Immacula ist eine hagere Frau in einem abgenutzten Kleid. Mit ihren fünf Kindern lebt sie in einem kleinen Zelt. Rechts steht eine Pritsche. Darunter liegen ein paar Fotos. Bilder aus der Zeit vor dem Erdbeben, als sie mit ihrem Mann und der Familie noch in einem richtigen Haus wohnte. Immacula kramt unter der Pritsche:
"Ich zeige Euch mein Foto," sagt sie. "Vor dem Beben habe ich noch viel mehr gewogen. Aber jetzt sehe ich ganz anders aus."
Die Aufnahme zeigt ein zufrieden lächelndes Paar - sie in modischen Jeans und Bluse, er im Hemd. Immaculas Mann ist beim Erdbeben umgekommen. Seitdem lebt sie in dem Zeltcamp am Champs de Mars mitten in Port-au-Prince - gleich neben dem eingestürzten Präsidentenpalast. Ein Jahr nach dem Erdbeben ist ihre Bilanz ziemlich bitter:
"Es hat sich nichts geändert, seit ich hier im Obdachlosen-Camp lebe. Es gibt zu wenig zu essen, die Regierung tut nichts. Ich würde gerne weg hier, aber ich weiß nicht wohin."
Auf den rumpeligen Straßen rund ums Camp schieben sich die Jeeps der internationalen Helfer im Schritttempo nach vorne. Dauerstau. Da sind die Wagen der UN-Blauhelme und Polizisten - 12.000 sind im Land. Eine der größten UN-Missionen weltweit. Dazu die SUVs mit den Aufklebern aller nur denkbaren Hilfsorganisationen aus aller Welt: Rotes Kreuz, Welthungerhilfe, christliche Gruppen aus den USA. Port-au-Prince ist eine wahrlich internationale Stadt geworden.
Nigel Fisher ist der Chef für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen in Haiti. Ein ruhiger, grauhaariger Kanadier. Viel wurde erreicht, betont er - unmittelbar nach dem Erdbeben:
"Ich glaube, die erste Nothilfe war ziemlich erfolgreich. Ein viertel Jahr nach dem Erdbeben hatten wir etwa eineinhalb Millionen Menschen in den Camps. Dort werden sie mit Wasser versorgt, es gibt medizinische Hilfe, viele haben Latrinen. Ein Erfolg war auch, dass es keine Unruhen gab."
Die Nothilfe war das eine - der Wiederaufbau ist ungleich schwieriger. Immer noch leben mehr als eine Millionen Menschen in Obdachlosen-Camps, die allermeisten eingestürzten Häuser sind noch nicht abgetragen. Zelte in den Trümmern sind zum Normalzustand geworden. Aber einfach ganze Stadtteile zu planieren und neu aufzubauen, geht nicht, sagt Nigel Fisher:
"Es ist sehr schwer rauszufinden, wem die Grundstücke in Haiti eigentlich gehören. In einigen Gemeinden haben wir Übergangshäuser errichtet. Und dann kamen Leute, die sagten, das geht nicht, das ist mein Grundstück. Wir haben hier strukturelle Probleme, die es auch schon vor dem Beben gab. Eine schwache Regierung. 85 Prozent der Menschen in Armut. Slums. Das löst man nicht innerhalb eines Jahres."
Ein Kinderzentrum in Fort National - einem ärmlichen Stadtviertel in Port-au-Prince. Das Holzhaus steht auf den Trümmern der eingestürzten Schule. Regulären Unterricht gibt es hier nicht - aber Betreuung. Singen, basteln, lesen lernen. Auch ein Jahr nach dem Erdbeben geht nur jedes zweite Kind in Haiti zur Schule. Genauso viele oder auch genauso wenige wie vor dem Beben. Seit die Cholera im Land ausgebrochen ist, spielt die Anleitung zur Hygiene eine große Rolle, sagt Alinx Jean Baptiste von der Kindernothilfe, die das Zentrum betreibt:
Trotzdem: Die Cholera wird sich im Land wohl festsetzen. 150.000 Erkrankte bisher, 3.500 Tote. Die Vereinten Nationen erwarten noch deutlich mehr Fälle. Nach dem Erdbeben die Seuche.
