Christine Heuer: Tausende Menschen kampieren im griechischen Idomeni buchstäblich im Schlamm. Sie warten auf etwas, das wohl nicht mehr kommen wird, dass sich die Grenzen nach Europa für sie öffnen.
Die Flüchtlinge, sagen viele, werden sich jetzt andere Wege suchen, gefährlichere wahrscheinlich, und die Schlepper werden am Ende noch bessere Geschäfte machen als bislang schon.
Am Telefon in Berlin ist Harald Glöde, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Borderline Europe. Guten Tag, Herr Glöde.
Harald Glöde: Schönen guten Tag.
Heuer: Die Balkanroute ist geschlossen. Lassen sich Flüchtlinge davon abschrecken?
Glöde: Die große Zahl wird sich davon nicht abschrecken lassen. Diese Grenzschließung in Mazedonien, aber auch in den nördlicheren Staaten, die kann man durchaus auch als ein großes Konjunkturprogramm für die Schlepper und Schleuser bezeichnen, weil die Flüchtlinge werden einfach sich der Hilfe von Schleppern und Schleusern bedienen, um in irgendeiner Form dann heimlich über die verschiedenen Grenzen zu kommen.
Heuer: Worüber denken die Flüchtlinge da im Moment nach? Was ist im Gespräch? Welche Routen erscheinen Erfolg versprechend?
Glöde: Das würden sie niemandem mitteilen, über welche Routen sie nachdenken. Man kann darüber spekulieren, ob das nun über Bulgarien geht, oder aber ob in Zukunft, im Laufe des Jahres die Route über Libyen nach Italien wieder mehr zum Tragen kommen wird. Es kann aber auch gut sein, dass es von Griechenland dann nach Italien herübergeht. Wahrscheinlich wird es sowieso ein Mix von vielen verschiedenen Routen sein, weil an allen Routen sich entsprechende Leute, die damit Geld verdienen können, Gedanken machen werden, wie sie das organisieren können. Von daher wird es eine Vielfalt von Alternativrouten geben und die Routen werden dann mit Sicherheit auch wieder gefährlicher werden und es werden weiterhin Menschen auf diesen Routen sterben.
"Im letzten Jahr hat Griechenland 850.000 Flüchtlinge aufgenommen"
Heuer: Ein Ziel von Routen, die Sie jetzt aufgezählt haben, ist Italien. Einmal haben Sie gesagt die Adria-Route, von Albanien nach Italien, oder die alte Route von Libyen nach Italien. Mit Blick auf die Flüchtlingskrise war es ja um Italien etwas ruhiger geworden. Was steht denn dem Land jetzt bevor?
Glöde: Italien hat ja in den ganzen letzten Jahren jeweils relativ konstant 150.000 Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen, die dort angekommen sind. Daran hat sich ja eigentlich in den vergangenen Jahren wenig geändert, nur dass im letzten Jahr Griechenland 850.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, so dass Griechenland als Ziel mehr in den Fokus der Medien gekommen ist. Italien wird auf der Ebene, glaube ich, weiterhin diese Flüchtlinge aus Libyen aufnehmen müssen, und wenn die Wetterbedingungen im zentralen Mittelmeer so sind, dann werden auch wieder mehr Leute dort starten.
Heuer: Und sterben auf hoher See.
Glöde: Und sterben auf hoher See. Zum Glück gibt es eine ganze Reihe von privaten Rettungsinstitutionen, Rettungsschiffen, die dort am Retten sind, aber trotzdem wird es wieder zu vielen Todesfällen kommen und vermutlich werden auch Flüchtlinge, die aktuell in der Türkei festsitzen, versuchen, dann diesen Weg über Libyen zu gehen. Aber das kann man natürlich überhaupt nicht genau prognostizieren.
Heuer: Der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, hat gesagt, die EU wolle für Italien frühzeitig eine Entwicklung wie auf der Balkanroute verhindern. Geht so etwas?
Glöde: Ich habe keine Ahnung, wie er sich das vorstellt. Auf der Balkanroute kann man Staaten wie Mazedonien entsprechend unter Druck setzen und die letztendlich die Drecksarbeit machen lassen, sprich dieses verstoßen gegen alle möglichen Menschenrechtskonventionen, Genfer Flüchtlingskonvention und so weiter. Dafür ist die EU dann nicht direkt schuldig. Das dürfte in Italien nicht gehen. In Italien gibt es keine inneritalienischen Grenzen, wo sie diese Kontrollen durchführen können. Sie können entweder im Mittelmeer dafür sorgen, dass die Leute nicht ankommen, mit der Konsequenz, dass die Leute im Mittelmeer ertrinken, oder aber Sie können die Außengrenzen von Italien Richtung Österreich oder Frankreich dichtmachen, und dann sieht es mit der europäischen Solidarität und der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU auch ganz schlecht aus.
