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Schleuser-Kriminalität
Mit Bauchgefühl auf Schleuserjagd

Täglich kommen in Bayern rund 100 Flüchtlinge an, illegal von Schleusern über die Balkan-Route oder von Italien nach Deutschland gebracht. Die Bundespolizei in Rosenheim greift täglich Flüchtlingstransporte auf - mit teils dramatischen Szenen.

    Geschleuste im Kofferraum eines Transporters.
    Geschleuste im Kofferraum eines Transporters. (Bundespolizei)
    Leise spielt das Autoradio in dem Einsatzfahrzeug der Bundespolizei. Das gedimmte Display zeigt fünf Uhr dreißig in der Früh. Draußen rasen in der Dunkelheit die Autos auf der Autobahn A8 vorbei. Nachts ist die Zeit der Schleuser. Die zwei Bundesbeamten unterhalten sich gedämpft, wo sie dieses Mal ihren Einsatz beginnen werden:
    "Wir fahren jetzt zum Inntaldreieck, das ist das Dreieck wo die A93 von Italien und die A8 von Salzburg zusammenlaufen. Da postieren wir uns dann."
    Noch ein paar Minuten Fahrt, dann steuert Heiko Blaczik den silbernen zivilen Einsatzwagen auf einen Platz am Übergang zwischen den zwei Autobahnen. Er bremst und bleibt mit laufendem Motor und Abblendlicht stehen. Er und sein Kollege Frank Volpert beginnen die vorbeifahrenden Autos zu taxieren.
    "Wenn wir den Fahrzeugverkehr hier jetzt so betrachten, der jetzt hier läuft und wir finden für uns beide gemeinsam ein Fahrzeug heraus, das wir kontrollieren möchten, versichern wir uns beim Streifenpartner, ansonsten läuft das ruhig ab, ohne Gespräche, weil wir uns konzentrieren müssen."
    Mit mindestens 120 Stundenkilometern fließt der Verkehr an dem unauffälligen Einsatzwagen vorbei. In Sekundenbruchteilen müssen die Beamten entscheiden, ob ein Wagen verdächtig ist oder nicht. Vieles geht über Intuition, über das Bauchgefühl, allein an den Fahrzeugen lassen sich Schleuser nicht mehr erkennen, sagt Frank Volpert:
    "Ja da kommt es auf mehrere Indizien an. Einmal auf die Herkunft, dann die Form des Kleinwagens, wobei wir vom Kleinwagen bis zum Transporter schon alles hatten, auch Laster oder Busse hatten wir schon, da ist das Spektrum schon sehr weit."
    Zugriff nach Gefühl
    Gut zwanzig Minuten stehen die Bundespolizisten mit ihrem Wagen jetzt an der Autobahn. Manchmal dauert es Stunden bis das richtige Gefühl kommt, manchmal nur Minuten, jeder Einsatz ist komplett anders:
    "Ja es ist noch relativ ruhig, wir können uns die Autos einzeln anschauen, später wird es wahrscheinlich voller und ja...ganz voll."
    6 Uhr fünfzehn. Heiko Blaczik hat den grünen Kleinbus als erster entdeckt und gibt Gas. Frank Volpert schaltet die vorher unsichtbare grellrote Laufschrift ein: „Polizei. Bitte folgen." Der Einsatzwagen fährt langsam an dem Kleinbus vorbei, die Fenster sind mit Vorhängen zugezogen, die Rückscheibe bedeckt eine Alufolie. Das Kennzeichen: italienisch.
    Die Trefferquote liegt bei so einem Fahrzeug bei 90 Prozent circa.
    Blaczik setzt das Polizeiauto vor das mutmaßliche Schleuserfahrzeug, blinkt und versucht es auf den Seitenstreifen zu leiten, dann weiter auf einen kleinen Seitenweg parallel zur Autobahn. Die Beamten haben Glück: Der Fahrer folgt ohne auszubrechen oder wegfahren zu wollen, wie schon des öfteren geschehen. In so einem Fall würde sofort die Polizei an der nächsten großen Ausfahrt Holzkirchen benachrichtigt werden. Dieses Mal geht es reibungslos.
