Sanft wiegt sich Charnia wie ein riesiger Farnwedel in der Strömung. Wo sie wächst, dringt Licht nur noch als ferner, bläulicher Schimmer ins Meerwasser. Charnia braucht die Sonne nicht: Nahrung und Sauerstoff nimmt sie über ihren zarten Körper auf, der mit einer Scheibe fest im Boden verankert ist. Charnia hat weder Mund, noch Darm, noch Kiemen - und trotzdem ist sie überall, hat als Kosmopolit die Ozeane erobert. Vor mehr als 560 Millionen Jahren teilte sich Charnia die Welt mit anderen, ebenso rätselhaften, kopflosen Wesen, von denen die meisten anscheinend friedlich an Ort und Stelle verharrten. Doch schon bald sollte sich das ändern. Denn die Evolution hatte das Gehirn "erfunden":
"Die Bausteine des Nervensystems reichen sehr weit in die Geschichte der Evolution zurück. Sie sind vielleicht schon Milliarden Jahre älter als das erste Nervensystem und erst recht das erste Gehirn: Viele der Moleküle, die später die Abläufe im Gehirn steuern sollten, hatten sich schon lange zuvor entwickelt."
Simon Conway-Morris von der University of Cambridge. Die Moleküle stammen aus der Zeit, als die Erde allein den Mikroben gehörte. Auch sie reagieren auf Umgebungsreize. Um Nahrungsquellen oder Giftstoffe wahrzunehmen, setzen sie Empfangsmoleküle in der Zellwand ein. Werden diese Rezeptoren gereizt, erzeugen sie chemische Signale - und die Mikrobe reagiert. Solange Lebewesen mikroskopisch klein sind, reicht das. Aber schon beim Wurm funktioniert das nicht mehr: Er braucht eine Instanz, die Informationen aus seinen Körperregionen zusammenführt und in Aktion umsetzt. Also bediente sich die Evolution bei ihrem Bausatz aus der Mikroben-Welt – und kreierte daraus etwas Neues:
"Es ist fast wie in einer Fabrik. Es liegen alle möglichen Bauteile herum und es geht darum, für eine biologische Neuerung die beste Kombination zusammenzustellen - und Heureka: Wir haben ein Nervensystem."
Am Ursprung aller Lebewesen mit Kopf stand vor etwa 600 Millionen Jahren Ur-Bilateria, ein hypothetisches Fossil, das nie gefunden wurde. Die Forscher stellen es sich als einen Wurm vor, mit einer Verdichtung von Nervenzellen im vorderen Bereich. Die soll ihm dabei geholfen haben, sich gezielt kriechend durch seine Umwelt zu bewegen. Nach und nach wurde dieses Bündel aus Nervenzellen leistungsfähiger: Komplexere Tiere, deren Zusammenleben auf dem Prinzip vom Fressen und Gefressenwerden beruht, brauchen effiziente Gehirne. Für die fand die Evolution gleich mehrere "Bauprinzipien":
"Wenn man will, kann man sagen, also die Tintenfische, die denken um den Magen herum, die Insekten, die denken mit dem Magen und wir können vielleicht noch sagen, wir denken an den Magen."
Matthias Glaubrecht vom Berliner Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.
"Bei einem Tintenfisch ist das Gehirn, das zeichnet sich dadurch aus, dass es ringförmig aufgebaut ist, und da liegen zwei große, glatte wie Billardkugeln aussehende, durch eine breite Brücke verbundene Nervenzentren um den Schlund herum."
Das Gehirn der Wirbeltiere entwickelte sich aus dem Rückenmark heraus. Es gliedert sich heute in Vorderhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Das Vorderhirn bewertet Information, das Kleinhirn koordiniert Bewegung, der Hirnstamm steuert Herzschlag und Atmung. Glaubrecht:
"Wenn Sie das Gehirn eines Tintenfisches untersuchen, dann sieht das ja komplett anders aus als ein Wirbeltiergehirn, aber die Verarbeitung der Informationen erfolgt trotz der unterschiedlichen Bauten ganz ähnlich. Sie können auch Autos ganz unterschiedlich bauen, und so ähnlich baut die Natur eben auch ihre Tiere sozusagen ganz unterschiedlich auf."
Die Tintenfische sind die intelligentesten aller Wirbellosen, halten anscheinend mit einem Hund mit. Ein Wirbelloser mit Köpfchen, das hätten Biologen vor wenigen Jahren noch abgelehnt. Aber das Bild ändert sich, meint Simon Conway-Morris:
"Was wir als Bewusstseinswahrnehmung bezeichnen, hat sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehrfach unabhängig voneinander entwickelt. Etwa bei uns und bei den intelligentesten der Vögel wie Krähen oder Papageien, deren Hirnstruktur sich stark von der unseren als Säugetiere unterscheidet. Und doch ist die kognitive Welt der intelligenten Vögel und der intelligenten Säugetiere sehr ähnlich."
