"Zum Haifisch" oder "Zwitscherstübchen" – so heißen einige der Kneipen, die sich im Kieler Stadtteil Gaarden-Ost mit türkischen Supermärkten und Cafés abwechseln. Das Werftenviertel auf der östlichen Fördeseite genießt nicht den besten Ruf in der Stadt und gilt als sozialer Brennpunkt. Fast jeder zweite Einwohner hier hat einen Migrationshintergrund.
"Ich glaube nicht an Gott", sagt die vor einer Kneipe rauchende Corinna Lamp. Und wenn es ihn gibt – dann sei er ganz bestimmt nicht hier in Gaarden-Ost anzutreffen:
"Nein!" - "Warum nicht?"- "Dann ist er blind!" - "Wieso?" - "Jemand, der sich das alles selber erschaffen hat, der macht das ja nicht selber kaputt."
Und dann kommt ein älterer Herr aus der Kneipe. Er ist dünn, sein Gesicht ist übersät mit Falten und braungegerbt. Gottesbezug in die Landesverfassung? Natürlich betrifft mich das, sagt er:
"Sehr. Ich bin sehr gläubig. Ich rauche gerne mal 'ne Zigarette. Aber trotzdem – Jesus ist immer in meinem Herz. Da! Hörst du das Zwitschern? Ja – das ist Gott. Wenn du das nicht mehr hörst, dann hast du keinen Gott mehr! Tschüss!"
Muslimische Gemeinde unterstützt Gottesbezug
Nur ein paar Schritte weiter sind es bis zum Ende der Elisabethstraße. Dort – direkt gegenüber vom Eingang zum Werftgelände steht seit zwölf Jahren die Ulu Camii-Moschee, die von der Türkisch-Islamischen Union Ditib geführt wird.
"Also, man sagt immer, Religion und Politik sollte man auseinanderhalten."
Bekir Yalim ist Vorsitzender der Ulu Camii-Moschee. Ein Gottesbezug in der Landesverfassung wäre eine gute Nachricht für die Gemeinde, sagt er. Doch eine Formulierung aus dem als am aussichtsreichsten geltenden Textvorschlag ruft bei ihm Stirnrunzeln hervor. Darin heißt es, die Verfassung schöpfe aus, Zitat, "dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas und aus den Werten, die sich aus dem Glauben an Gott oder aus anderen Quellen ergeben".
"Gott ist ja für uns alles. Gott bedeutet alles. Gott regiert über alles. Und wenn da in der Verfassung drin stehen sollte über andere Quellen – was soll da für eine andere Quelle gemeint sein?"
Andererseits macht Yalim auch klar: Sollte es am Freitag nicht für die Verfassungsänderung reichen, wäre das nicht weiter schlimm:
"Also, Religion hat ja nicht hier in Schleswig-Holstein, sondern in dem Herzen des Menschen Platz. Daher sage ich: Ob Sie das aufnehmen oder nicht, das ist für uns, ich sag mal, nicht so wichtig."
Landtag stimmt über drei Vorschläge ab
Drüben, schräg gegenüber am anderen Ufer der Förde, liegt der Landtag. Dort haben die Abgeordneten an diesem Vormittag die Wahl zwischen drei Vorschlägen. In zwei der Texte taucht explizit das Wort Gott auf – in einem nicht. Mindestens zwei Drittel – also 46 der 69 Abgeordneten – müssen für eine Verfassungsänderung zustimmen. Sollte diese zustande kommen – dann am ehesten für den Vorschlag den SPD-Fraktionschef Ralf Stegner Anfang Juli mit seinem Parteikollegen Martin Habersaat vorgelegt hat. Es wird knapp, prognostiziert Stegner. Aber es könnte reichen:
"Ich hab' bewusst vollständig darauf verzichtet, dass es eine Debatte gibt, die als Fraktionszwang verstanden werden kann. Wir haben bei uns keine Probeabstimmung mehr gemacht, und ich habe bilaterale Gespräche geführt – aber nicht nur bei Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, sondern auch mit anderen."