Es fehlt am Geld sagen manche. Etwa der US-Schauspieler Sean Penn, der sich in Haiti engagiert. Der Hollywood-Star beklagt, dass zugesagte Hilfsgelder nicht geflossen sind. Damit hat er Recht. Von den für 2010 geplanten 2,1 Milliarden US-Dollar wurden nach UN-Angaben nur 1,5 Milliarden wirklich verbucht - also rund 70 Prozent.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich haben viele Hilfsorganisationen große Probleme, all die Spendengelder sinnvoll auszugeben. Beispiel Welthungerhilfe: 21 Millionen Euro sind nach dem Erdbeben eingegangen. Gerade mal vier Millionen davon konnte die Welthungerhilfe bisher tatsächlich einsetzen. Begründung: Die Zusammenarbeit mit den haitianischen Behörden sei schlecht, Entscheidungen über Wiederaufbau-Projekte würden ausbleiben, sagt die Chefin der Organisation Bärbel Dieckmann:
"Ich jammer auch nicht, dass ich mehr Geld haben will. Ich glaube, das ist im Moment in Haiti nicht die Diskussion. Das Geld steht zur Verfügung. Wir erleben Koordinationsprobleme, vor allem auf der höheren staatlichen Ebene. Das sind im Moment in Haiti die Probleme. Und wenn Sie dann keine funktionierende Regierung haben, wenn dann Strukturen schwach sind, dann kriegen Sie eben genau diese Entscheidungen nicht!"
Die haitianische Regierung in der Kritik. Korruption beim Zoll, keine Ansprechpartner in den Behörden, kein umfassender Plan für den Wiederaufbau. Die internationale Hilfe ist da nur Stückwerk, ein Flickenteppich.
Und seit den Wahlen Ende November wächst die Unruhe. Beim Urnengang wurde offensichtlich gefälscht, noch immer gibt es kein offizielles Endergebnis dieses ersten Wahlgangs. Anhänger der Oppositionskandidaten randalierten tagelang, Barrikaden brannten, mindestens vier Menschen kamen ums Leben.
Auch im Camp am Champs de Mars mitten in Port-au-Prince werfen viele Bewohner wie Reynold dem jetzigen Staatschef Preval vor, das Land weiter ins Elend zu treiben:
"Preval muss sofort aus dem Amt. Uns geht es schlecht, wir leben hier im Schmutz, es gibt keine Schulen. Die Regierung nimmt das ganze internationale Geld und denkt nur an ihre Leute, aber nicht an uns."
Aber die für Mitte Januar geplante Stichwahl um die Präsidentschaft ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Hoffnung der Vereinten Nationen wird sich erst einmal nicht erfüllen, dass sich die Lage durch eine neue Regierung bessert.
Und auch Immacula, die hagere Frau aus dem Camp gleich beim Präsidentenpalast erwartet von der Regierung gar nichts mehr:
"Ich glaube nicht an die Politiker. Ich glaube nur an Gott." Und dann fügt sie auf Englisch hinzu: "Das ist hier wie auf der Titanic."
Immacula denkt, dass sie noch lange im Camp leben wird. In ihrem Zelt mit den Fotos aus einer besseren Zeit - aus der Zeit vor dem Erdbeben.
"Ich zeige Euch mein Foto," sagt sie. "Vor dem Beben habe ich noch viel mehr gewogen. Aber jetzt sehe ich ganz anders aus."
Die Aufnahme zeigt ein zufrieden lächelndes Paar - sie in modischen Jeans und Bluse, er im Hemd. Immaculas Mann ist beim Erdbeben umgekommen. Seitdem lebt sie in dem Zeltcamp am Champs de Mars mitten in Port-au-Prince - gleich neben dem eingestürzten Präsidentenpalast. Ein Jahr nach dem Erdbeben ist ihre Bilanz ziemlich bitter:
"Es hat sich nichts geändert, seit ich hier im Obdachlosen-Camp lebe. Es gibt zu wenig zu essen, die Regierung tut nichts. Ich würde gerne weg hier, aber ich weiß nicht wohin."
Auf den rumpeligen Straßen rund ums Camp schieben sich die Jeeps der internationalen Helfer im Schritttempo nach vorne. Dauerstau. Da sind die Wagen der UN-Blauhelme und Polizisten - 12.000 sind im Land. Eine der größten UN-Missionen weltweit. Dazu die SUVs mit den Aufklebern aller nur denkbaren Hilfsorganisationen aus aller Welt: Rotes Kreuz, Welthungerhilfe, christliche Gruppen aus den USA. Port-au-Prince ist eine wahrlich internationale Stadt geworden.
Nigel Fisher ist der Chef für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen in Haiti. Ein ruhiger, grauhaariger Kanadier. Viel wurde erreicht, betont er - unmittelbar nach dem Erdbeben:
"Ich glaube, die erste Nothilfe war ziemlich erfolgreich. Ein viertel Jahr nach dem Erdbeben hatten wir etwa eineinhalb Millionen Menschen in den Camps. Dort werden sie mit Wasser versorgt, es gibt medizinische Hilfe, viele haben Latrinen. Ein Erfolg war auch, dass es keine Unruhen gab."
