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Schleswig-Holstein
Streit um grüne Atompolitik

Ausgerechnet der grüne Umweltminister hat sich in Schleswig-Holstein dazu bereit erklärt, aufbereiteten Atommüll zwischenzulagern. Doch in seiner eigenen Partei sehen sich viele für diese Abfälle nicht verantwortlich.

Von Dietrich Mohaupt |
    Nur kurz muss Martin Storm in der Kommode im Hausflur kramen – dann hat er sie gefunden: eine kleine Trillerpfeife, ein paar gelbe Anstecker mit der frech grinsenden, knallroten Sonne und dem Slogan "Nein, danke". Der Pastor im Ruhestand aus Brunsbüttel wollte nie Atomkraft - und er will jetzt auch keinen Atommüll.
    "Noch haben wir das Atomkraftwerk hier stehen, dann ist angedacht, von Sellafield die Castoren hier hin zu bringen - ich denke, dass hier eben ein großer Umschlag für Atommüll geplant wird… wir sind noch längst nicht mit dem Thema durch."
    1986, kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl, war er bei den Großkundgebungen u. a. im nahegelegenen Brokdorf - Zehntausende protestierten damals lautstark vor dem Atomkraftwerk in der kleinen Gemeinde an der Elbe.
    "Als es dann hieß in Hamburg: Die Kinder sollen nicht raus, die Sandkisten sind gesperrt, die Spielplätze sind geschlossen – da war ich dann eben auch vor Brokdorf gewesen und bei vielen anderen Demonstrationen dabei und so was prägt natürlich. Wir sind immer diejenigen, die nicht gefragt werden, und auch jetzt macht man sich’s zu einfach. Man sucht sich eine Ecke aus, wo man denkt: Da ist wenig Widerstand. Das ist einfach nicht gut für die Menschen".
    Eine Gestaltungspartei
    Ausgerechnet ein "Grüner", Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in der Kieler Landesregierung, hat uns das eingebrockt - so empfindet Martin Storm das. Als ehemaliger Grüner ist er richtig enttäuscht. Auch der Minister selbst ist sich durchaus bewusst, dass er grüner Ur-Klientel derzeit einiges zumutet. Aber:
    "In der Tat hat sich die Partei von einer "Dagegen-Partei" zu einer "Gestaltungspartei" entwickelt, und in den Bereichen, wo die Grünen maßgeblich Verantwortung haben, ist sie auch in einer besonderen Rolle und löst Probleme, die die alte Bundesrepublik aufgetürmt hat."
    Verantwortung – das war und das ist das Lieblingswort von Robert Habeck in dieser Debatte. Man übernehme diese Verantwortung nur unter bestimmten Voraussetzungen, betont er: Neben Schleswig-Holstein müssten mindestens zwei weitere Bundesländer ihre Bereitschaft erklären, Atommüll aus Sellafield und La Hague aufzunehmen. Baden-Württemberg hatte dies zuerst getan, und inzwischen kommen auch entsprechende Signale aus Hessen von der dortigen schwarz-grünen Landesregierung. Entschieden ist aber noch nichts - dabei steht fest: Die Castoren rollen 2015, eine Lösung muss also dringend her.
    "Wir alle stehen in der Verantwortung, diese Castoren zu nehmen - auch gerade vor dem Hintergrund, dass wir noch gar kein Endlager haben. Und wie soll jemand überhaupt Glauben in den Prozess kriegen, dass wir einen objektiven, vernünftigen Prozess, ein Endlager zu finden, hinbekommen, wenn wir es noch nicht einmal schaffen, die 21 Castoren zwischenzeitlich unterzustellen."
    Entscheidung im Frühling
    Bis Mitte April – so die letzten Äußerungen aus dem Bundesumweltministerium - soll es eine Entscheidung über die Lagerorte für Castor-Behälter aus dem Ausland geben. Robert Habeck mag so recht daran nicht glauben. Kosten, Sicherheit und Distanz der notwendigen Transporte, technische Ausstattung der existierenden Lager vor Ort – diese Kriterien für die Zwischenlagersuche hatte das Bundesumweltministerium erst kürzlich genannt, und die werfen Fragen auf, die auch mögliche Standorte in Schleswig-Holstein als wenig geeignet erscheinen lassen, meint Habeck.
    "Brunsbüttel ist beklagt – und das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat festgestellt, dass die Genehmigung für das Zwischenlager nicht mehr rechtskräftig sein soll. Brokdorf läuft – bisher hat man die laufenden AKWs nicht so sehr in den Focus genommen, weil man ja den Reststellplatz braucht für die noch zu produzierenden Brennelemente - und Krümmel, jenseits von Hamburg, an Hamburg vorbei, Castoren um Hamburg herum, ist auch nicht ideal."
    Schleswig-Holstein könnte also - wie andere Bundesländer auch - ganz einfach in Deckung gehen. Das tut es aber nicht - obwohl die Diskussionen über die Kriterien für potenzielle Zwischenlager nach Habecks Ansicht einfach nicht zielführend sind.
    "Die Bayern sagen 'Wir sind zu weit weg‘, die Niedersachsen sagen 'Wir haben schon zu viel Last‘, Mecklenburg-Vorpommern sagt 'Ihr könnt über alles reden, aber nicht bitte über unseren Standort‘ - also, man kann Kriterien definieren wie man will, aber letztlich geht es um eine politische Entscheidung, letztlich müssen ein, zwei, drei Länder den Mut haben zu sagen: 'Jawohl, wir schaffen das Problem jetzt aus der Welt‘."
    Keine grüne Verantwortung
    Dass er diesen Mut hatte, brachte ihm vor ziemlich genau einem Jahr heftige innerparteiliche Diskussionen ein. Robert Habeck wollte das Endlagersuchgesetz ermöglichen - dafür war eben Bedingung, dass keine Castoren aus dem Ausland mehr nach Gorleben kommen. Alternativen waren gefragt, die hat Robert Habeck angeboten. Und das sicher nicht nur, weil er so ein netter Kerl ist - das politische Signal, auch an andere potenzielle Koalitionspartner als die SPD, ist deutlich: Seht her - Grün gestaltet und macht sich dabei sogar notfalls richtig die Finger schmutzig. Auf einem Sonderparteitag der schleswig-holsteinischen Grünen stellten sich die Delegierten mit großer Mehrheit hinter ihren Minister - so manch einer, sie selbst eingeschlossen, allerdings nur zähneknirschend, gibt die Landesvorsitzende Ruth Kastner zu.
    "Was mich wahnsinnig macht, ist, dass ausgerechnet wir Grüne Verantwortung übernehmen, und die, die jahrelang, jahrzehntelang dafür gestritten haben, dass das die Energie der Zukunft ist, die auch nichts unterlassen haben, uns zu diskreditieren für unsere Haltung, die schlagen sich in die Büsche."
    Das "Ja" zu möglichen Castortransporten nach Schleswig-Holstein liegt den Grünen im Norden erkennbar schwer im Magen. Und bei aller Sympathie für einen mutigen Minister, der auch mal unpopuläre Entscheidungen treffe - sollte künftig tatsächlich Atommüll in die Region an der Unterelbe kommen, dann müsse sich Robert Habeck auf einiges einstellen, verspricht Martin Storm aus Brunsbüttel.
    "Da muss sich, glaube ich, auch ein grüner Umweltminister warm anziehen und wird da nicht einfach machen können, was er will. Ich glaube, die Erinnerung an die Basis ist manchmal sehr hilfreich, dass wir als Menschen da eben übergangen werden und nachher nur den Müll vor der Tür haben - das geht überhaupt gar nicht."