Sandra Pfister: Schlecht in Mathe - typisch Mädchen? Schlecht in Lesen - typisch Junge? Solche Klischees scheinen weiterhin fest in unseren Köpfen verankert zu sein und eben auch in den Köpfen von Lehrern. Und zwar in fast allen PISA-Ländern, sagt eine neue PISA-Auswertung, die heute auf den Markt kam. Und dass die Leistungsunterschiede zunehmen zwischen Jungen und Mädchen in bestimmten Fächern, das liegt nicht daran, dass die Jungs ein Mathe-Gen hätten, das den Mädchen fehlt, sondern das liegt daran, dass sie selbst, ihre Familien und ihre Lehrer ihnen ganz subtil das Gefühl vermitteln, Mathe könnten Mädchen eben nicht so gut. Wie können wir das ändern? Das könne die Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland wissen, die an der Uni Hamburg lehrt und sich mit den Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen im Unterricht lange befasst hat. Frau Faulstich-Wieland, müssen wir denn zurück zum getrennten Unterricht?
Hannelore Faulstich-Wieland: Also da würde ich ja klar sagen, nein, weil nicht nur jetzt diese neuen PISA-Ergebnisse ja deutlich machen, dass das nicht der Weg sein kann, sondern auch alle empirischen Studien, die es zur Frage koedukativen oder getrennten Unterrichts gibt, kein eindeutiges Ergebnis erbringen. Also weder kann man sagen, getrennter Unterricht fördert Mädchen oder Jungen besser, noch kann man sagen, koedukativer Unterricht tut das, sondern das hängt immer sehr stark von den Umständen ab und natürlich von den Zielsetzungen. Und wenn die Zielsetzung sein soll, gemeinsames Lernen, gleiche Chancen für Frauen und Männer, gleiche Beteiligung an allen Bereichen, dann wäre meiner Meinung nach nur eine bessere Gestaltung das koedukativen Unterrichts der richtige Weg. Und damit schafft man beispielsweise bei getrenntem Physikunterricht die Situation, dass die Mädchen davon ausgehen, sie brauchen einen anderen Physikunterricht, oder die Jungen davon ausgehen, sie kriegen den besseren Physikunterricht. Also man bindet es an Geschlecht, was eigentlich Geschlechterstereotypen verstärkt, statt sie abzubauen.
Pfister: Und das ist ja genau das Problem im Unterricht, wie in dieser Studie herauskam. Geschlecht als soziale Konstruktion, das war immer das Schlagwort, was sie gerade wunderbar umschrieben haben. Sie haben mir im Vorgespräch erzählt, dass Studierende es aber häufig als gegeben hinnehmen, dass es diese Unterschiede gibt. Gibt es sie denn nicht auch wirklich?
Faulstich-Wieland: Sie gibt es natürlich in gewisser Weise, weil wenn wir empirische Studien angucken, dann haben wir es ja mit Mittelwerten in der Regel zu tun, und Mittelwerte können durchaus gruppenspezifisch und in dem Fall zwischen Mädchen und Jungen auch durchaus signifikant unterschiedlich sein. Das Problem ist dann, davon auszugehen, dass alle Mädchen so sind oder alle Jungen so sind, weil das ist eine Vereinheitlichung, die auf die Individuen überhaupt nicht zutrifft. Und ich glaube, was wir vielleicht auch ein bisschen in die falsche Richtung gehend erreicht haben durch die Forderung, Geschlecht zu berücksichtigen, ist das Schauen auf Geschlechterdifferenzen. Und davon müssen wir insofern wieder runterkommen, als es darum geht zu gucken auf die Herstellung dieser Differenzen und wer daran wie beteiligt ist.
Pfister: Nicht unwesentlich beteiligt ist wahrscheinlich das Elternhaus, aber - wie die OECD uns jetzt ja auch gerade ins Hausaufgabenbuch schreibt - es sind eben auch die Lehrer. Werden Lehramtstudierende denn überhaupt dafür sensibilisiert, dass es da eine ganz subtile Einflussnahme gibt?
