Nein - Frank Wedekinds blutige Monstertragödie um die lustvoll-apokalyptische "Lulu", dieses Männer verzehrende (und selbst von Männern verzehrte) Kind-Weib, drängt sich nicht notwendig auf als Musical. Einerseits. Andererseits - weder "Woyzeck" noch "Leonce und Lena" taten das, und dennoch entwarf Robert Wilson musikalische "Überschreibungen", mit Hilfe von Tom Waits oder Herbert Grönemeyer ... Jetzt, für Wedekinds "Lulu", steuerte wieder Lou Reed die Songs bei; und wie Reed selbst sind sie Echos vergangener Zeiten. Eigentlich. Da aber Pop-Musik an sich zum Recycling neigt, zur Wiederaufbereitung älterer im Outfit neuerer Sounds, bekommt die Reed-Musik der neuen "Lulu" gar nicht schlecht; und neben viel Gitarren-Geschrammel findet sich auch eine lieblich-zarte Melodie wie diese im Sortiment:
Angela Winkler kreiert als "Lulu" auch mit diesem zarten Gesang die Vision vom alten Kind - und beglaubigt damit immerhin die zentrale Pointe von Inszenierung und Besetzung; denn wie sie unlängst auf im Hamburger Sankt-Pauli-Theater eine der Brewster-Omas in der klassischen Komödie um "Arsen und Spitzenhäubchen" zum Bühnenleben erweckte, so gelingt es ihr hier mit der tendenziell ungleich jüngeren Lulu: alterslos, in jeder Hinsicht; stets lieblich lächelnd, selbst wenn aus der Figur die Todes-Visionen hervor quellen; noch auf der Schlachtbank von Jack the Ripper kichernd wie ein Mädchen.
Dies Kunststück kann durchaus Eindruck machen, bringt allerdings das Stück-Gefüge beträchtlich durcheinander - schon weil die derart alterslose Lulu den Manns-Abzieh-Bildern um sie herum (Künstler und Kraftmensch, jugendlicher Liebhaber und väterlicher Freund) keinerlei erotisierendes Gegenüber gestattet. Wie immer streng auf Gesten und Gebärden abgerichtet, spielen Alexander Lang und Markus Gertken, Ulrich Brandhoff und Giorgios Tsivanoglu wie ins Nichts, wenn sie mit dieser Lulu flirten und bandeln; wie nah sie auch ist, so weit ist sie weg in Winklers freundlicher Alterslosigkeit. Für "Erotik" hat dann zum Beispiel rotes Licht zu sorgen - manchmal ist Wilsons Methodik ja auch staunenswert schlicht.
Edelst sind alle Bilder; schon wenn das Licht sich bricht in den Kostümen von Georges Reynaud. Ein funktionales Leuchtstoffröhren-Atelier und einen Salon mit verschiebbaren Wänden (für Lulus Lover dahinter!) hat Wilson für den ersten Teil entworfen, eine mit Szenenbeifall bedachte Bäumchen-Allee mit wirklich schöner Tiefen-Perspektive für den immer so belanglosen vierten Lulu-Akt, der in Paris spielt (und hier stark reduziert ist); in Lulus Huren-Absteige in London schließlich lösen sich die männlichen Nachtmahre quasi in Nichts auf, bleiben nur als Licht-Köpfe präsent - nein, Wilson bleibt der große Bilder-Finder, der Bild-Erfinder für praktisch jeden Stoff.
Nur halt nicht für jeden Text ...
Dieses Defizit war erwartbar - Wilsons "Lulu" behält zwar fast alle Kern-Passagen vom dramatischen Entwurf bei, treibt dem aber fast alles aus, was ihn in besseren Inszenierungen so interessant und modern erscheinen lässt: speziell das halsbrecherische Tempo. Lulu und die Liebhaber sprechen bei Wedekind wie Getriebene: als bliebe ihnen praktisch keine Luft zum Atmen, keine Zeit zum Atemholen; abgründige Komik und finsterste Bosheit zeichnen Wedekinds einzelgängerische, sehr früh expressionistische Sprache damit ebenso aus wie innere Erregung der gierigsten Sorte. DAS ist vielleicht der eigentliche Kern der "Lulu": Sex im Sprech-Akt. Was aber kann davon bleiben, wenn Sprache nicht dem Trieb folgt, sondern Satz für Satz den Entwurfszeichnungen einer Choreografie? Wenn Unordnung ersetzt wird durch strengstes Reglement bis ins letzte Komma, jeden Gedankenstrich ... und da hilft auch der dramaturgische Trick nicht viel, Sterbeszenen aus dem finalen Akt auch schon zwischen die Akte davor zu montieren. Das sind halt doch bloß getarnte Umbaupausen.
Und perfiderweise wirkt Wedekind durch solcherlei Zurichtung nun geradezu langweilig; aufgeplustert zwar, aber voll von heißer, ach was: bestenfalls warmer Luft. Gelegentlich schon stand Robert Wilsons Methode einem an sich starken Text im Wege, und es brauchte Musik, um die Kluft zu überbrücken ... aber hier wirken weniger die Reed-Songs so als vielmehr die ruppigen Klangflächen, die Stefan Ragers Band zwischen die Szenen und Auftritte drischt, und die reichhaltigen Klang-Effekte aus Jo Bauers Werkzeugkasten: klackende Schuhabsätze, klimpernde Münzen und vieles mehr ...
