Murmelnd und mit fragendem Gesichtsausdruck laufen die Schüler dieser Gemeinschaftsschulklasse durch den Unterrichtsraum. Auf dem Boden klebt ein Streifen – einmal quer durch das Klassenzimmer. Die Schüler schieben am Streifen entlang, an den beiden Enden liegt je ein Zettel mit einer These:
"Hier: Wenn man nicht wählen geht, hat das keinen Einfluss, und da: Wenn man nicht wählen geht, unterstützt man die Feinde der Demokratie. Ok. Dann dürft ihr euch mal positionieren."
Die 16-jährige Cassie Schreen hat sich entschieden – sie steht ungefähr in der Mitte des Streifens.
"Ich glaube, wenn ich nicht wählen gehe, unterstütze ich sowohl die Feinde als auch die Guten, weil ich ja niemandem meine Stimme gebe und deswegen ja nicht nur die Feinde unterstütze."
"Also würdest du dich noch weiter hierhin stellen, denn es hebt sich auf und ist eigentlich egal. Würdest Du das sagen?"
"Eigentlich ja, weil ich ja nicht nur einer Partei helfe, sondern ja allen – weil ich ja gar nichts tu."
"OK."
Viele Schüler sind unsicher, ob sie überhaupt wählen sollen
Torben Rodust und Patrick Silva sind beide 20, Cornelius Dräger ist 19 – die drei Studierenden der Uni Kiel engagieren sich ehrenamtlich dafür, dass Erstwähler tatsächlich am 7. Mai ihre Stimme abgeben. In dieser Klasse sind viele Schüler wie Cassie unsicher, ob sie überhaupt wählen gehen sollten. Die sogenannten Teamer der Aktion "Jung und wählerisch" wollen die Schüler daher erst mal dazu bringen, sich überhaupt mit Fragen rund um die Wahl auseinanderzusetzen. Ohne, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin mithört: Sollte es eine Wahlpflicht geben? Sollte die Fünf-Prozent-Hürde hochgesetzt oder abgeschafft werden? Hat meine Stimme ein Gewicht? Und – was hat Landespolitik mit mir zu tun?
"Uns würde jetzt mal interessieren, was ihr gerne machen würdet, wenn ihr Politiker wärt. Ja?"
Mädchen: "Ich habe eine kleine Schwester, die geht in den Kindergarten, und die Kinder werden gar nicht gefördert, darum würde ich mich kümmern, dass die Kinder schon im Kindergarten eine gewisse Förderung erhalten. Sei es eine Schleife binden, die Uhr lesen, sowas."
Junge: "Ich finde, dass die Grundschule bis zur sechsten Klasse gehen sollte, allein um den Kindern ein Stück weit den Druck zu nehmen, was die weitere Schulbildung angeht, weil man nach der vierten Klasse nicht den Sinn dafür hat, ob man aufs Gymnasium, auf eine Gemeinschaftsschule oder auf eine Hauptschule geht und das ist alles ziemlich stressig so."
Die Schüler beginnen schnell, sich Meinungen zu bilden
Die Abschlussklasse dieser Gemeinschaftsschule im sozial sehr gemischten Lübecker Stadtteil Eichholz taut während der 90 Minuten immer mehr auf – die Schüler beginnen schnell, sich Meinungen zu bilden und sie auch zu vertreten. Diese Erfahrung macht Teamer Torben Rodust immer wieder – und das motiviert ihn:
"Wenn man merkt, dass während der Veranstaltung plötzlich der Groschen fällt und die Leute merken: Aha, meine Stimme zählt was, wenn ich wähle, nehme ich nicht nur teil, dann bin ich wirklich Teil des Ganzen – und kann endlich auch mal entscheiden und nicht nur über mich wird entschieden, das habe ich auf den Gesichtern auch öfter schon gesehen und das ist auch etwas, was Spaß macht, was Freude auslöst, wenn man merkt: Ein gewisser Funke ist schon gelegt worden."
"Ich sag jetzt mal: Ist doch scheißegal, ob wir wählen gehen oder nicht. Warum ist das nicht so?"
"Wenn man so denkt, darf man sich nicht beschweren, wenn in der Politik etwas passiert, was mir nicht passt."
Die Studierenden scheinen ihre Mission erfüllt zu haben. Die Abschlussumfrage ergibt: Fast alle Schüler haben sich dafür entschieden, am 7. Mai zur Landtagswahl zu gehen – auch Cassie Schreen denkt mittlerweile, dass ihre Stimme zählt:
"Ich bin unsicher, was ich wählen soll, aber ich weiß, dass es wichtig ist, dass ich wählen gehen sollte."