zu internationalen Gerichtshöfen der USA ist auch nicht das beste. Wieso sollten die so einer Vereinbarung zustimmen?
Krajewski: Ganz so schlimm würde ich das nicht sehen. Die USA haben sich in der Vergangenheit immer wieder auch dann internationalen Gerichtshöfen untergeordnet, wenn das für sie von Vorteil ist, wenn sie da gesehen haben, dass sie da auch etwas draus ziehen. Die USA sind Mitglied der Welthandelsorganisation, da akzeptieren sie die Sprüche auch, jedenfalls überwiegend, und hier würde man das eben mal sehen. Die USA haben, wenn es um bilaterale Dinge geht, kein so schlechtes Verhältnis zur internationalen Gerichtsbarkeit. Damit haben sie teilweise ganz gute Erfahrungen gemacht und ich könnte mir durchaus vorstellen, wenn man sagt, das ist ein bilaterales Gericht USA/EU - die USA haben ja dann auch Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts, weil sie natürlich auch bei der Ernennung der Richter mitwirken -, dann glaube ich schon, dass die USA das anders sehen als zum Beispiel einen internationalen Gerichtshof, bei dem sie grundsätzlich etwas mehr Probleme haben.
"Das CETA-Abkommen ist ja noch in einem Prozess der Überarbeitung"
Reimer: Wir haben aber ein Abkommen, was TTIP vorgeschaltet ist, nämlich das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Viele US-Unternehmen sind ja auch schon in Kanada tätig. Dieser Gerichtshof würde ja dann nicht mehr für CETA, was mehr oder weniger ausgehandelt ist, gelten. Würden dann nicht doch diese ganzen Klageverfahren auf einem anderen Weg sozusagen über CETA stattfinden, wie es in der Vergangenheit war?
Krajewski: Man müsste sowieso grundsätzlich mal fragen: Dieser Vorschlag, der jetzt gemacht wird, der zwar für die laufenden TTIP-Verhandlungen gemacht wird, der müsste nach meinem Verständnis natürlich auch Auswirkungen auf CETA haben. Man kann schlecht mit den USA einen bilateralen Gerichtshof vereinbaren und mit Kanada das alte System. Da wird man sicherlich noch über einiges nachdenken müssen. Das CETA-Abkommen ist ja noch in einem Prozess der Überarbeitung. Da wird man sehen, inwieweit man da vielleicht an dieser Stelle doch noch etwas einbauen kann. Im Übrigen ist es natürlich der EU und Kanada völlig freigestellt zu sagen, das Kapitel zum Investitionsschutz in CETA, das schnüren wir noch mal auf und da formulieren wir etwas anderes hinein.
Reimer: Sie waren ja ein Kritiker. Sind Sie es jetzt nicht mehr, wenn das durchkommt?
Krajewski: Ich bin immer noch ein Kritiker des Investitionsschutzes, wie er bislang besteht, also mit den Schiedsgerichten, und das TTIP besteht ja nicht nur aus Investitionsschutz, sondern auch aus vielen anderen Dingen, die ich nach wie vor weiterhin sehr kritisch sehe.
Reimer: Vielen Dank! Das war Markus Krajewski und er hat für das Bundeswirtschaftsministerium jüngst Vorschläge erarbeitet, wie man den Investorenschutz verändern könnte, mehr Transparenz reinbringen kann, und wir werden sicherlich noch mehr dazu hören.
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