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Schlau werden in der Schlau-Schule

Der Name "Münchener SchlaU-Projekt" steht für "Schulanaloger Unterricht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge". Die salopp als Schlau-Schule bezeichnete Maßnahme bereitet junge Flüchtlinge, die in der Regel ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind, auf den einfachen Hauptschulabschluss beziehungsweise den qualifizierenden Hauptschulabschluss vor. Und das mit Erfolg.

Von Judith Kösters |
    Zeugnistag an der Schlau-Schule. Auf diesen Moment hat Florence Kandji die letzten zwölf Monate lang hingearbeitet.

    "Dann Florence Kandji, ein Sonderapplaus für den Durchschnitt von 1,4 bitte."

    Obwohl sie die Noten aus den Prüfungen für den qualifizierenden Hauptschulabschluss schon seit zwei Wochen kennt, juchzt Florence immer noch vor Freude, wenn der Schulleiter ihr die einzelnen Ergebnisse vorliest:

    "Also, in Ethik hast du eine Eins, in Kunst hast du auch eine Eins, Deutsch war wahnsinnig schwer, da hast du eine Zwei, das ist sagenhaft, in Mathe, das war in ganz Bayern unglaublich schwer, da hast du eine sagenhafte Zwei gemacht, doch doch, doch, und das ist ein Gesamtnotendurchschnitt von 1,4."

    Florence ist 18 Jahre alt, geboren im Kongo, aufgewachsen in Gambia. Zuletzt lebte sie bei ihrer Großmutter. Als die starb, erzählt Florence, wollten ihre Tante und ihr Onkel sie beschneiden lassen. Sie floh und gelangte schließlich vor knapp eineinhalb Jahren nach Deutschland. Von den Monaten auf der Flucht mag sie bis heute nicht erzählen. Innerhalb weniger Monate lernte Florence Deutsch und begann dann, sich auf den qualifizierenden Hauptschulabschluss ("Quali") vorzubereiten. Nicht selten saß sie bis elf Uhr abends über ihren Lernsachen. Dieser Ehrgeiz ist nicht untypisch, sagt Martina Unger, die Sozialpädagogin der Schule:

    "Ich glaub schon, dass unsere Schüler besonders motiviert sind. Deshalb macht es auch so Spaß, hier zu arbeiten, also die wissen in der Regel, sie haben nicht sehr viele Chancen hier in Deutschland. Und sie sind ja auch mit der Hoffnung auf eine neue gute Zukunft hierhergekommen. Und deshalb setzen sie sich ein."

    Florence blättert in ihren Mathe-Unterlagen: Geometrie fiel ihr zwar schon immer leicht, sagt sie, aber die deutschen Begriffe waren am Anfang schwierig. Ihre Muttersprache ist Wolof, ihr Schulunterricht in Afrika lief auf Französisch.

    "Gleichseitiges Dreieck - Triangle équilaterale, gleichschenkliges Dreieck, äh, gleichschenklig, also, isocelle, ach so, ja, triangle isocelle."

    Viele Jugendliche haben auf der Flucht Traumatisches erlebt, einige haben bei der Überfahrt gar ihre Familien verloren. Schon allein deshalb schlafen viele der Jugendlichen schlecht und können sich tagsüber in der Schule kaum konzentrieren. Hinzu kommt die dauernde Angst vor der Abschiebung:

    "Du bist hier alleine, du bist ohne Eltern hier, und das ist auch schwierig manchmal und wenn du Probleme hast mit Ausländerbehörde, und jeden Tag, wenn du aufstehst, du sagst: Wenn ich meinen Briefkasten aufmache, ich denke immer, ob ich etwas von Ausländerbehörde habe, und das ist auch schwierig, wenn du lernen möchtest, und solche Probleme denken, das kann nicht funktionieren."

    Florence hat es trotzdem geschafft. Für sie geht es weiter an die Realschule. Für die Sozialpädagogin Martina Unger ist das Sommerfest mit der Zeugnisvergabe jedes Mal ein Triumph - und zugleich ein schwieriger Moment. Ob sie will oder nicht: Für viele Jugendliche übernimmt sie eine Art Mutterrolle. Manchmal macht sie sich Gedanken darüber, wo Florence und ihre Mitschüler ohne die Schlau-Schule gelandet wären: Wahrscheinlich in irgendeiner Berufsschulmaßnahme, glaubt sie.

    "Möglicherweise wären sie da untergegangen und hätten keinen Abschluss und hätten vielleicht noch irgendwie paar Parkrunden in irgendeiner Maßnahme gedreht und wären dann vielleicht irgendwo als Reinigungskraft oder Kebabverkäufer, wobei das natürlich auch nicht schlecht ist, aber die haben einfach auch noch andere Talente, und wenn man die fördert, sieht man, was rauskommt."