Im Pali-Kanon, dem ältesten buddhistischen Textkorpus, erzählt der Buddha einem Asketen, warum er den Weg der Askese verworfen hat und wie er den Stufenweg des Erwachens gegangen ist:
"So erinnerte ich mich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen.
Dieses Wissen (…) hatte ich nun in den ersten Stunden der Nacht als erstes errungen, das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen, das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, wie ich da ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilte."
Dieses Wissen (…) hatte ich nun in den ersten Stunden der Nacht als erstes errungen, das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen, das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, wie ich da ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilte."
Der Buddha ist erwacht. Die Symbolik des Lichts klingt schon in den Schriften des alten Pali-Kanons an. Das Wort Erleuchtung für das erlösende Geschehen, das ist ein Begriff, der sich erst spät bildet. So erläutert es die Göttinger Professorin für Religionswissenschaft Katja Triplett:
"Das ist wirklich ein längerer Prozess, bis überhaupt die verschiedenen Traditionen, die Reisende, Missionare und andere Abenteurer in Asien vorgefunden haben, dass die überhaupt zu einer Tradition gehörten. Und dass es da einen historischen Begründer gab, den Buddha. Und dann hat man sich angeschaut, ja was wollte er den eigentlich.
Und dann musste man dieses Ziel und Weg umschreiben in westlichen Sprachen. Ich war dann ganz erstaunt, dass dieser Begriff Erleuchtung zunächst gar nicht verwendet worden war."
Erleuchtung - ein Synonym, mit dem wir arbeiten
Ursprünglich ist in buddhistischen Quellen von "Erwachen" die Rede oder vom Erreichen der "Buddhaschaft". Auch der hinduistische Terminus "moksha" bedeutet vielmehr "Erlösung". Trotzdem ist der Begriff "Erleuchtung" heute kaum mehr von den Religionen des Ostens zu trennen. Maßgeblich beteiligt daran ist der Zen-Buddhist D.T. Suzuki. Er hat von Anfang 1900 bis in die 1960er-Jahre hinein über den Buddhismus auf Englisch publiziert und dabei den Begriff "Enlightenment" verwendet, auf Deutsch "Erleuchtung".
Folglich ist es Suzuki zu verdanken, so Katja Triplett "... dass wir mit diesen Synonym arbeiten. Dass heute die Einführung in den Buddhismus in westlichen Sprachen immer, dass das Ziel oder das Schlüsselerlebnis des Buddha eben die Erleuchtung war."
Suzuki war eine schillernde Persönlichkeit – übersetzte für seinen Zen-Meister viele Texte, wurde Mitglied der Theosophen, publizierte selbst, hielt jahrzehntelang unermüdlich Vorträge in Amerika und Europa. Er stand in Kontakt mit C.G. Jung und hatte Einfluss auf viele westliche Intellektuelle. Suzuki hatte ein Gespür für Begrifflichkeiten, die den Zen-Buddhismus für den Westen erfahrbar machten.
"... dass im Zen-Buddhismus so ein Kern steckt, der universal ist, dass auch Menschen im Westen, in den USA und Europa diesen Gedanken verstehen können...und zu einem Wesen vordringen können und sich nicht so an den kulturellen Ausprägungen des Zen-Buddhismus aufhalten sollen."
Suzuki präsentierte den Zen-Buddhismus ohne das ganze Ritualwesen, ohne die Architektur und Kunst. Und weil er gerne mit psychoanalytischem Vokabular gearbeitet hat, traf er damals den richtigen Ton.
Schon in der Antike Spuren des Erleuchtungsbegriffs
Erleuchtung wurde langsam zum spirituellen Ziel der asiatischen Religionen erklärt. Dabei lassen sich in Europa viele Spuren des Erleuchtungsbegriffs finden. Schon in der Antike in Griechenland. Dort entwickelten Philosophen eine Lichtmetaphorik und verwendeten Begriffe für Erkenntnisprozesse, die mit "erhellend" oder "draufleuchten" umschrieben werden. Beispielsweise bei Platon, der 348 vor Christus lebte. Seine Ideen wurden im Neuplatonismus weiterentwickelt. Christliche Autoren nahmen die Gedanken auf, so auch der Kirchenvater Augustinus, der bis 430 lebte.