Von der CDU werden 20 Abgeordnete für den Stegner-Vorschlag stimmen, bei zwei sei es noch nicht sicher, heißt es aus der Fraktion. Bei den Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband SSW ist das Bild gemischt. Dagegen haben sich die meisten Abgeordneten von FDP und der Piraten-Fraktion gegen einen Gottesbezug ausgesprochen. Doch der von ihm ausgearbeitete Entwurf sei weniger ein Gottesbezug, sagt Ralf Stegner:
"Sondern es ist eine Toleranzformel. Eine neue Präambel für die Verfassung, die Respekt hat gegenüber denen, die an einen christlichen Gott glauben, gegenüber denen, die an einen anderen Gott glauben und gegenüber denen, die an gar keinen Gott glauben."
Piraten-Partei: "Religiöse Fragen haben in der Verfassung nichts zu suchen"
Das sieht Patrick Breyer ganz anders. Der Vorsitzende der Piraten-Fraktion schaut auf die strahlende blaue Förde hinter dem Landtag hinaus und meint: Ein Gottesbezug in der Präambel der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung verletze die Neutralitätspflicht des Staates:
"All diejenigen, die nicht selber an einen Gott glauben, werden dadurch im Vergleich zu anderen disqualifiziert, in die zweite Reihe gestellt. Und es kommt hinzu, dass religiöse Fragen in der Verfassung schlichtweg nichts zu suchen haben. Denn die Verfassung soll ja für alle Bürger gelten. Sie soll einen die Bürger, statt sie zu sortieren."
Der Vorsitzende der Piratenfraktion meint auch: Folge man dem jüngsten Formulierungsvorschlag, dann würden nicht mehr die Menschenrechte als Grundlage der Verfassung betrachtet – sondern der Glaube an Gott oder an andere Quellen. Ihn stört auch die Formulierung vom "kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas":
"Die Formulierung wäre eine Steilvorlage und würde Missbrauch durch Populisten, durch Extremisten Vorschub leisten geradezu. Es ist ja kein Zufall, dass die AfD schon jetzt unterstützt hat, wenn der Landtag die Formulierung nicht aufnimmt, dann werden sie eine Volksabstimmung darüber fordern."
Ex-Ministerpräsident Carstensen ist Sprecher der Volksinitiative Gottesbezug
Vor einem Fachwerkhaus 20 Kilometer südwestlich von Kiel sitzt in einem üppig blühenden Garten ein älterer Herr und raucht Pfeife. Zu seinen Füßen haben ein Dackel und ein Retriever Platz genommen:
"Ich glaube, Gott ist so stark, dass er auch in den Schleswig-Holsteinischen Landtag reingeht. Nein, das würde ich nicht sagen, aber man lebt hier natürlich anders, man lebt hier nahe an der Natur und man kriegt manchmal vielleicht das Gefühl, dass man nahe an Gott ist."
Bis 2012 war Peter Harry Carstensen Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Danach hat er sich aufs Land und auch aus der Politik zurückgezogen. Doch in den letzten Monaten hat Carstensen als Sprecher der Volksinitiative für den Gottesbezug wieder mitgemischt.
Das Verhältnis zwischen Carstensen und dem SPD-Mann Stegner gilt schon lange als zerrüttet. Doch jetzt gibt sich der CDU-Politiker anerkennend: Wenn es der Gottesbezug an diesem Vormittag in die Präambel der schleswig-holsteinischen Landesverfassung schaffe, dann sei das auch das Verdienst von Stegners jüngst vorgelegtem Formulierungsvorschlag:
"Wenn er unbedingt mal irgendwo zum Essen eingeladen werden muss, dann würde ich das auch tun. Also, ich bin ihm dankbar, dass er das gemacht hat."