Schleim

Wir erinnern uns an die Missetaten des Grinchs: Im Dezember 2010 entführte der Grinch das Sandmännchen und machte mit dessen Schlafsand die Rentiere des Weihnachtsmanns arbeitsunfähig. Im Dezember 2011 organisierte der Grinch eine Reihe von Spam-Attacken gegen das Forum des Matheon-Adventskalenders. Und was hat der Grinch nun wieder angerichtet? Dem gemeinen Kerl ist es doch tatsächlich gelungen, dem Weihnachtsmann die Verantwortung für die Giftmüllentsorgung der Chemiefabrik aufzuhalsen!

Von Marijke Bodlaeder (Uni Utrecht) und Gerhard Woeginger (TU Eindhoven) |
    Wie konnte das passieren? Nun, wahrscheinlich hängt es mit den 30 kleingedruckten Absätzen im Anhang des Vertrages zusammen, den der Weihnachtsmann arglos (und ohne genaues Studium) mit dem Grinch abgeschlossen hat. Und unterschrieben ist nun einmal unterschrieben!

    Jeden Tag tropfen von 0:00 bis 23:55 Uhr bis zu 30 Hektoliter giftgrüner Chemieschleim aus den Rohren der Fabrik, giftgrün, wie die Gesichtsfarbe des Grinchs. Der Schleim wird in fünf großen Fässern aufgefangen, die am Anfang des ersten Tages leer sind. Wie viel Schleim dabei allerdings in welches Fass tropft, das kann der Weihnachtsmann nicht beeinflussen -- das verbietet ein eigener Paragraph im Vertrag. Fünf Minuten vor Mitternacht darf der Weihnachtsmann immer zwei der Fässer auswählen und ihren Inhalt abtransportieren und entsorgen lassen; die anderen drei Fässer darf er gar nicht anrühren -- auch dazu gibt es einen Paragraphen im Vertrag. Falls eines der Fässer überläuft, so muss der Weihnachtsmann eine hohe Strafzahlung an den Grinch leisten -- noch so ein Paragraph im Vertrag. Der Weihnachtsmann hat den Vertrag nun ganz genau durchgelesen (zu spät! zu spät!) und herausgefunden, dass er das Volumen V der fünf Fässer festlegen darf. Alle fünf Fässer müssen aber genau gleich groß sein -- ein weiterer Paragraph im Vertrag.

    Aufgabe:

    Wie lautet das kleinstmögliche Fassvolumen V, mit dem der Weihnachtsmann über Monate und Jahre hin ein Überlaufen aller fünf Fässer dauerhaft verhindern kann?

    01. 41 Hektoliter
    02. 43 Hektoliter
    03. 45 Hektoliter
    04.47 Hektoliter
    05. 49 Hektoliter
    06. 51 Hektoliter
    07. 53 Hektoliter
    08. 55 Hektoliter
    09. 57 Hektoliter
    10. 59 Hektoliter

    Antwort:

    Das kleinstmögliche Fassvolumen V, mit dem der Weihnachtsmann über Monate und Jahre hin ein Überlaufen aller fünf Fässer dauerhaft verhindern kann, beträgt 55 Hektoliter. Der Gewinner ist Martin Steinbach aus Merching.

    Wir wünschen allen Teilnehmern frohe Festtage!

    Lösung:

    Im ersten Teil unseres Beweises wollen wir zeigen, dass der Weihnachtsmann mit V=55 ein Überlaufen dauerhaft verhindern kann, falls er immer die beiden vollsten Fässer ausleert:
    Wir behaupten, dass dann jeden Tag um Mitternacht,nachdem der Weihnachtsmann seine zwei Fässer geleert hat, folgendes gilt:

    A: Der Gesamtinhalt aller Fässer ist höchstens 45 hl.

    Aussage A gilt ganz am Anfang, an Mitternacht m=0, wenn alle fünf Fässer leer sind.

    Wenn Aussage A an Mitternacht m-1 gilt, dann tropfen im Laufe des m-ten Tages noch höchstens 30 zusätzliche Hektoliter in die Fässer. Fünf Minuten vor Mitternacht m ist der Gesamtinhalt aller Fässer daher höchstens 75. Der Weihnachtsmann leert die beiden vollsten Fässer, und zur Mitternacht m verbleiben höchstens(3/5) ∙ 75=45 hl in den Fässern; damit ist Aussage A bewiesen.

    Wir haben gerade gezeigt, dass fünf Minuten vor Mitternacht m der Gesamtinhalt aller Fässer höchstens 75 beträgt. Daher beträgt zu diesem Zeitpunkt der Inhalt des drittvollsten Fasses höchstens 25. Um Mitternacht m wird dieses drittvollste Fass dann zum vollsten Fass, und im Laufe des folgenden Tages tropfen höchstens 30 zusätzliche Hektoliter dazu. Daher sind niemals mehr als 25+30=55 hl im vollsten Fass.

    Im zweiten Teil unseres Beweises wollen wir zeigen, dass mit Fässern der Grösse V=55-ε mit ε>0 ein Überlaufen nicht dauerhaft verhindert werden kann. Wir wollen den Schleim möglichst bösartig auf die Fässer verteilen.

    In einer ersten Phase verteilt sich der Schleim immer so, dass fünf Minuten vor Mitternacht alle fünf Fässer genau gleich voll sind. Wir bezeichnen den Inhalt eines Fasses fünf Minuten vor Mitternacht m mit am. Der Weihnachtsmann leert dann die zwei vollsten, in diesem Fall zwei beliebige Fässer und am nächsten Tag erhalten wir

    am+1 =1/5(3am+30)

    Es ist einfach zu sehen, dass diese Zahlen am mit dem Anfangswert a1 =6 streng monoton steigen und gegen den Grenzwert 15 konvergieren. Die erste Phase endet, sobald alle Fässer den Inhalt am =15-ε/2 erreicht haben.

    Die zweite Phase geht über die folgenden zwei Tage. Der Weihnachtsmann leert zunächst zwei Fässer, und am folgenden Tag verteilt sich der neue Schleim gleichmäßig über die drei nicht-geleerten Fässer. Fünf Minuten vor Mitternacht m+1 enthält jedes dieser drei Fässer dann 25-ε/2 hl Schleim. Der Weihnachtsmann kann nur zwei der drei Fässer leeren, und eines nimmt seinen gesamten Inhalt mit in den nächsten Tag. An diesem Tag tropfen alle 30 hl in dieses Fass. Der Inhalt wird zu 55-ε/2 und das Fass läuft über.

    Man kann die Aufgabe natürlich auch ohne eine vollständige Konvergenzanalyse für die Zahlenfolge im zweiten Beweisteil lösen. Es reicht aus, in der ersten Phase einen Wert am>13 zu erreichen, zu dem in der zweiten Phase dann 40 hl dazukommen, die den Fassinhalt über die 53 hl in Antwort 7 bringen. Man kommt schnell auf

    a1=6
    a2=9,6
    a3=11,76 und
    a4=13,056