Grundsätzlich aber ist diese "Lulu" nicht im Gleichgewicht der Bühnenkünste; da ist es gut, dass neben der Prominenz im Ensemble (Alexander Lang als eitler Schön, Jürgen Holtz aus brummeliger Papa Schigolch) mit der lesbischen Gräfin Geschwitz von Anke Engelsmann und dem prächtig singenden und tanzenden Tsivanoglu zwei ansonsten weniger auffällige Ensemble-Mitglieder den strukturell lahmenden Abend stützen. Auch Ruth Glöss, Doyenne im Hause, lässt Wilson tänzelnd und singend durch die Szenen wandern - das hat zwar nichts zu bedeuten, sieht aber gut aus.
Wie diese ganze "Lulu".
Angela Winkler kreiert als "Lulu" auch mit diesem zarten Gesang die Vision vom alten Kind - und beglaubigt damit immerhin die zentrale Pointe von Inszenierung und Besetzung; denn wie sie unlängst auf im Hamburger Sankt-Pauli-Theater eine der Brewster-Omas in der klassischen Komödie um "Arsen und Spitzenhäubchen" zum Bühnenleben erweckte, so gelingt es ihr hier mit der tendenziell ungleich jüngeren Lulu: alterslos, in jeder Hinsicht; stets lieblich lächelnd, selbst wenn aus der Figur die Todes-Visionen hervor quellen; noch auf der Schlachtbank von Jack the Ripper kichernd wie ein Mädchen.
Dies Kunststück kann durchaus Eindruck machen, bringt allerdings das Stück-Gefüge beträchtlich durcheinander - schon weil die derart alterslose Lulu den Manns-Abzieh-Bildern um sie herum (Künstler und Kraftmensch, jugendlicher Liebhaber und väterlicher Freund) keinerlei erotisierendes Gegenüber gestattet. Wie immer streng auf Gesten und Gebärden abgerichtet, spielen Alexander Lang und Markus Gertken, Ulrich Brandhoff und Giorgios Tsivanoglu wie ins Nichts, wenn sie mit dieser Lulu flirten und bandeln; wie nah sie auch ist, so weit ist sie weg in Winklers freundlicher Alterslosigkeit. Für "Erotik" hat dann zum Beispiel rotes Licht zu sorgen - manchmal ist Wilsons Methodik ja auch staunenswert schlicht.
Edelst sind alle Bilder; schon wenn das Licht sich bricht in den Kostümen von Georges Reynaud. Ein funktionales Leuchtstoffröhren-Atelier und einen Salon mit verschiebbaren Wänden (für Lulus Lover dahinter!) hat Wilson für den ersten Teil entworfen, eine mit Szenenbeifall bedachte Bäumchen-Allee mit wirklich schöner Tiefen-Perspektive für den immer so belanglosen vierten Lulu-Akt, der in Paris spielt (und hier stark reduziert ist); in Lulus Huren-Absteige in London schließlich lösen sich die männlichen Nachtmahre quasi in Nichts auf, bleiben nur als Licht-Köpfe präsent - nein, Wilson bleibt der große Bilder-Finder, der Bild-Erfinder für praktisch jeden Stoff.
Nur halt nicht für jeden Text ...
Dieses Defizit war erwartbar - Wilsons "Lulu" behält zwar fast alle Kern-Passagen vom dramatischen Entwurf bei, treibt dem aber fast alles aus, was ihn in besseren Inszenierungen so interessant und modern erscheinen lässt: speziell das halsbrecherische Tempo. Lulu und die Liebhaber sprechen bei Wedekind wie Getriebene: als bliebe ihnen praktisch keine Luft zum Atmen, keine Zeit zum Atemholen; abgründige Komik und finsterste Bosheit zeichnen Wedekinds einzelgängerische, sehr früh expressionistische Sprache damit ebenso aus wie innere Erregung der gierigsten Sorte. DAS ist vielleicht der eigentliche Kern der "Lulu": Sex im Sprech-Akt. Was aber kann davon bleiben, wenn Sprache nicht dem Trieb folgt, sondern Satz für Satz den Entwurfszeichnungen einer Choreografie? Wenn Unordnung ersetzt wird durch strengstes Reglement bis ins letzte Komma, jeden Gedankenstrich ... und da hilft auch der dramaturgische Trick nicht viel, Sterbeszenen aus dem finalen Akt auch schon zwischen die Akte davor zu montieren. Das sind halt doch bloß getarnte Umbaupausen.
Und perfiderweise wirkt Wedekind durch solcherlei Zurichtung nun geradezu langweilig; aufgeplustert zwar, aber voll von heißer, ach was: bestenfalls warmer Luft. Gelegentlich schon stand Robert Wilsons Methode einem an sich starken Text im Wege, und es brauchte Musik, um die Kluft zu überbrücken ... aber hier wirken weniger die Reed-Songs so als vielmehr die ruppigen Klangflächen, die Stefan Ragers Band zwischen die Szenen und Auftritte drischt, und die reichhaltigen Klang-Effekte aus Jo Bauers Werkzeugkasten: klackende Schuhabsätze, klimpernde Münzen und vieles mehr ...
Grundsätzlich aber ist diese "Lulu" nicht im Gleichgewicht der Bühnenkünste; da ist es gut, dass neben der Prominenz im Ensemble (Alexander Lang als eitler Schön, Jürgen Holtz aus brummeliger Papa Schigolch) mit der lesbischen Gräfin Geschwitz von Anke Engelsmann und dem prächtig singenden und tanzenden Tsivanoglu zwei ansonsten weniger auffällige Ensemble-Mitglieder den strukturell lahmenden Abend stützen. Auch Ruth Glöss, Doyenne im Hause, lässt Wilson tänzelnd und singend durch die Szenen wandern - das hat zwar nichts zu bedeuten, sieht aber gut aus.
Wie diese ganze "Lulu".