    Noch wissen die Beamten nicht, was sie erwartet. Haben sie das richtige Gefühl gehabt und einen Schleuser erwischt oder doch nur einen normalen Fahrer? Die Autos halten, die Bundespolizisten steigen aus, sie tragen schusssichere Westen. Mit Taschenlampen leuchten sie in den Kleinbus. Auf den zwei Rückbänken schlafen acht junge Männer. Vorn zwei Ältere. Der eine zeigt seinen rumänischen Führerschein, der andere weigert sich, sich auszuweisen. Es wird brenzlig. Nie wissen die Polizisten, ob Waffen im Auto versteckt sind. Die Handschellen klicken. Bundespolizist Blaczik:
    "Ja, problematisch ist für uns jetzt hier, dass zwei Schleuser vor Ort sind, der Fahrer ein Rumäne, der andere Italiener. Das ist relativ selten, kommt aber auch mal vor, und das ist jetzt eine angespanntere Situation als wenn man nur einen Schleuser hat, in der Regel zu 90 Prozent ist es nur einer."
    Ein Bundespolizist durchsucht den Kofferraum eines Autos, im Hintergrund stehen mehrere Männer herum.
    Bundespolizisten kontrollieren bei Rosenheim den Kofferraum eines Autos. (dpa / Nicolas Armer)
    Zu müde für Widerstand
    Waffen finden die Beamten dieses Mal keine im Schleuserfahrzeug. Es will auch keiner fliehen wie es kürzlich ein Schleuser versuchte. Die acht dunkelhaarigen Männer kooperieren problemlos. Sie sind viel zu müde, um Widerstand zu leisten. Alle kommen aus Syrien, die italienischen Zugfahrscheine haben sie während der Polizeikontrolle schnell zerrissen. Später finden die Bundespolizisten eine Liste, wohin der Weg gehen sollte.
    Ironischerweise haben sich die Schleuser verfahren, sie wollten eigentlich Richtung Kempten, dann Würzburg, dann weiter Richtung Dänemark. Während sein Kollege Volpert die Männer einzeln abtastet, ihnen ein weißes Bändchen mit Nummer am Handgelenk anlegt und das wenige Hab und Gut in Plastiktüten mit derselben Nummer verstaut, sichert Heiko Blaczik die im Einsatzfahrzeug unruhig wartenden Schleuser:
    "Für diese unerlaubt Eingereisten die weisen jetzt erstmal noch nicht was sich hier abspielt und wo wollen sie denn hinlaufen, sie sind nicht aggressiv, keine aggressiven Gewalttäter, nur unerlaubt Eingereiste und die wollen ja auch hier bleiben und deswegen bleiben sie in der Regel auch ruhig sitzen."
    Seit vier Jahren kontrolliert die Bundespolizei Rosenheim stichpunktartig laut Schengener Abkommen einen 30 Kilometer breiten Streifen an der Staatsgrenze entlang, vom Bodensee bis zum Chiemsee. Das größte Einsatzgebiet in Deutschland mit rund 500 Mitarbeitern - und derzeit extrem gefordert. Seit Januar wurden 5.100 unerlaubt per Bahn und Auto Eingereiste registriert. Über 30 Schleuser werden im Schnitt pro Monat aufgegriffen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Eritrea, Somalia, Nigeria. In Italien finden sie ihre Schleuser vor allem in Mailand, wo am Bahnhof ganze Kolonnen von Schleuserfahrzeugen auf warten.
    Schicksal lässt Polizisten nicht kalt
    Zurück zur A8: Polizeibusse transportieren die acht syrischen Flüchtlinge in die Dienststelle der Bundespolizei. Der grüne italienische Kleinbus wird abgeschleppt, auf der Rosenheimer Dienststelle untersucht und dann entweder versteigert oder verschrottet.
    Es ist kurz nach sieben Uhr früh. In der Rosenheimer Polizeistation werden jetzt die Fingerabdrücke abgenommen, dort wird mit Hilfe eines Dolmetschers ein Gesprächsprotokoll gefertigt, auch eine medizinische Untersuchung gehört zum Normalprogramm. Einige Stunden später werden die meisten von den acht Syriern im Zug nach München oder nach Zirndorf sitzen, auf dem Weg zum Erstaufnahmelager. Wohin genau, das entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.
    Die beiden Fahnder Heiko Blaczik und Frank Volpert sitzen mittlerweile über den Berichten. Ihr Einsatz war erfolgreich. Doch obwohl einer von ihnen bereits seit zwanzig Jahren bei der Bundespolizei arbeitet, gehen ihnen die Flüchtlingsschicksale immer wieder nah. Dieses Mal waren keine Kinder dabei, waren die Flüchtlinge nicht eingepfercht im Kofferraum, gab es keine Flucht. Ob es beim nächsten Mal genauso glimpflich abläuft, weiß keiner.