"Hier war ja so Gentrifizierungshölle, zwei Etagen unten, eine oben irgendwie. Das war immer den ganzen Tag über. Schlafen war ja morgens um sieben schon vorbei, und dann ballert das oben und unten die ganze Zeit."
Jo Zimmermann alias Schlammpeitziger berichtet von den Umständen unter denen sein neues Album entstanden ist. Mehrere Monate lang belagerten Bauarbeiter sein Haus. Presslufthammer und Bohrmaschinen bestimmten von morgens bis abends die akustische Szenerie. Eine zermürbende Situation.
"Es wurde dann so eine selbstbeglückende Version dieser Geschichte. Das war klar, dass das keine harte Platte wird sondern, dass die einen Ausgleich schaffen muss zu dem, was um mich herum ging."
Leichtfüßig und verspielt kommt "What's Fruit" daher. Jo Zimmermann interessiert sich nicht für komplexe Sounds. Seine Musik muss einfach sein. Sie geht direkt ins Ohr. Auf alten Alben benutzte er noch ein Casio-Keyboard. Damit lies es sich intuitiv arbeiten und schneller zum Ziel kommen. Zimmermann ist ein Pragmatiker. Bis heute experimentiert er mit musikalischen Readymades, sogenannten Preset-Sounds, vorgefertigten Klängen, die auf Musikgeräten bereits abgespeichert sind. Aus ihnen komponiert er eine Elektronik zwischen seltsamen Disco-Miniaturen und psychedelischen Grooves. Sein analoges Equipment hat er mittlerweile gegen ein Tablet ausgetauscht.
"Das ist einfach ein irrsinniges Ding: Da kann man super schön mit spielen, sich selbst etwas basteln. Ein extrem wichtiger Aspekt, die Sachen müssen schnell und einfach für mich funktionieren. Deswegen bin ich in so einen Synthie nie richtig reingekommen, weil einfach zu viele Parameter drin sind, die ich einfach nicht raffe, was die da wirklich miteinander machen etc. Vieles passiert dann einfach indem man dran rumdreht..."
Das könnte man als naiv bezeichnen. In dieser Haltung manifestiert sich aber auch eine kindliche Experimentierfreude – ein spielerischer Umgang mit Sounds. Musik wird bei Schlammpeitziger nach einem Baukastensystem zusammengefügt. Geräusche, Rhythmen und Melodien werden miteinander kombiniert, variiert und immer wieder in neuen Arrangements erprobt bis der Song fertig ist. Ausprobieren geht über studieren, lautet Jo Zimmermanns Motto, der bereits seit 1993 Musik macht. In diesem Jahr veröffentlicht er sein Debütalbum "Erdrauchharnschleck"
Bis heute konstruiert Jo Zimmermann gerne Wortungetüme. Seine Alben und Tracks hören auf Titel wie "Spacerockmountainrutschquartier", "Augenwischwaldmoppgeflöte" oder "Dauerdachdeck Dritter". Namen, die an dadaistische Poesie erinnern, die Fantasie anregen und womöglich kleine Geschichten erzählen. Es sind Zungenbrecher, über die man stolpert, wenn man versucht, sie zu lesen. Zimmermann bereiten diese Wortkonstruktionen Spaß. Im Interview kann er sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie stellen aber auch den Versuch dar, ein sprachliches Äquivalent für die Stimmungen seiner Tracks zu finden.
"Wonach klingt das für dich? Wo könnte das ungefähr hingehen? Was kann das sein? Manchmal hast du erst ein Wort oder das ist ja so ein komplett langer Titel, die man sich dann auch schon so ein bisschen zusammenfummelt, aber irgendwie bis zu dem Punkt, wo ich denke, genau, das klingt einfach so und so nach dem Namen. Dann ist der Name da, und dann ist das für mich ziemlich schlüssig. Was dann für andere so Stolper sind – das Kind braucht einfach einen Namen und den kriegt es dann."
Ein absurder Humor prägt die Produktionen von Schlammpeitziger, der nicht nur in den Titeln zu spüren ist. Auch die Musik entbehrt nicht einer gewissen Komik. Manche Klänge laden zum Schmunzeln ein. Man hört seltsame Geräusche, die auch für Slapstick-Einlagen in Zeichentrickfilmen eingesetzt werden könnten. Doch der Schein trügt. Jo Zimmermann ist nicht nur ein guter Unterhalter, sondern auch ein Romantiker. Oftmals schleichen sich Mollfarben in seine spaßigen Stücke, die der Musik einen traurigen und sehnsuchtsvollen Charakter geben. Letztendlich ist es diese Ambivalenz, die Schlammpeitziger so einzigartig macht.
"Ich glaub, Sehnsucht ist genau der richtige Punkt. Das ist halt das, was da so extrem durchschwingt. Das finde ich ja oft so schizophren an den Stücken, dass die etwas unglaublich Lustiges in sich haben, aber auf der anderen Seite wird das wieder gebrochen. Es hat schon so irgendwas, wo man sich so ein bisschen drin suhlen oder schwelgen kann, aber es wird ja Gott sei dank nie zu intensiv für mich selbst."