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Schleswig-Holstein
Immer häufiger unter Wasser

An der Westküste Schleswig-Holsteins fällt immer häufiger Regen und auch die Regenmengen sind in den vergangenen Jahrzehnten größer geworden. Die Westküste liegt zum Teil nur knapp über dem Meeresspiegel, zum Teil sogar darunter. Das macht die Entwässerung schwierig.

Von Dietrich Mohaupt | 03.06.2014
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    Mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 20 bis 80 Zentimeter rechnen Experten in den kommenden Jahrzehnten. (dpa picture alliance/ Christof Martin)
    Dietmar Wienholt steht auf dem Deich bei Schlüttsiel an der nordfriesischen Nordseeküste - unter den Füßen des Experten aus dem Kieler Umweltministerium rauscht das Wasser durch vier große Sieltore ins Meer. Entwässerung im klassischen Stil - die aber nur funktioniert, wenn der Wasserspiegel vor dem Deich niedriger ist als hinter dem Deich. Noch ist das bei Niedrigwasser der Fall - das Wasser kann hier problemlos ablaufen. Allerdings gibt Dietmar Wienholt zu bedenken...
    "Wenn sich der Meeresspiegel verändern sollte und ansteigt, dann wird auch das Niedrigwasser ansteigen und die Entwässerung des Binnenlandes immer schwieriger werden und irgendwann so nicht mehr funktionieren."
    Anstieg des Meeresspiegels um 20 bis 80 Zentimeter
    Mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 20 bis 80 Zentimeter rechnen Experten in den kommenden Jahrzehnten - gleichzeitig sagen sie aber auch eine Zunahme von starken und lang anhaltenden Regenfällen im Einzugsgebiet der Entwässerungssiele voraus.
    "Und die Starkregen führen dazu, dass in ganz kurzer Zeit große Mengen Wasser zufließen, und dieses Einzugsgebiet ist etwa so, dass zwei Drittel, oder sogar etwas mehr, Geestbereiche sind, wo das Wasser abfließt und sich dann in den Niederungen sammeln muss - ohne dass es über die Ufer tritt - weil es dann ja durch den Deich geleitet werden muss."
    Pumpen schöpfen 50 Badewannen voll in einer Sekunde
    Künftig, so die Einschätzung der Experten, wird man dafür immer mehr leistungsstarke und entsprechend teure Pumpen brauchen. Schon jetzt sind solche Pumpen in vielen Schöpfwerken an der Westküste in Betrieb - der Bedarf könnte bis 2070 um etwa 25 % steigen, mutmaßt Dietmar Wienholt.
    "Wir haben zum Beispiel jetzt in der Dithmarscher Bucht ein Problem, wo ein Einzugsgebiet von nur 60 Quadratkilometern nicht mehr frei in die Nordsee entwässern kann und ein Schöpfwerk gebaut werden muss. Die Kosten für dieses Schöpfwerk werden im Moment auf 6 bis 7 Millionen Euro geschätzt, und das Schöpfwerk muss 10,8 Kubikmeter pro Sekunde rauspumpen - also 50 Badewannen voll in einer Sekunde."
    Großteil der Landesfläche wird über die Niederungen entwässert
    Die Zahlen verdeutlichen, dass bei dem notwendigen technischen Aufwand und den zu erwartenden Kosten Schöpfwerke nicht das Allheilmittel sein können. 5 Jahre lang haben sich deshalb Experten aus der Wasserwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Naturschutz Gedanken über mögliche Alternativen gemacht - in ihrem Abschlussbericht schlagen sie jetzt verschiedene Maßnahmen vor, um die Niederungen in Schleswig-Holstein vor regelmäßigen Überflutungen zu schützen. Unter anderem empfehlen sie die Anlage von Poldern, also Flächen, auf denen künftig keine oder nur noch wenig Landwirtschaft betrieben wird und die bei Bedarf kurzfristig für eine gewisse Zeit als Wasserspeicher geflutet werden können. Den Landwirten solche Flächen abzuringen werde sicher nicht einfach, vermutet der grüne Landwirtschaftsminister Robert Habeck - aber:
    "Wir haben durch diesen Bericht eine sehr genaue Kartierung, wo Polder Sinn machen, also Retentionsräume geschaffen werden für größere Wassermengen - aber das heißt dann eben im Umkehrschluss auch: Genau da sollte man vielleicht nicht den nächsten Schweinestall hin bauen, weil der dann in 20 Jahren einfach an der falschen Stelle steht."
    Tauschbörsen für Landwirte
    Es herrscht schon ein gewisses Missverhältnis: Ein Großteil der Landesfläche von Schleswig-Holstein wird über die Niederungen entwässert, und die Bewohner dort tragen derzeit auch den größten Batzen der finanziellen Belastung. Das werde sich auf jeden Fall ändern müssen, meint Robert Habeck - die Bewältigung der Folgen des Klimawandels sei eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, betont er.
    "Die Niederungen machen als Gebietskulisse etwa 20 % des Landes aus - Vorteilsnehmer sind aber etwa 50 % des Landes. Und jetzt, wo die Kosten in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten drohen, sich zu vervielfachen, kommt zu Recht die Idee auf, zu sagen: Ja, aber dann müssen ja alle sich daran beteiligen. Meiner Ansicht nach braucht es in der Tat ein Solidarsystem, dass nicht bei einem Klimaphänomen, dass alle Menschen mit verursacht haben, Einzelne die Dummen sein lässt."
    Konkrete Ideen, wie dieses System aussehen könnte, hat auch der Minister noch nicht - vorstellbar seien aber z.B. Umlagen, über die auch Bewohner anderer Regionen an diesen Kosten beteiligt werden könnten. Zur Diskussion stehen außerdem Tauschbörsen, um Landwirten bei Verzicht auf bestimmte Flächen Ersatz anbieten zu können.