Faulstich-Wieland: Das kann man auch nicht einheitlich und eindeutig sagen. Also wir an der Uni Hamburg haben sehr viele Veranstaltungen, die sich auch mit Geschlechterfragen befassen, aber das muss nicht unbedingt die Regel in allen Lehramtsstudiengängen sein. Ich glaube, es gibt da ein Nord-Süd-Gefälle, kann man so sagen, und es hängt natürlich auch immer davon ab, wer diese Lehre macht, wie weit sich auch die Hochschullehrenden mit dem Thema befasst haben oder inwieweit für die das nicht auch ein uninteressantes oder irrelevantes Thema ist. Also festgeschrieben in den Studiengängen ist es in der Regel nicht als explizites Thema, aber in vielen Seminaren wird es angesprochen. Und häufig ist es auch Prüfungsthema. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Pfister: Schließen wir den Kreis und kommen wir auf das zurück, womit wir angefangen haben, nämlich auf die Einschätzung des koedukativen Unterrichtes. Wenn das nicht die Lösung ist, die Kinder beim Unterricht zu trennen nach Geschlecht, was ist es dann?
Faulstich-Wieland: Na ja, um einen koedukativen Unterricht zu gestalten, denke ich, bedarf es einmal schon Gender-Kompetenz, also schon das Wissen darum, was für Geschlechterbilder sind vorherrschend in unserer Gesellschaft, welche habe ich selber, um sensibel dafür zu werden. Und dann heißt das, darauf zu achten, dass ich nicht Einengungen vornehme anhand dieser Geschlechterbilder, also Einengungen beispielsweise, die sagen, der Großteil der Mädchen ist nicht naturwissenschaftlich interessiert und dann übersehe, wie viel interessierte Mädchen ich in einer Klasse habe, oder Jungen haben kein Interesse am Lesen,, und dabei übersehe, wie viel Jungen sehr wohl viel lesen. Sensibel zu werden für solche Aspekte und dann versuchen, auf alle Kinder jeweils einzugehen, also alle im Blick zu haben und nicht nur gruppenspezifisch, weil ich dann sehr viele übersehe.
Pfister: Das ist das Zauberwort "Individualisierter Unterricht".
Faulstich-Wieland: Ja, genau.
Pfister: An dem wir alle noch lange arbeiten müssen.
Faulstich-Wieland: Ja, aber als Zielsetzung, denke ich, ist es richtig, und das Bemühen dahin geht ja auch in Bezug auf andere Unterrichtsentwicklungen, also methodische-didaktische Möglichkeiten zu schaffen, geht ja in die Richtung.
Pfister: Also nicht so sehr aufs Geschlecht gucken, sondern eher aufs Individuum. Hannelore Faulstich-Wieland war das, Professorin für Erziehungswissenschaften von der Universität Hamburg. Vielen Dank!
Faulstich-Wieland: Ja, ich danke Ihnen!
Hannelore Faulstich-Wieland: Also da würde ich ja klar sagen, nein, weil nicht nur jetzt diese neuen PISA-Ergebnisse ja deutlich machen, dass das nicht der Weg sein kann, sondern auch alle empirischen Studien, die es zur Frage koedukativen oder getrennten Unterrichts gibt, kein eindeutiges Ergebnis erbringen. Also weder kann man sagen, getrennter Unterricht fördert Mädchen oder Jungen besser, noch kann man sagen, koedukativer Unterricht tut das, sondern das hängt immer sehr stark von den Umständen ab und natürlich von den Zielsetzungen. Und wenn die Zielsetzung sein soll, gemeinsames Lernen, gleiche Chancen für Frauen und Männer, gleiche Beteiligung an allen Bereichen, dann wäre meiner Meinung nach nur eine bessere Gestaltung das koedukativen Unterrichts der richtige Weg. Und damit schafft man beispielsweise bei getrenntem Physikunterricht die Situation, dass die Mädchen davon ausgehen, sie brauchen einen anderen Physikunterricht, oder die Jungen davon ausgehen, sie kriegen den besseren Physikunterricht. Also man bindet es an Geschlecht, was eigentlich Geschlechterstereotypen verstärkt, statt sie abzubauen.
Pfister: Und das ist ja genau das Problem im Unterricht, wie in dieser Studie herauskam. Geschlecht als soziale Konstruktion, das war immer das Schlagwort, was sie gerade wunderbar umschrieben haben. Sie haben mir im Vorgespräch erzählt, dass Studierende es aber häufig als gegeben hinnehmen, dass es diese Unterschiede gibt. Gibt es sie denn nicht auch wirklich?
