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Schlangestehen bei Nacht

Doch die Probleme der Asylsuchenden in Griechenland beginnen lange vor dem eigentlichen Asylverfahren. Wer bei der Asylbehörde vorsprechen und seinen Antrag einreichen will, muss am Samstag vor Morgengrauen kommen, wenn die Termine der nächsten Woche vergeben werden. Und so warten jede Woche Tausende Freitagnacht in einem Athener Industriegebiet in der Schlange. Bei Unruhen offenbar im Zuge von Schlagstockeinsätzen der Polizei sind in den vergangenen Wochen zwei Wartende verunglückt, einer wurde schwer verletzt.

Von Alkyone Karamanolis |
    So hatte sich Samir Europa nicht vorgestellt. Es ist 23 Uhr, er steht in der Schlange, zum neunten Mal. Seine Hoffnung: Dass er am Morgen eine Terminzusage erhält, um seinen Asylantrag einzureichen. Schließlich ist Samir, der seinen wirklichen Namen lieber nicht nennen möchte, schon seit vier Monaten in Griechenland. Ohne abgestempelten Antrag - also illegal und obdachlos.

    "Jedes Mal warte ich bis Samstag Morgen. Und jedes Mal werden meine Hoffnungen enttäuscht. Wenn ich am Anfang der Schlange stehe, wählen die Polizisten Leute vom Ende aus. Wenn ich am Ende stehe, holen sie die Leute, die vorne warten. Das scheint mein Schicksal zu sein. "

    Die Asylbehörde befindet sich in einer verkommenen Industriegegend. Die Straßen sind nicht befestigt, vom starken Regen der letzten Stunden sind große Pfützen übrig geblieben. Es gibt keine Sitzmöglichkeit, die Wartenden lehnen an einer Mauer.

    Manche tragen eine Decke um die Schultern, andere versuchen, sich mit Planen und Plastiktüten gegen die feuchte Athener Kälte zu schützen. Etwa zwei- bis dreitausend Menschen sind heute Nacht gekommen. Eine entwürdigende Prozedur, findet ein junger Mann aus Sri Lanka:

    "Die Menschenrechte werden hier nicht gewahrt. Wir sind keine Tiere! Wir denken, und wir fühlen. Wären wir Tiere, würde ich das Verhalten der Polizei verstehen. Aber wir haben Gefühle - genauso wie sie! "

    Nur etwa 300 Menschen werden am kommenden Morgen einen Termin erhalten. Am Ende der Straße haben Polizisten eine Absperrung errichtet. Dahinter warten vor allem Pakistaner und Bangladeschis, die die schlechtesten Chancen haben. Vorzug erhalten Frauen und Kinder, Kranke sowie Wartende aus afrikanischen Ländern, aus dem Irak und Afghanistan. Doch diese Auslese verstößt gegen das Flüchtlingsrecht, beklagt der griechische Ombudsmann Andreas Takis in einem kürzlich veröffentlichten Bericht.

    Ebenso sieht es der Griechenland-Experte Karl Kopp von Pro Asyl:

    "Das ist eigentlich unbeschreiblich. Hier sind zwei-, dreitausend Menschen und warten, dass ein paar wenige, relativ willkürlich ausgewählt, vielleicht Zugang zu diesem Gebäude nächste Woche kriegen, dass sie dann einen Asylantrag stellen zu können. In der Zwischenzeit drohen einigen von ihnen, wenn sie von der Polizei kontrolliert werden, Inhaftierung, ein iranischer Asylsuchender war monatelang inhaftiert, er hat mehrfach versucht, hier einen Asylantrag zu stellen, das wurde verweigert, das ist eine Norm. "

    Griechenland verweist darauf, dass es mit dem Zustrom der Flüchtlinge überfordert ist. Vor einigen Monaten hat die Athener Asylbehörde wegen Überlastung, wie es hieß, die Annahme von Anträgen für mehrere Wochen ganz ausgesetzt. Ein Polizist, der anonym bleiben will, erklärt die Taktik des nächtlichen Schlangestehens hingegen als Methode der Abschreckung.

    Die Wartenden verbrennen Müll, um sich zu wärmen - der Rauch nimmt einem den Atem. Andere urinieren am Straßenrand. Und fast alle haben die Nacht im Stehen verbracht.

    "Ich bin unglaublich müde. Es ist kalt, ich war die ganze Nacht auf den Beinen. Verzeihung, dass ich das sage, aber diese Situation ist sehr, sehr schwierig. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich in solch einer Lage befinde - und es ist eine sehr harte Erfahrung!"

    Gegen halb sechs Uhr morgens kommt Bewegung in die Menge. Die Polizisten zählen und wählen einige Wartende aus, die offenbar einen Termin erhalten sollen. Nach welchen Kriterien das geschieht, ist den Betroffenen selbst nicht klar.

    "Sie haben mich gesehen und ausgesucht. Ich denke, es hat damit zu tun, wie man sich verhält. Manche hier sind ungeduldig und drängeln. Das ist nicht die richtige Art. Aber wenn man sich ruhig verhält, erkennen die Polizisten, dass man ein Gentleman ist - und lassen einen vor."

    Ein Mann hat sich in die Gruppe eingeschlichen und wird rausgeworfen - er sei kein Iraker, befindet der Polizist und verjagt ihn. Die übrigen werden in kleinen Gruppen in Richtung Behörde abgeführt - das Bild erinnert an einen Gefangenenzug. Eine der Frauen lächelt den Polizisten dankbar zu.

    Als es hell wird und der nächste Tag kommt, werden Autoreifen und Müll sichtbar, sowie der Hof einer improvisierten Romasiedlung. Zwei Taubstumme halten ihre Anträge hoch - 2008 ausgefüllt und noch nicht eingereicht. Nächsten Samstag werden sie wiederkommen. Und mit ihnen gut 2000 Menschen, die auch heute wieder kein Glück hatten.
    Schlangestehen bei Nacht: Griechenlands schikanöse Asylpolitik
    Nach welchen Kriterien die Polizei Asylsuchende auswählt, ist unklar. (Alkyone Karamanolis)