Eine Therapiesitzung am Institut für Psychiatrie des King's College London. Auf einem Computermonitor ist ein schematisches Gesicht zu sehen. Es bewegt die Lippen synchron zu seinen Äußerungen - und attackiert den Mann, der vor dem Bildschirm sitzt, verbal. Er sei ein Weichei und dumm, geifert die Stimme. Sie klingt übersteuert, aber sie wurde genau so modelliert, wie der Mann vor dem Monitor sie im Gedächtnis hat. Der Mann leidet an einer Psychose und hört diese Stimme seit Jahren in seinem Kopf. Etwas Nettes hat sie ihm noch nie gesagt.
Avatartherapie nennt Professor Thomas Craig vom King's College in London seinen Behandlungsansatz. Der Psychiater erprobt ihn bereits seit mehreren Jahren an schizophrenen Patienten, die stark unter einer bösen inneren Stimme leiden. Wenn ein Psychotiker ein ganz bestimmtes Gesicht mit dieser Stimme verbindet, erhält das Gesicht auf dem Monitor seine individuellen Züge.
"Unsere Computersoftware verändert die Stimme des Therapeuten so, dass sie wie die böse Stimme des Patienten klingt. Das ist der Trick. Der Psychotherapeut sitzt in einem Raum, der Patient in einem anderen und zwischen ihnen ist nun ein Trialog möglich. Sie führen eine Konversation zwischen Patient, Therapeut und dem Avatar."
Der Psychotherapeut kann so den Patienten auffordern, der störenden Stimme zu widersprechen und unterstützt ihn dabei.
Abnahme von Halluzinationen
Im Verlauf einer Sitzung kann der Therapeut die böse Stimme dann defensiver und freundlicher werden lassen. Der Patient entwickelt dadurch das Gefühl, sie beeinflussen zu können. Er macht eine reale positive Erfahrung mit einer fassbaren Stimme, die ihn normalerweise aus dem Off malträtiert. Thomas Craig hat nun erstmals im Vergleich mit einer größeren Kontrollgruppe untersucht, wie wirkungsvoll diese Methode ist. Er verglich insgesamt 150 schizophrene Personen. Die Hälfte führte sechs wöchentliche Therapiesitzungen mit Avataren durch. Die andere Hälfte sprach ohne Avatar mit Therapeuten über ihre Probleme.
"Das Hauptergebnis war, dass die Häufigkeit der Halluzinationen abnahm und sie von den Versuchspersonen auch nicht mehr so stressig wahrgenommen wurden. Dabei war diese Verbesserung bei denjenigen, die die Avatartherapie erhalten hatten, signifikant höher. Nach drei Monaten ging es ihnen deutlich besser. Dieser Effekt hielt auch nach sechs Monaten noch an und wir kennen einige Fälle, bei denen die Stimmhalluzination sogar ganz verschwand. Und das blieb auch nach eineinhalb bis zwei Jahren so."
Weitere Einsatzmöglichkeiten für Avatare
Die Ergebnisse waren sogar besser als bei Studien zur kognitiven Verhaltenstherapie, die oft bei akustischen Halluzinationen eingesetzt wird. Dabei sollen sich die Patienten selbst mit ihrer inneren Stimme auseinandersetzen und sie neu bewerten. Thomas Craig unterstreicht, dass weitere Studien nötig sind, um seine Ergebnisse zu bestätigen. Aber im Prinzip ist er davon überzeugt, dass die Avatartherapie auch bei anderen psychischen Problemen eine Standardtherapie werden könnte:
"Einige Kollegen versuchen gerade, die Methode bei der Magersucht anzuwenden, wo eine innere Stimme den Betroffenen verbietet, zu essen. Es ist keine wirklich gehörte Stimme wie bei unseren Psychotikern, es ist mehr ein Selbstaussage, aber genauso folgenreich. Und einige Kollegen beginnen auch, Avatare bei der Therapie von Persönlichkeitsstörungen auszuprobieren. Ich denke, das Potenzial für andere Einsatzbereiche existiert."