Heuer: Das heißt, Europa lädt das Problem dann nicht mehr nur in Griechenland ab, sondern wieder auch sehr viel stärker als in den vergangenen Monaten in Italien. Wir kehren eigentlich an den Ausgangspunkt zurück, Herr Glöde? Ist das so?
Glöde: Genau. Das würde ich auch so sehen. Und im Rahmen dieses ganzen ausschließlich auf Sicherheits- und Abschottungsmechanismen bedachten Diskurses taucht irgendwie überhaupt nicht mehr das auf, was in diesem Rahmen, in diesem Zusammenhang permanent als europäische Werte so hochgehalten wird, wie Humanität, Menschenrechte und so weiter. Das spielt da aktuell überhaupt keine Rolle und dass da permanent gegen verstoßen wird, wird auch in diesem Diskurs jetzt praktisch überhaupt nicht mehr erwähnt.
"Es ist heuchlerisch, die eigenen Verstöße gegen die Menschenrechte nicht zu erwähnen"
Heuer: Die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner sorgt sich ja um eben diese europäischen Werte. Sie tut das, weil die EU sich ja anschickt, mit der Türkei eng zusammenzuarbeiten, um möglichst viele Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Gleichzeitig ist Österreich maßgeblich an der Schließung der Balkanroute beteiligt. Wie passt das zusammen?
Glöde: Das ist heuchlerisch, die eigenen Verstöße gegen die Menschenrechte, Genfer Flüchtlingskonvention durch das Dichtmachen von Grenzen, nicht zu erwähnen und dann richtigerweise natürlich den Deal mit der Türkei zu kritisieren, weil das ist ein Unding, mit einem Staat, in dem quasi zumindest im kurdischen Teil eher ein Bürgerkrieg herrscht, mit so einem Staat zu kooperieren und sich ein Stück weit auch gegenüber diesem Staat dann erpressbar und abhängig zu machen. Das ist ein Unding.
"Damit zeigt sich, dass man Menschenrechte selber auch nicht ernst nimmt"
Heuer: Herr Glöde, nun ist die Türkei ein schwieriger Partner. Es gibt ja viele Diskussionen darüber. Sie haben da auch gerade Ihre Position formuliert. Libyen, auf das wir uns jetzt wahrscheinlich wieder stärker fokussieren müssen, ist eigentlich gar kein Partner. Da gibt es ja nicht mal eine richtige Regierung. Verschlimmert das die Situation auch deshalb noch stärker?
Glöde: Ich glaube, die Situation wird dadurch verschlimmert, dass die EU oder auch Deutschland überhaupt keinerlei Skrupel hat, mit Erdogan und der libyschen Regierung oder den libyschen Regierungen, die ja zum Teil Milizen-Regierungen sind, zusammenzuarbeiten, um die Flüchtlinge fernzuhalten von der EU. Damit zeigt sich dann einfach, dass praktisch alles das, was an Werten international hochgehalten wird, in der Regel eher Schönwettergerede ist und dass man diese Menschenrechte selber auch nicht ernst nimmt.
Heuer: Gibt es am Ende schlicht keine Lösung für das Problem?
Glöde: Ich habe keine Lösung. Ich weiß die nicht. Die Lösung liegt natürlich aber dann in einer anderen Form von Ursachenbekämpfung. Sprich da müssten sich die Staaten dann mal überlegen, wie sehr sie mit Beteiligung an Kriegen im Irak, der Destabilisierung von Libyen eigentlich Situationen geschaffen haben, aus denen Menschen eigentlich nur noch fliehen können.
Heuer: Aber das sind ja immer die sehr langfristigen Perspektiven, und noch dazu in die Vergangenheit gerichtet. Aber im Moment sehen Sie keinen Lösungsansatz, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden?
Glöde: Kurzfristige Lösungen sind da nicht in Sicht und da muss man sich oder muss die EU sich entscheiden, will sie glaubhaft diese Werte noch vertreten. Dann muss da eine andere Aufnahmepolitik herkommen. Oder aber interessieren die Menschenleben von Flüchtlingen überhaupt nicht, und das ist aktuell, scheint aktuell der Fall zu sein. Dann wird diese Abschottungspolitik und das Sterben weitergehen.
Heuer: Harald Glöde, Geschäftsführer von Borderline Europe, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Glöde.
Glöde: Ich danke auch.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen