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Schlaflos in Luanda

Angola ist der größte Ölförderer Afrikas und der zweitgrößte Diamantenexporteur des Kontinents. Das viele Geld bringt Gier und Korruption mit sich. Und viel zu schnelles, unkontrolliertes Wachstum.

Von Vanja Budde |
    Sonntags, nachts um vier in Luanda: Auf der Baustelle nebenan schneiden die chinesischen Arbeiter Steine, gießen Beton, der Presslufthammer hämmert. Ein turmhoher Kran dreht sich, Scheinwerfer erhellen die samtschwarze Tropennacht. Ruhig schlafen? Nicht in Luanda. Jeder zweite der etwa 18 Millionen Angolaner, so schätzt man, lebt hier. In einem Land, das vier Mal so groß ist wie Deutschland, konzentriert sich alles auf die Hauptstadt. 2002 ging der Krieg endlich zu Ende – seitdem wird an sieben Tagen in der Woche, rund um die Uhr, am neuen Luanda und seiner Infrastruktur gewerkelt. Chinesische Baukonzerne haben die meisten Projekte übernommen, zum Lohn fließt Rohöl. Am Morgen glitzern die Glasfassaden dutzender funkelnagelneuer Skyscraper in der Tropensonne: Angesichts der Skyline ist nachvollziehbar, dass sich Luanda gern das "Dubai Afrikas" nennt. Ein "Dubai" allerdings, in dem ständig der Strom ausfällt, der Wasserdruck versiegt und das Internet streikt. "Das Öl ist unser Fluch", sagt Angela Mingas. Seit 2003 leitet sie das Studienzentrum für Kunst, Architektur, Urbanistik und Design an Luandas Universität "Lusiada". Die Universität duckt sich im Stadtzentrum in den Schatten des Hochhauses von Sonangol, der staatlichen Erdölgesellschaft, die unablässig Millionen Petrodollar ins Land pumpt. Angola hat mit zwei Millionen Barrel täglich Nigeria als größten Ölförderer Afrikas abgelöst und ist der zweitgrößte Diamantenexporteur des Kontinents. Das viele Geld bringe Gier und Korruption mit sich, meint Angela Mingas. Und viel zu schnelles, unkontrolliertes Wachstum.

    "Du machst dir keine Vorstellung, wie die Ölfirmen den Wohnungsmarkt überschwemmt haben. Urplötzlich war eine vergammelte Bude, die auseinanderfiel, 5000 Dollar im Monat wert! Und die Ölfirmen zahlten zwei, drei oder sogar fünf Jahre im Voraus! Ganz normale Angolaner mit einem durchschnittlichen Drei-Zimmer-Haus waren urplötzlich Millionäre."

    Dasselbe passierte mit Hotels und Restaurants: Die Preise stiegen rasant. Angolas Wirtschaft wächst jährlich um fast zehn Prozent, Luanda ist mittlerweile neben Tokio die teuerste Stadt der Welt. Eine kleine Gruppe Nutznießer, die dank guter Verbindungen zur Regierung Zugang zum Geldsegen hat, ergibt sich hemmungslos dem Konsumrausch. Tausende schwere Geländewagen werden monatlich neu zugelassen. Nicht, dass die stolzen Besitzer damit weit kämen: Der Verkehr in Luanda ist eine Katastrophe, von früh bis spät herrscht Dauerstau. Wenn man Pech hat, braucht man für fünf Kilometer zwei Stunden.

    "Wir haben keinen öffentlichen Nahverkehr. Die Privatbusse, Sammeltaxis, wir nennen sie Candongueros, sie sind das Hauptproblem des Verkehrs in Luanda, denn sie sind die einzige Transportmöglichkeit. Es gibt ein paar große Linienbusse der städtischen Verkehrsbetriebe, aber die fahren nicht zu den Musseques, die 60 Prozent des Stadtgebietes ausmachen."

    Die Musseques: Diese Armenviertel umwuchern die Innenstadt Luandas. Millionen Menschen wohnen dort unter Wellblechdächern – und kommen ins Zentrum, um ein paar Kwanzas zu verdienen.

    "Am Morgen und bis zum Nachmittag ist jedermann hier, und in der Nacht ist die Stadt komplett anders. Dann ist sie ziemlich normal und entspannt. Aber morgens ist es grauenhaft. Die Infrastruktur kann diese Pendlerströme nicht bewältigen, es gibt nicht genug Parkplätze, mein Gott, es ist schrecklich, schrecklich!"

    Die Musseques gibt es schon seit der Kolonialzeit, erzählt die Architektin. Man muss sie differenziert betrachten, es sind nicht einfach Slums. Je ärmer die Bewohner, desto mehr werden sie an den Rand gedrängt. Im Zentrum der jeweiligen Viertel dagegen leben Menschen, die ein regelmäßiges Einkommen haben und sich Richtung Mittelstand voran kämpfen.

    "Da hast du alles: Apotheken, medizinische Zentren, Schulen, alles, mit schlechten Bedingungen natürlich. Allerdings entspricht die Struktur nicht einer westlichen Vorstellung von Stadt, diese römische Idee von Straßen und Plätzen, nein, es ist ganz anders, es ist wie eine Medina. Das Leben spielt sich auf den Straßen ab, jeder Raum wird genutzt. Es ist eine soziale Struktur, die respektiert werden muss – und entwickelt. Wir suchen noch nach einer Lösung, um die Lebensqualität in den Musseques zu verbessern. Ohne die gewachsenen Strukturen dort auseinanderzureißen. Denn eine Musseque besteht aus verschiedenen Communities, die Menschen kommen von überallher. Es ist eine Herausforderung."

    In der Musseque Sambizenga am Westrand Luandas leben 250.000 Menschen. Ganz an ihrem Rand, beim Hafen und der Raffinerie, hausen die Menschen in Wellblechhütten auf einer Müllhalde. Der Slum liegt am Hang, der Abfall wird mangels Alternative den Abhang hinunter geworfen. Kinder schlittern auf Plastiktüten durch die Pampe. Laster und Kleinbusse rumpeln im Schritttempo eine schmale Schlammpiste voll tiefer Löcher entlang. Wenn das die Zukunft ist für die Menschheit, die in die großen Städte strebt, wie Experten sagen, dann gute Nacht: kein Strom, keine Kanalisation, kein sauberes Wasser, dafür immer wieder ausbrechende Choleraepidemien und eine Lebenserwartung von durchschnittlich rund 40 Jahren. Nackte Armut, während sich nebenan im Hafen die Container mit Importgütern aus aller Welt für diejenigen stapeln, die sie sich leisten können.

    Im Vergleich dazu wohnt der Kuduro-Musiker MC Sacerdot im Zentrum von Sambizenga, nahe dem riesigen Freiluftmarkt von Luanda, geradezu bürgerlich: Zwar ist die schmale Gasse nicht asphaltiert, das Häuschen, das er mit Mutter und sechs Geschwistern teilt, ist mit Wellblech gedeckt, aber die Wände sind aus Ziegelsteinen gebaut. Die Stromleitung baumelt abenteuerlich an einem Holzpfahl, aber immerhin kann Sacerdot in seinem improvisierten kleinen Tonstudio Kuduro aufnehmen: eine Mischung aus Rap, Hip-Hop und traditionellen Rhythmen - Angolas allgegenwärtiger Techno, die Musik der Musseques. Auf einem winzigen Platz vor Sacerdots Tür haben sich Dutzende Kinder versammelt. Schreien, Kreischen, Hopsen, Posieren: Sie sind definitiv eher extrovertiert. Angeblich existiert hier eine Schule für sie – aber selbst wenn: Jobs gibt es nicht, sagt Sacerdot, der sich auf eine Mauer setzt und ein eiskaltes Bier trinkt.

    "Viele junge Leute sind arbeitslos, viele Kinder gehen nicht zur Schule. Das ist ein schwer zu lösendes Problem, aber wir dürfen nicht immer nur auf das Problem starren, sondern sollten lieber nach Alternativen suchen, um Lösungen zu finden. Klar kann man kritisieren, aber wir sollten auch nicht immer nur kritisieren und kritisieren, sondern lieber handeln und etwas aufbauen."

    Die Familien hier halten eng zusammen, sagt Sacerdot, Eigeninitiative sei gefragt.

    Kontrastprogramm: Ilha de Luanda heißt die der Stadt vorgelagerte Halbinsel. Ein Sandstreifen, auf dem früher Fischer wohnten. Sie sind in eine Musseque umgesiedelt worden, nun reiht sich an der neuen, vierspurigen Schnellstraße auf der Ilha ein Strandclub an den anderen. Ein Glas Weißwein, ein Gintonic und zwei Stück Thunfischpizza mit Blick auf die nachts hell erleuchtete Skyline Luandas schlagen hier mit 4000 Kwanzas zu Buche oder 40 US-Dollar: Angolas Währung, der Kwanza, ist an den Dollar gekoppelt.

    "Dies ist eine verrückte Stadt, vollkommen verrückt", "

    meint die Architektin Maria Joao in der Strandbar "Miami Beach". Maria kritisiert heftig die Baupolitik der Regierung: Ohne Sinn und Verstand würden diese Hochhäuser gebaut, der sandige Untergrund sei ungeeignet, Klimaanlagen und Aufzüge funktionierten oft nicht, die Wasserversorgung lasse zu wünschen übrig. Baupläne würden aus dem Internet kopiert, Experten nicht zurate gezogen, dabei würden gerade die hier gebraucht:

    ""Das Wetter hier, wie du gerade merkst: Es sind 30 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, jeden Tag. Also Glasbauten zu errichten, ist vollkommener Wahnsinn. Sie importieren die aus anderen Ländern, die Licht brauchen und Sonne. Aber das brauchen wir wirklich nicht, sondern Schatten, das brauchen wir."

    Maria Joao bedauert sehr, dass die Kolonialbauten der Altstadt, der "Baixa", dem regellosen Boom zum Opfer fallen. Zwar stünden diese oft durchaus unter Denkmalschutz, doch seien die Geldstrafen für den Abriss lächerlich niedrig und könnten angesichts der Immobilienpreise aus der Portokasse bezahlt werden.

    "Das ist ein politisches Problem. Viele Politiker in Luanda wollen, dass die Portugiesen die Stadt eines nahen Tages nicht mehr wiedererkennen. Sie wollen nichts bewahren, das vor der Unabhängigkeit 1975 entstanden ist. Es ist schrecklich, ein großer Minderwertigkeitskomplex. Es ist, als würden sie jeden Morgen zum Frühstück Gift nehmen und sich sagen: ‚Ich hasse die Kolonialherren.' Wir wollen eine total andere Stadt. Sie bauen eine Geschäftsstadt, ohne Charakter und Identität."

    Dieser Selbsthass sei ein großer gesellschaftlicher Fehler, meint Maria Joao. Sie erwartet viele Probleme in der Zukunft, da ohne geologische Studien wild drauflos gebaut werde.

    "Wir brauchen ganz dringend einen Infrastrukturplan. Die Leute sind sehr arm und improvisieren bei allem, den Stromleitungen zum Beispiel. Wir sind ein reiches Land, aber die Menschen sind so arm. Da kann man noch so viel bauen und renovieren, nach drei Monaten ist alles wieder kaputt, wenn die Leute keine Anleitung bekommen. Also brauchen wir Bildung, Bildung, Bildung."

    Am nächsten Tag der Versuch, Luanda zu Fuß zu bewältigen, auf dem Weg zu dem international bekannten Künstler Antonio Olé. Der Bürgersteig ist schmal, zugeparkt und staubig. Man muss gut aufpassen, wo man hintritt, denn viele Gullydeckel fehlen. Überall junge Leute, hochschwangere Frauen tragen Plastikwannen voller Mangos und Ananas auf dem Kopf, hoffen auf hungrige Autofahrer, die sich die 500 Kwanzas oder fünf Dollar für eine Ananas leisten können. Ein Tropengewitter braut sich über dem Meer zusammen. Am Straßenrand liegt viel Müll, aber es gibt auch viele Straßenkehrer, die sogar neongelbe Sicherheitswesten tragen. Kichernde Kinder in den weißen Kitteln der staatlichen Schulen sind auf dem Weg zum Unterricht. Eine teure Boutique hat den Bürgersteig vor dem Geschäft mit einer improvisierten Sperre blockiert, sodass die Fußgänger auf die Fahrbahn ausweichen müssen, wo sie Gefahr laufen, unter die Räder zu geraten: Wildwestmethoden. Trotzdem herrscht gute Stimmung: Freundliche Blicke, lächelnde Leute, es liegt keine Aggression in der Luft, gehupt wird weniger als in Berlin. Aber plötzlich geht nichts mehr: Die Garde von Präsident José Eduardo dos Santos hat die Straße gesperrt, Limousinen mit verdunkelten Scheiben rauschen vorüber, zwei Jeeps vorne, zwei hinten, auf der Ladefläche mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten in Tarnuniform, ein Krankenwagen folgt. Soldaten am Straßenrand wachen mit Panzerfäusten: ein martialischer Auftritt. Dennoch schimpft ein Angolaner: Die Reichen würden die Petrodollars stehlen, die Armen, die für die Unabhängigkeit gekämpft haben, lebten im Dreck. Die Tochter des seit rund 30 Jahren regierenden Präsidenten, Afrikas erste Milliardärin, sei die größte Diebin von allen. Die regierende MPLA verteile alle Pfründe an Parteimitglieder. Die Universität sei zu teuer, der Preis für die Fahrt im Sammeltaxi solle von 100 auf 300 Kwanzas steigen. Kritiker würden von der Geheimpolizei abgeholt. Nichts funktioniert hier, aber das schon, meint er. Es stimmt: Angola ist eines der korruptesten Länder der Welt und viele Millionen Petrodollar verschwinden in privaten Taschen, statt der Bevölkerung zugutezukommen, doch

    "Es ist eine Zeit des Übergangs","

    sagt der Maler, Fotograf und Filmemacher Antonio Olé.

    ""Wir müssen Geduld haben. Aber es passiert etwas. Also lass uns schauen, wie weit wir damit kommen, ein neues Angola aufzubauen. Dafür arbeite ich."

    Der 61-jährige Antonio Olé hat seit 20 Jahren ein Atelier im "Teatro Elinga", einem Kulturzentrum in der Altstadt von Luanda. Das Gewitter ist da, der Regen rauscht - mit einer Gewalt, dass man den Einsturz des altehrwürdigen "Teatro Elinga" fürchtet. Der Altbau mit seiner bröckelnden Fassade ist vom Abriss bedroht. Hier im Zentrum Luandas, nur 100 Meter von der frisch asphaltierten Strandpromenade am Atlantik entfernt, sind Grundstücke viele Millionen US-Dollar wert.

    "Angola hat das System gewechselt, vom Sozialismus oder Marxismus-Leninismus – von dem ich nie geglaubt habe, dass es funktioniert. Das war sehr kafkaesk, dieses System für uns zu adaptieren. Dann ging es plötzlich in die andere Richtung. Der Staub hat sich noch nicht gelegt. Viele große Probleme müssen noch gelöst werden, damit jeder vernünftig leben kann."

    Statt des wilden Kapitalismus müssten soziale Belange Vorrang haben, um das System auszubalancieren, meint Olé.

    "Alle wollen in die große Hauptstadt. Das ist ein Phänomen in vielen afrikanischen Ländern. Dazu braucht es keine Kriege: Alle Chancen sind in der Hauptstadt, das Mobiltelefon klingelt nur in der Metropole. Das ist ein Fehler. Wir müssen dezentralisieren, kleine Industrien aufbauen, die Nahrungsmittelproduktion ankurbeln und die Gesundheitsversorgung. Damit sich die Leute dort wohl fühlen, wo es keine Luftverschmutzung gibt und nicht so viele Autos wie hier in Luanda, wo die Diktatur des Automobils herrscht."

    Mit dem Auto dauert es eine halbe Stunde in die Zukunft: Nach Luanda Sul im Süden, "unser Luanda", wie Miguel Hurst stolz sagt.

    "Wir sind im Housing-Projekt Kilamba Kiaxi, wo der Staat eine Satellitenstadt gebaut hat, wie wir sehen. 1700 Hochhäuser, 60 Schulen, 40 Kindergärten, 6, 7, 8, 9 große Sportplätze. Und – ja, schon aufgebaut, hier steht es, ein bisschen leer. Wenige Leute haben wir hier bis jetzt, eine leere Stadt, aber sie wird bevölkert, immer mehr."

    Eine in nur vier Jahren aus dem Boden gestampfte Trabantenstadt mit 250.000 Wohnungen, von denen schätzungsweise 50 bewohnt sind. Eine gespenstische Szenerie: Eine gigantische Geisterstadt mit gepflegten Rasenflächen, Blumenbeeten und Parkplätzen, auf denen schon das erste Gras sprießt.

    "Erstens haben die meisten Angolaner kein Geld, um sich hier ein Haus zu kaufen. Da gibt es so einen Spezialkredit vom Staat, aber mehr für die Leute, die mit und für den Staat arbeiten. Das muss total geändert werden, sonst hast du eine Gespensterstadt."

    120.000 Dollar kostet hier eine Vierzimmerwohnung, unbezahlbar für die große Mehrheit der Bevölkerung. Doch der Angolaner Miguel Hurst, der nach der Flucht seiner Eltern vor dem Bürgerkrieg unter anderem in der DDR aufgewachsen ist, glaubt dennoch, dass "Luanda Sul" zum Leben erwachen wird, eine neue Hauptstadt für die Zukunft Angolas.

    "Weil Luanda total vollgestopft ist. Wir sind sechs Millionen in einer Stadt für 500.000, das geht doch gar nicht. Und die Leute sollen besser leben, die Elendsviertel soll man abschaffen. Und so schaffst du es. - Schneller wird‘s nicht gehen. Wir haben noch Korruption, und ich glaube, die steigt sogar, aber OK, das ist doch normal in der Welt und in jeder Gesellschaft. Wir sind hier nicht anders als die anderen Menschen der Welt. Besser ging‘s nicht. Aber es wird noch lange dauern, bis wir eine normale Stadt haben, wo du aus dem Haus gehst und in einen Riesenpark oder in die U-Bahn oder in die S-Bahn oder irgendwas, ne."