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Rücktritt von Hennig-Wellsow
Schindler (Linke): "Die Linke wird sich nicht abschaffen"

Sexismusvorwürfe, schlechte Wahlergebnisse und nun der Rücktritt der Co-Chefin: Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler spricht im Dlf über die schwierige Lage der Partei und sagt: "Wir müssen besser werden." Er fordert eine neue "personelle Ausstrahlung" und neue Strukturen innerhalb der Partei.

Jörg Schindler im Gespräch mit Moritz Küpper |
Landesparteitag Linke Brandenburg
Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, spricht auf dem Landesparteitag der Linken in Brandenburg. Auf dem Parteitag wird ein neuer Landesvorstand gewählt. (picture alliance/dpa)
Nach dem Sexismus-Vorwürfen innerhalb der Linken, kündigt der Partei-Geschäftsführer Jörg Schindler Veränderung in den internen Strukturen an. Dazu habe der Vorstand in seiner Krisensitzung die Einrichtung einer Kommission mit externen Beratern beschlossen. Bereits existierende Quotierungen und Frauenpläne reichten offenkundig noch nicht aus. Nötig sei beispielsweise eine Änderung der Satzung, damit übergriffige Mitglieder schneller aus der Partei ausgeschlossen werden könnten.
Perspektivisch fordert Schindler einen strukturellen und auch personellen Neuanfang. Wenn man sich politisch neu aufstelle, bedeutete dies auch eine neue "personelle Ausstrahlung". "Wir alle wissen doch, dass nicht nur Beschlusstexte entscheidend sind, sondern auch die dahinter stehenden authentischen Gesichter." Zur Debatte steht nun eine Neuwahl des Vorstands auf dem Parteitag im Juni.

Das Interview im Wortlaut
Moritz Küpper: Herr Schindler, warum ist Susanne Hennig-Wellsow jetzt, gerade in Wahlkampfzeiten zurückgetreten?
Jörg Schindler: Na ja. Sie hat ja in ihrem Rücktrittsschreiben erklärt, was die Gründe sind, und wir haben als Partei das mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Wir respektieren auch ihre persönlichen Gründe, die sie dafür angegeben hat. Sie haben es ja angegeben, was Susanne Hennig-Wellsow gesagt hat: Zu wenig Menschen in der Bundesrepublik vertrauen gerade der Linken und da müssen wir dringend dran arbeiten. Wir befinden uns in einer schwierigen Lage. Nach der Bundestagswahl haben wir einiges zu klären. Viele Menschen haben uns als uneindeutig wahrgenommen in zwei Fragen, beim sozial-ökologischen Umbau, den wir ja dringend benötigen, als auch bei der Außenpolitik, und da haben wir als Linke im Bundesparteitag im Juni jetzt ein paar Fragen zu beantworten und das werden wir tun.

"Die Linke wird doch gebraucht"

Küpper: Das stimmt. Aber das alles ist auch nicht neu. Daher noch mal die Frage: Warum gerade jetzt der Rücktritt?
Schindler: Ich glaube, es hat auch etwas damit zu tun, dass Susanne in dieser Situation auch einen persönlich sehr schwierigen Punkt hatte. Sie hatte das ja in ihrer Rücktrittserklärung angegeben. Da, finde ich, müssen wir jetzt nicht weiter drauf eingehen, weil es auch private Gründe sind. Gleichwohl – ich will zurück zur Politik und auch als Partei müssen wir zurück zur Politik, denn Die Linke wird doch in Zeiten, in denen die Inflation die Einkommen auffrisst und in denen wir im Ukraine-Krieg mehr Perspektiven benötigen als einfach nur hochzurüsten, da wird Die Linke doch gebraucht. Dafür sind wir da und das müssen wir besser wahrnehmen. Das ist unser Anspruch an uns selbst.
Die Co-Vorsitzenden der Linken Janine Wissler (r) und Susanne Hennig-Wellsow.
Die Co-Vorsitzenden der Linken Janine Wissler (r) und Susanne Hennig-Wellsow. (dpa / Jörg Ratzsch)
Küpper: Dann kommen wir noch mal zu diesem Rücktrittstext, zu dieser Erklärung, die Sie auch gerade schon ausgeführt haben, zumindest teilweise. Susanne Hennig-Wellsow schreibt darin, es bräuchte neue Gesichter. Teilen Sie diese Analyse?
Schindler: Ich teile die Analyse, dass wir im Juni einen neuen Parteivorstand benötigen. Das habe ich auch dem Parteivorstand, den wir gewählt haben, der etwa seit 14 Monaten im Amt ist, in der gestrigen abendlichen Parteivorstandssitzung so mitgeteilt, dass ich finde, dass wir, wenn wir uns politisch neu aufstellen – die Fragen hatte ich ja angesprochen -, dass das auch bedeutet, dass wir in Partei und auch in der Fraktion eine neue Ausstrahlung, auch personell benötigen. Wir alle wissen doch, dass nicht nur Beschlusstexte entscheidend sind, sondern auch die dahinter stehenden authentischen Gesichter.