Für Conway-Morris ist es keine Frage, dass sich nicht nur das Gehirn mehrfach entwickelt hat, sondern auch die Intelligenz: beim Tintenfisch ebenso wie beim Delfin, bei der Krähe wie bei den Bienen – und beim Menschen.
"Die Bausteine des Nervensystems reichen sehr weit in die Geschichte der Evolution zurück. Sie sind vielleicht schon Milliarden Jahre älter als das erste Nervensystem und erst recht das erste Gehirn: Viele der Moleküle, die später die Abläufe im Gehirn steuern sollten, hatten sich schon lange zuvor entwickelt."
Simon Conway-Morris von der University of Cambridge. Die Moleküle stammen aus der Zeit, als die Erde allein den Mikroben gehörte. Auch sie reagieren auf Umgebungsreize. Um Nahrungsquellen oder Giftstoffe wahrzunehmen, setzen sie Empfangsmoleküle in der Zellwand ein. Werden diese Rezeptoren gereizt, erzeugen sie chemische Signale - und die Mikrobe reagiert. Solange Lebewesen mikroskopisch klein sind, reicht das. Aber schon beim Wurm funktioniert das nicht mehr: Er braucht eine Instanz, die Informationen aus seinen Körperregionen zusammenführt und in Aktion umsetzt. Also bediente sich die Evolution bei ihrem Bausatz aus der Mikroben-Welt – und kreierte daraus etwas Neues:
"Es ist fast wie in einer Fabrik. Es liegen alle möglichen Bauteile herum und es geht darum, für eine biologische Neuerung die beste Kombination zusammenzustellen - und Heureka: Wir haben ein Nervensystem."
Am Ursprung aller Lebewesen mit Kopf stand vor etwa 600 Millionen Jahren Ur-Bilateria, ein hypothetisches Fossil, das nie gefunden wurde. Die Forscher stellen es sich als einen Wurm vor, mit einer Verdichtung von Nervenzellen im vorderen Bereich. Die soll ihm dabei geholfen haben, sich gezielt kriechend durch seine Umwelt zu bewegen. Nach und nach wurde dieses Bündel aus Nervenzellen leistungsfähiger: Komplexere Tiere, deren Zusammenleben auf dem Prinzip vom Fressen und Gefressenwerden beruht, brauchen effiziente Gehirne. Für die fand die Evolution gleich mehrere "Bauprinzipien":
"Wenn man will, kann man sagen, also die Tintenfische, die denken um den Magen herum, die Insekten, die denken mit dem Magen und wir können vielleicht noch sagen, wir denken an den Magen."
Matthias Glaubrecht vom Berliner Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.
"Bei einem Tintenfisch ist das Gehirn, das zeichnet sich dadurch aus, dass es ringförmig aufgebaut ist, und da liegen zwei große, glatte wie Billardkugeln aussehende, durch eine breite Brücke verbundene Nervenzentren um den Schlund herum."
Das Gehirn der Wirbeltiere entwickelte sich aus dem Rückenmark heraus. Es gliedert sich heute in Vorderhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Das Vorderhirn bewertet Information, das Kleinhirn koordiniert Bewegung, der Hirnstamm steuert Herzschlag und Atmung. Glaubrecht:
"Wenn Sie das Gehirn eines Tintenfisches untersuchen, dann sieht das ja komplett anders aus als ein Wirbeltiergehirn, aber die Verarbeitung der Informationen erfolgt trotz der unterschiedlichen Bauten ganz ähnlich. Sie können auch Autos ganz unterschiedlich bauen, und so ähnlich baut die Natur eben auch ihre Tiere sozusagen ganz unterschiedlich auf."
Die Tintenfische sind die intelligentesten aller Wirbellosen, halten anscheinend mit einem Hund mit. Ein Wirbelloser mit Köpfchen, das hätten Biologen vor wenigen Jahren noch abgelehnt. Aber das Bild ändert sich, meint Simon Conway-Morris:
"Was wir als Bewusstseinswahrnehmung bezeichnen, hat sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehrfach unabhängig voneinander entwickelt. Etwa bei uns und bei den intelligentesten der Vögel wie Krähen oder Papageien, deren Hirnstruktur sich stark von der unseren als Säugetiere unterscheidet. Und doch ist die kognitive Welt der intelligenten Vögel und der intelligenten Säugetiere sehr ähnlich."
Für Conway-Morris ist es keine Frage, dass sich nicht nur das Gehirn mehrfach entwickelt hat, sondern auch die Intelligenz: beim Tintenfisch ebenso wie beim Delfin, bei der Krähe wie bei den Bienen – und beim Menschen.