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Schlechte Noten für Hauptschüler

Angesichts der schlechten Leistungsergebnisse an Hauptschulen fordert die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Annegret Kramp-Karrenbauer, eine stärkere Frühförderung für leistungsschwache Schüler. Es werde ein "stärker praxis- und berufsorientierten Zugang" und eine "sehr individuelle Förderung" gebraucht, so Kramp-Karrenbauer. Bei einer kürzlich durchgeführten Überprüfung der Bildungsstandards hatte mindestens die Hälfte der Hauptschüler das vorgesehene Leistungsniveau nicht erreichen.

Annegret Kramp-Karrenbauer im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Gestern tagte die Kultusministerkonferenz und hatte mindestens ein heikles Thema auf dem Tisch, die Bildungsstandards nämlich und ihre Überprüfung. Vor gut drei Wochen war bekannt geworden, dass mindestens die Hälfte der Hauptschüler das vorgesehene Leistungsniveau nicht erreichen und die Kultusminister daher über eine Aussetzung der Bildungsstandards für die Hauptschüler nachdenken. Motto: Was nicht sein darf, das sollte zumindest nicht in die Statistik eingehen. Am Telefon ist jetzt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Annegret Kramp-Karrenbauer. Guten Tag, Frau Kramp-Karrenbauer!

    Annegret Kramp-Karrenbauer: Hallo, guten Tag!

    Biesler: Die Hauptschulen nehmen auch künftig in der Jahrgangsstufe 9 an den Bildungsstanderhebungen teil, das haben die Kultusminister gestern beschlossen. Die Bildungsstandards werden also nicht ausgesetzt. Warum denn jetzt doch nicht?

    Kramp-Karrenbauer: Die Bildungsstandards werden nicht ausgesetzt und sie werden auch nicht abgesenkt. Die Frage, die aufgetaucht war im Vorfeld, war die Frage, ob die Art und Weise, wie diese Testaufgaben formuliert sind, angelegt sind, ob das die Art und Weise ist, wie sie sich auch in der Erfahrungswelt, in der Unterrichtswelt von Hauptschülerinnen und Hauptschülern und der Schülerinnen und Schüler, die an einem solchen Bildungsgang teilnehmen, sich wiederfinden.

    Darüber ist diskutiert worden, aber die Kultusministerkonferenz hat gestern auch klar gesagt, die Standards an sich bleiben, wie sie sind, und wir wollen auch alle Schülerinnen und Schüler testen. Das Problem war, dass wir nur noch in wenigen Ländern eigentliche klassische Hauptschulen haben, dass wir in vielen Ländern Bildungsgänge, Schulen mit unterschiedlichen Bildungsgängen. Und deswegen mussten wir das Untersuchungsdesign an die Tatsache etwas anpassen.

    Biesler: Was wäre denn die Folge, wenn weiterhin 50 Prozent das Niveau nicht erreichen, in manchen Bundesländern sollen es ja sogar 70 Prozent gewesen sein?

    Kramp-Karrenbauer: Wir haben ja Kompetenzstandards festgelegt, und diese Kompetenzen oder Standards sind auch unterlegt mit praktischen Aufgaben. Insofern ist das natürlich zuerst einmal ein Hinweis darauf, dass, wenn so viele Schülerinnen und Schüler diese Kompetenzen nicht haben, dass man genau in dem Sinne in diesen Aufgabenstellungen auch in den Unterricht einbinden muss.

    Man muss natürlich auch sehen, dass das eine Population von Schülerinnen und Schülern ist, für die die gesamten Frühfördermaßnahmen, die nach PISA 2000 eingeleitet worden sind, noch nicht greifen. Und deswegen müssen wir, und auch darauf haben wir uns gestern verständigt, natürlich uns neben den ganzen Maßnahmen zur Frühförderung, die schon eingeleitet sind, auch überlegen, wie wir die Schülerinnen und Schüler, die jetzt schon in dem System drin sind, die vielleicht jetzt elf, zwölf, 13 Jahre alt sind, wie wir die noch gezielter, noch besser fördern können. Denn da liegt eine große Risikogruppe, das wissen wir, und um die müssen wir uns noch stärker als bisher kümmern.