"Wir brauchen eine breite Basis für diese politische Diskussion"

Küpper: Sie haben es gerade selber gesagt. Dieser Parteivorstand ist, man könnte auch sagen, erst 14 Monate im Amt.
Schindler: Ja, er ist erst 14 Monate im Amt. Ich finde, er benötigt auch eine neue Legitimation auf einem Bundesparteitag. Er benötigt ein Signal, indem die Partei sagt, hier hinter diesem Parteivorstand versammeln wir uns. Es ist doch richtig – und da nehme ich mich nicht von aus -, dass wir eine schwere Wahlniederlage hinter uns haben, und das bedeutet auch, dass die Partei sich neu zusammenfinden muss, sich geschlossen darstellen muss und auch nach vorne blicken muss.
Küpper: Das heißt, dieser noch relativ junge Parteivorstand, der ist krachend gescheitert?
Schindler: Nein, er ist nicht krachend gescheitert. Aber ich glaube, wir brauchen eine neue Legitimation dafür, und ich glaube, Janine Wissler hat ja gestern auch gesagt, sie möchte im Parteivorstand wissen, ob sie weiter die Partei alleine zunächst mal führen soll, und das hat der Parteivorstand ihr so als Mandat gegeben. Es gab ein einstimmiges Votum, dass sie das zunächst weiter tun soll. Trotzdem glaube ich, wir brauchen eine breite Basis für diese politische Diskussion, denn wir sind eine sozialistische Gerechtigkeitspartei. Die wollen wir werden und dazu brauchen wir alle Genossinnen und Genossen. Wir haben uns in der letzten Zeit sehr gestritten; wir brauchen da ein sehr breites Fundament dafür.

Nach Sexismusvorwürfen - "Es wird eine externe Kommission von Expert*innen geben"

Küpper: Es gibt Vorwürfe innerhalb Ihrer Partei, eine Debatte, Sexismus-Vorwürfe, keine Einzelfälle, sondern die Linksjugend spricht von mehreren, einer zweistelligen Zahl an Fällen. Janine Wissler aus dem hessischen Landesverband steht da durchaus im Mittelpunkt, mit im Mittelpunkt. Das alles ist noch Bestandteil von verschiedenen juristischen Verfahren, anderen Punkten. Aber ist sie nicht im Grunde genommen als Person zu belastet, um jetzt alleine die Partei zu führen, auch wenn es nur für einen Übergang ist?
Schindler: Das sehe ich so nicht und das ist auch gestern im Parteivorstand anders diskutiert worden. Im Parteivorstand haben wir gestern darüber diskutiert, wie wir als Partei, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst hat, wenn es um die Frage von Feminismus geht, von Gleichberechtigung, von Antidiskriminierung, auch von „Nein heißt Nein“, was wir als Partei immer unterstützt haben, dieses „Nein heißt Nein“, nur dann, wenn man wirklich einvernehmlich sich berühren will, wenn man einvernehmlich sexuelle Kontakte haben will, und so weiter und so fort, die diesen hohen Anspruch hat, müssen wir auch bei uns in der Partei Strukturen verändern. Wir nehmen das sehr ernst..
Küpper: Das heißt, Sie haben ein strukturelles Problem in der Partei?
Schindler: Wir haben sehr ernst genommen, dass wir, obwohl wir Quotierungsregelungen haben, Frauenpläne haben und so weiter und so fort, offenbar dort noch mehr tun müssen, und das haben wir gestern auch in unserem Beschluss angegangen. Wir haben verstanden, es wird eine externe Kommission von Expert*innen geben. Die werden wir direkt einrichten. Darüber hinaus haben wir sechs Punkte vorgeschlagen, wie wir etwa unsere Parteisatzung ändern werden, dass Genossinnen und Genossen, die sich übergriffig verhalten, auch schneller aus der Partei entfernt werden können. Wir wollen die Bildungsarbeit verbessern. Wir wollen Teams einrichten, die auch in den Kreisen die entsprechenden Schulungen durchführen. Sechs Punkte, die in unserem Beschluss enthalten sind; das ist das, was wir konkret tun.
Küpper: Weil Sie es gerade ansprechen: Sie haben diese Kommission beschlossen. Sie haben gestern auch um Entschuldigung gebeten. Heißt das, Sie können mittlerweile übersehen, welches Ausmaß diese Vorwürfe, dieser Fall hat?
Schindler: Das muss man jetzt innerhalb der Vertrauensgruppe, die wir jetzt schon seit 2021 haben, klären. Die hat die Fälle gesammelt. Und wir sind auch der Meinung, dass sie zunächst dort bleiben müssen, weil wir nicht wollen, dass die gesamte Partei das in großer Breite diskutiert, weil es auch da Schutzräume benötigt, und weil – und das haben wir gestern auch beschlossen – das an diese externe Kommission jetzt gegeben werden soll, so dass wir übersehen können, um wie viele Fälle geht es da - die sind auch meines Erachtens teilweise sehr verschieden gelagert – und was kann man in diesen, jeden einzelnen Fällen tun, damit Betroffene geschützt werden.