Die Nothilfe war das eine - der Wiederaufbau ist ungleich schwieriger. Immer noch leben mehr als eine Millionen Menschen in Obdachlosen-Camps, die allermeisten eingestürzten Häuser sind noch nicht abgetragen. Zelte in den Trümmern sind zum Normalzustand geworden. Aber einfach ganze Stadtteile zu planieren und neu aufzubauen, geht nicht, sagt Nigel Fisher:
"Es ist sehr schwer rauszufinden, wem die Grundstücke in Haiti eigentlich gehören. In einigen Gemeinden haben wir Übergangshäuser errichtet. Und dann kamen Leute, die sagten, das geht nicht, das ist mein Grundstück. Wir haben hier strukturelle Probleme, die es auch schon vor dem Beben gab. Eine schwache Regierung. 85 Prozent der Menschen in Armut. Slums. Das löst man nicht innerhalb eines Jahres."
Ein Kinderzentrum in Fort National - einem ärmlichen Stadtviertel in Port-au-Prince. Das Holzhaus steht auf den Trümmern der eingestürzten Schule. Regulären Unterricht gibt es hier nicht - aber Betreuung. Singen, basteln, lesen lernen. Auch ein Jahr nach dem Erdbeben geht nur jedes zweite Kind in Haiti zur Schule. Genauso viele oder auch genauso wenige wie vor dem Beben. Seit die Cholera im Land ausgebrochen ist, spielt die Anleitung zur Hygiene eine große Rolle, sagt Alinx Jean Baptiste von der Kindernothilfe, die das Zentrum betreibt:
Trotzdem: Die Cholera wird sich im Land wohl festsetzen. 150.000 Erkrankte bisher, 3.500 Tote. Die Vereinten Nationen erwarten noch deutlich mehr Fälle. Nach dem Erdbeben die Seuche.
Es fehlt am Geld sagen manche. Etwa der US-Schauspieler Sean Penn, der sich in Haiti engagiert. Der Hollywood-Star beklagt, dass zugesagte Hilfsgelder nicht geflossen sind. Damit hat er Recht. Von den für 2010 geplanten 2,1 Milliarden US-Dollar wurden nach UN-Angaben nur 1,5 Milliarden wirklich verbucht - also rund 70 Prozent.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich haben viele Hilfsorganisationen große Probleme, all die Spendengelder sinnvoll auszugeben. Beispiel Welthungerhilfe: 21 Millionen Euro sind nach dem Erdbeben eingegangen. Gerade mal vier Millionen davon konnte die Welthungerhilfe bisher tatsächlich einsetzen. Begründung: Die Zusammenarbeit mit den haitianischen Behörden sei schlecht, Entscheidungen über Wiederaufbau-Projekte würden ausbleiben, sagt die Chefin der Organisation Bärbel Dieckmann:
"Ich jammer auch nicht, dass ich mehr Geld haben will. Ich glaube, das ist im Moment in Haiti nicht die Diskussion. Das Geld steht zur Verfügung. Wir erleben Koordinationsprobleme, vor allem auf der höheren staatlichen Ebene. Das sind im Moment in Haiti die Probleme. Und wenn Sie dann keine funktionierende Regierung haben, wenn dann Strukturen schwach sind, dann kriegen Sie eben genau diese Entscheidungen nicht!"
Die haitianische Regierung in der Kritik. Korruption beim Zoll, keine Ansprechpartner in den Behörden, kein umfassender Plan für den Wiederaufbau. Die internationale Hilfe ist da nur Stückwerk, ein Flickenteppich.
Und seit den Wahlen Ende November wächst die Unruhe. Beim Urnengang wurde offensichtlich gefälscht, noch immer gibt es kein offizielles Endergebnis dieses ersten Wahlgangs. Anhänger der Oppositionskandidaten randalierten tagelang, Barrikaden brannten, mindestens vier Menschen kamen ums Leben.
Auch im Camp am Champs de Mars mitten in Port-au-Prince werfen viele Bewohner wie Reynold dem jetzigen Staatschef Preval vor, das Land weiter ins Elend zu treiben:
"Preval muss sofort aus dem Amt. Uns geht es schlecht, wir leben hier im Schmutz, es gibt keine Schulen. Die Regierung nimmt das ganze internationale Geld und denkt nur an ihre Leute, aber nicht an uns."
Aber die für Mitte Januar geplante Stichwahl um die Präsidentschaft ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Hoffnung der Vereinten Nationen wird sich erst einmal nicht erfüllen, dass sich die Lage durch eine neue Regierung bessert.
Und auch Immacula, die hagere Frau aus dem Camp gleich beim Präsidentenpalast erwartet von der Regierung gar nichts mehr:
"Ich glaube nicht an die Politiker. Ich glaube nur an Gott." Und dann fügt sie auf Englisch hinzu: "Das ist hier wie auf der Titanic."
Immacula denkt, dass sie noch lange im Camp leben wird. In ihrem Zelt mit den Fotos aus einer besseren Zeit - aus der Zeit vor dem Erdbeben.