    Biesler: Was gibt es denn da für Ideen, wie könnte man die besser fördern?

    Kramp-Karrenbauer: Also es gibt die unterschiedlichsten Ansätze, die in den Ländern auch unabhängig von den Schulformen gewählt werden. Wir wissen, dass diese Schüler einen stärker praxis- und berufsorientierten Zugang brauchen, dass sie eine sehr individuelle Förderung brauchen, dass es sich dabei zum Teil um Schülerinnen und Schüler handelt, die noch Sprachdefizite haben oder wo es auch massive soziale Defizite im persönlichen Umfeld gibt. Und deswegen ist dort sicherlich auch eine ganz enge Zusammenarbeit von Schule etwa mit Jugendhilfe, mit Sozialeinrichtungen auch notwendig.

    Biesler: Na ja, das sind ganz komplexe Problemfelder, weshalb ja auch vermehrt die Frage gestellt wird, ob denn die Hauptschule überhaupt noch ein tragfähiges Modell ist. Sie haben gerade schon gesagt, in vielen Bundesländern gibt es sie nicht mehr, in Ihrem Bundesland auch nicht. Sie wird durch die erweiterte Realschule ersetzt, die die Schüler dann immerhin später aufteilt auf die Zweige Haupt- und Realschule.

    Andere Länder haben Stadtteilschulen eingeführt oder sogenannte Mittelschulen. In keinem Bundesland jedenfalls ist die Hauptschule überhaupt noch die Hauptschule. So um die 15 Prozent besuchen nur noch die Hauptschule, früher waren das mal 70 Prozent. Und diese 15 Prozent gelten als nahezu verloren für den Arbeitsmarkt. Wäre es da nicht richtig, bundesweit konsequent umzubauen?

    Kramp-Karrenbauer: Also zum einen mit Blick auf das Saarland, wir haben 1996 die erweiterten Realschulen. Fakt ist, dass es unabhängig von der Frage, gibt es die eigene Hauptschule, die Gruppe der Hauptschülerinnen und Hauptschüler, die gibt es sozusagen in allen Schulsystemen, in allen Schulformen. Das ist auch genau die Gruppe, von der wir wissen, dass dort die Risikoschülerinnen und -schüler zu einem überproportionalen Teil mit enthalten sind und um die wir uns besonders kümmern müssen. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren vor einer Umwandlung auch von Schulstrukturen stehen, die aber vor allen Dingen auch der demografischen Entwicklung geschuldet sein wird, denn alle Länder stehen mehr oder weniger dringend vor der Frage, wie sie sozusagen die Bandbreite der Schulabschlüsse wohnortnah gewährleisten wollen. Und insofern wird sich da an der Schulstruktur was ändern.

    Die Frage, ob zurzeit Hauptschüler in einer eigenen Schulform oder in einer Schulform mit mehreren Bildungsgängen unterricht werden, die ist für mich wirklich zweitrangig. Für mich ist wichtig, dass die pädagogischen Ansätze für diese Schülerinnen und Schüler stimmen. Und da stellt sich die Problemlage in allen Bundesländern gleich, und die Ansätze gleichen sich auch in allen Bundesländern.

    Biesler: Mit dem Ende des Jahres endet auch Ihre Amtszeit. Was waren die wichtigsten Themen für Sie?

    Kramp-Karrenbauer: Am politisch heikelsten mit war sicherlich zu Beginn des Jahres die Diskussion um Lockerung der Stundenvorgaben bei G8, und was für mich mit am inhaltlich wichtigsten war, war der Beschluss in Saarbrücken, dass wir über die Fachprofile wirklich inhaltlich einheitliche Standards für die Lehrerbildung in Fachbereichen, in der Fachdidaktik gesetzt haben, die von allen Bundesländern akzeptiert worden sind, die jetzt auch im nächsten Jahr dann an die Hochschulen gebracht werden müssen.

    Das war vielleicht in der Öffentlichkeit weniger spektakulär, aber aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Fortschritt auch im Bildungssystem.