Almut-Barbara Renger, Religionswissenschaftlerin an der FU Berlin, sagt: "Bei dem findet sich ein illuminationstheoretischer Ansatz – eine christliche Theorie der Illumination, der Erleuchtung, die davon ausgeht, dass Erkenntnis unmittelbar mit einem Wirken der höchsten göttlichen Vernunft vermittelt zu denken ist."
Almut-Barbara Renger hat gerade einen Sammelband über die Begriffsgeschichte der Erleuchtung herausgegeben."Wichtig ist - und das ist das platonische Moment - dass Erkenntnis immer unmittelbar mit einem Wirken der höchsten göttlichen Vernunft vermittelt ist. Also es ist eben ein Akt der Vernunft."
Bei Augustinus kommen Erkenntnistheorie und eine christologisch fundierte Erlösungslehre zusammen – die nach dem lateinischen Wort für "Licht" - auch Illuminationslehre genannt wird. In der Theologie und in der christlich-religiösen Dichtung etabliert sich weiter der Begriff der Erleuchtung – in der Bibel heißt es schon im Epheserbrief (5,14): "Christus wird dich erleuchten." So greifen auch die Reformatoren auf die Erleuchtung durch die Selbstvermittlung des Wortes Gottes zurück. Luther hat gleich mehrere Erleuchtungserlebnisse, die ihn verwandelten. Später wird in der Aufklärung das "Licht der Vernunft" herausgestellt, nicht als Offenbarung Gottes, sondern als das Vermögen, den eigenen Verstand zu benutzen – gegen die Bevormundung durch fremde Autoritäten.
Hermann Hesse legt Grundstein für individuelle Suche nach Erleuchtung
In Europa kommt im 20. Jahrhundert die östliche Erleuchtungsgeschichte auch in der Literatur an. Hermann Hesse schreibt in den 1920er-Jahren sein Buch "Siddhartha" über einen Zeitgenossen des Buddha, der seinen eigenen Weg geht.
Aus Hermann Hesses Siddhartha: "Du hast die Erlösung vom Tode gefunden (...) aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, (...) durch Erleuchtung. Nicht sie dir geworden durch Lehre!"
Damit legte Hermann Hesse den Grundstein für die individuelle Sinnsuche nach Erleuchtung. Eine Sehnsuchtsbewegung, die sich in den 60er und 70er-Jahren mit der Hippie-Bewegung zu einem Erleuchtungstourismus entwickelt.
Im Umfeld des New Age steigt der Inder Bhagwan Shree Rajneesh als wichtige Figur für individuelle Sinnsucher auf, sagt die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger.
"Bhagwan oder auch kurz Osho – der als erleuchtet sich bezeichnet hat, als "enlightend" – der von sich gesagt hat, dass er bereits als sehr junger Mann Erleuchtung erfahren habe und großen Zulauf erfahren hat."
Zum Sehnsuchtsziel für breite Schichten geworden
Bhagwan habe Methoden entwickelt, mit denen man angeblich die Erleuchtung erlangen könne. Dabei bediente er sich aus allen Religionen und mixte sie mit psychologischen Techniken. Inzwischen ist der Markt der selbsternannten Gurus und Erleuchteten groß geworden.
"Eckhart Tolle ist ein Shootingstar dieser sogenannten Satsang-Bewegung, die sich immer weiter verbreitet und auch dazu beiträgt, dass der Begriff der Erleuchtung doch weitere Kreise zieht."
Die Erleuchtung ist im 21. Jahrhundert in Europa und Amerika zu einem Sehnsuchtsziel für breite Schichten geworden. In Seminaren und Ratgebern erklären selbsternannte Erleuchtete, wie Erleuchtung zu finden sei und wie man als Erleuchteter weiterlebt. Erleuchtung und die damit erhoffte geistige Freiheit ziehen offenbar das Publikum an – es ist eine riesige Projektionsfläche.
Da ist ein Buch über die Ursprünge und Strukturen der Erleuchtung ein erfrischender Denkansatz. Manche Beobachtung hebt die Erleuchteten auch von ihrem Sockel. Da berichtet ein Sufi-Meister, dass er zwar viele Erleuchtete getroffen habe, aber die meisten hätten Schwierigkeiten, diese Erfahrung in ihren Alltag zu integrieren. Sie scheiterten mitunter am Zusammenleben mit Frau und Kindern oder im Beruf. Oder manchmal auch schon bei der Steuererklärung.
Almut-Barbara Renger (Hrsg.): Erleuchtung. Kultur- und Religionsgeschichte eines Begriffs. Herder, 400 Seiten. 34,99 Euro.