Faulstich-Wieland: Sie gibt es natürlich in gewisser Weise, weil wenn wir empirische Studien angucken, dann haben wir es ja mit Mittelwerten in der Regel zu tun, und Mittelwerte können durchaus gruppenspezifisch und in dem Fall zwischen Mädchen und Jungen auch durchaus signifikant unterschiedlich sein. Das Problem ist dann, davon auszugehen, dass alle Mädchen so sind oder alle Jungen so sind, weil das ist eine Vereinheitlichung, die auf die Individuen überhaupt nicht zutrifft. Und ich glaube, was wir vielleicht auch ein bisschen in die falsche Richtung gehend erreicht haben durch die Forderung, Geschlecht zu berücksichtigen, ist das Schauen auf Geschlechterdifferenzen. Und davon müssen wir insofern wieder runterkommen, als es darum geht zu gucken auf die Herstellung dieser Differenzen und wer daran wie beteiligt ist.
Pfister: Nicht unwesentlich beteiligt ist wahrscheinlich das Elternhaus, aber - wie die OECD uns jetzt ja auch gerade ins Hausaufgabenbuch schreibt - es sind eben auch die Lehrer. Werden Lehramtstudierende denn überhaupt dafür sensibilisiert, dass es da eine ganz subtile Einflussnahme gibt?
Faulstich-Wieland: Das kann man auch nicht einheitlich und eindeutig sagen. Also wir an der Uni Hamburg haben sehr viele Veranstaltungen, die sich auch mit Geschlechterfragen befassen, aber das muss nicht unbedingt die Regel in allen Lehramtsstudiengängen sein. Ich glaube, es gibt da ein Nord-Süd-Gefälle, kann man so sagen, und es hängt natürlich auch immer davon ab, wer diese Lehre macht, wie weit sich auch die Hochschullehrenden mit dem Thema befasst haben oder inwieweit für die das nicht auch ein uninteressantes oder irrelevantes Thema ist. Also festgeschrieben in den Studiengängen ist es in der Regel nicht als explizites Thema, aber in vielen Seminaren wird es angesprochen. Und häufig ist es auch Prüfungsthema. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Pfister: Schließen wir den Kreis und kommen wir auf das zurück, womit wir angefangen haben, nämlich auf die Einschätzung des koedukativen Unterrichtes. Wenn das nicht die Lösung ist, die Kinder beim Unterricht zu trennen nach Geschlecht, was ist es dann?
Faulstich-Wieland: Na ja, um einen koedukativen Unterricht zu gestalten, denke ich, bedarf es einmal schon Gender-Kompetenz, also schon das Wissen darum, was für Geschlechterbilder sind vorherrschend in unserer Gesellschaft, welche habe ich selber, um sensibel dafür zu werden. Und dann heißt das, darauf zu achten, dass ich nicht Einengungen vornehme anhand dieser Geschlechterbilder, also Einengungen beispielsweise, die sagen, der Großteil der Mädchen ist nicht naturwissenschaftlich interessiert und dann übersehe, wie viel interessierte Mädchen ich in einer Klasse habe, oder Jungen haben kein Interesse am Lesen,, und dabei übersehe, wie viel Jungen sehr wohl viel lesen. Sensibel zu werden für solche Aspekte und dann versuchen, auf alle Kinder jeweils einzugehen, also alle im Blick zu haben und nicht nur gruppenspezifisch, weil ich dann sehr viele übersehe.
Pfister: Das ist das Zauberwort "Individualisierter Unterricht".
Faulstich-Wieland: Ja, genau.
Pfister: An dem wir alle noch lange arbeiten müssen.
Faulstich-Wieland: Ja, aber als Zielsetzung, denke ich, ist es richtig, und das Bemühen dahin geht ja auch in Bezug auf andere Unterrichtsentwicklungen, also methodische-didaktische Möglichkeiten zu schaffen, geht ja in die Richtung.
Pfister: Also nicht so sehr aufs Geschlecht gucken, sondern eher aufs Individuum. Hannelore Faulstich-Wieland war das, Professorin für Erziehungswissenschaften von der Universität Hamburg. Vielen Dank!
Faulstich-Wieland: Ja, ich danke Ihnen!