"Wir müssen besser werden"

Küpper: Herr Schindler, Leute fehlen, zumindest eine Vorsitzende ist Ihnen jetzt abhandengekommen. Die Themen, das ist auch problematisch. Die Menschen wissen teilweise nicht genau, beispielsweise beim Krieg Russlands gegen die Ukraine, wofür Die Linke oder wogegen Die Linke da steht. Sie sind irgendwie auch eine klassische Protestpartei gewesen; auch da bekommen Sie Probleme, werden unter Druck gesetzt von einer anderen Protestpartei in Deutschland, von der AfD. Fürchten Sie, dass sich Die Linke abschafft?
Schindler: Nein, Die Linke wird sich nicht abschaffen, denn die Themen sind doch aktuell.
Küpper: Aber Sie dringen ja nicht durch!
Schindler: Ja, und da müssen wir besser werden, ganz klar. Ich gebe Ihnen an der Stelle völlig recht. Wir müssen besser werden. Wir dürfen nicht uneindeutig wahrgenommen werden. Sie haben es angesprochen: Keine doppelten Standards etwa beim Völkerrecht und bei den Menschenrechten, keine Unklarheiten beim sozial-ökologischen Umbau, den wir vorantreiben wollen, gleichzeitig aber die Menschen darunter nicht leiden dürfen, sondern wir sie dafür absichern müssen, dass sie das auch mitmachen, und natürlich auch kein Abstrich dabei, wenn es darum geht, dass wir als Friedenspartei für Abrüstung sind, für diplomatische Lösungen. Und ich sage es mal so deutlich: Ich vermisse, die Bundesregierung verurteilt nicht den völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei gerade in den irakischen Gebieten, der auch vor einigen Tagen stattgefunden hat. Wir verurteilen beides, sowohl den russischen Angriffskrieg als auch die Intervention der Türkei in den Irak.

"Werden eine bundesweite Partei sein"

Küpper: Ich will noch mal auf die Zukunft Ihrer Partei zu sprechen kommen. Jetzt stehen ja gerade Wahlen an in Schleswig-Holstein und dann auch in Nordrhein-Westfalen. Das ist die größte Landtagswahl in Deutschland. Da sind die Perspektiven aktuell, glaube ich, nicht so gut. Vor fünf Jahren haben Sie dort um ein paar tausend Stimmen den Einzug in den Landtag verpasst. In Ostdeutschland dagegen sind Sie doch weiterhin stark. Werden Sie künftig eine ostdeutsche Regionalpartei sein?
Schindler: Auf keinen Fall! Wir werden eine bundesweite Partei sein und das müssen wir auch. Mittlerweile ist es ja so, dass von den Bundestagsabgeordneten mehr aus dem Westen kommen, schon seit vielen Jahren, als aus dem Osten. Die Mitglieder sind mittlerweile sehr stark verteilt.
Küpper: Aber in den Bundestag sind Sie ja nur aufgrund Direktmandate eingezogen.
Schindler: Ja, das war Teil unserer Wahlniederlage. Aber wir sind mit Fraktionsstärke im Bundestag drin und wir werden die vier Jahre nutzen, uns als bundesweite sozialistische Gerechtigkeitspartei zu etablieren. Wir müssen die Themen angehen, da haben Sie völlig recht. Wir müssen die Themen angehen. Das sind bundesweite Themen, nicht nur ostdeutsche, sondern diese Themen müssen durch uns bespielt werden - viel stärker, als wir es derzeit tun. Diese Selbstkritik müssen wir uns natürlich anziehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.