Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, die russische Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen 2016 unter Auflagen doch starten zu lassen, sorgte weltweit für Unverständnis. Zu groß war die Beweislast für ein breitangelegtes, russisches Doping-System. Doch obwohl eine "überwältigende Mehrheit" der Athleten hinter ihr und Beckie Scott, der Athletensprecherin der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, stand, habe sich Bokel bei der Abstimmung enthalten. "Sie muss massiv unter Druck gesetzt worden sein", vermutet Dopingexperte Thomas Kistner im Dlf.
Das IOC habe Bokel in eine Befürworterrolle gedrängt, betont Kistner. Bokel, die heute Präsidentin des Deutschen Fechter-Bundes ist, hatte vergangene Woche auf einer Anti-Doping-Konferenz in Oslo ihr Schweigen gebrochen. Doch warum machte sie die Anschuldigungen erst zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Komitee publik? "Sie ist immer noch massiv in den Sport involviert", erklärt Kistner. "Wir sehen seit Jahren, dass sich kritische Geister nicht über eine gewisse Linie trauen." Doch Bokels Funktionärskarriere im olympischen Sport sei 2016 de facto beendet worden. "Es ist im Sport zuweilen wie in totalitären Systemen", warnt der Journalist.
IOC für Kistner mit dem Fernziel Friedensnobelpreis
Positiv sieht Kistner, dass sich Sportler zunehmend für ihre Interessen zusammenschließen. "Das ist natürlich eine Reaktion auf die tiefwurzelnden Missstände im olympischen Sport", sagt Kistner. Den Athleten bleibe häufig gar nichts anderes übrig, als sich selbst zu organisieren. Es gehe darum, nicht "völlig fremdgesteuert zu sein", betont er im Dlf. Die Reaktion des IOC auf Bokels Vorwürfe ist für Kistner nur ein weiteres Beispiel für die gravieren Probleme im Sport.
"Wenn es zwei Begriffe gibt, die nichts miteinander zu tun haben, dann IOC und Glaubwürdigkeit." Der FIFA würde das IOC in Nichts nachstehen, meint Kistner. Gleichzeitig warnt er davor, die Annäherung im Koreakonflikt dem IOC anzurechnen. Es sei offensichtlich, dass die Funktionäre insgeheim den Friedensnobelpreis als Ziel ausgegeben hätten. "Wer diesen Verdienst dem IOC anhängen will, sollte echte Friedensstifter mit dem Karnevalsorden 'Wider den tierischen Ernst‘ entschädigen", sagt Kistner zum Abschluss des Gesprächs im Dlf.